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2006/04/12 Polizeiliche Videoüberwachung - wenig Grund zur Euphorie
Nach Jubelmeldungen liegen nun auch die Fakten zur Videoüberwachung auf Schwedenplatz und in der SCS vor - trotz verschiedener Rückgänge eher ernüchternde Ergebnisse - +60% bei Sachbeschädigungen in der SCS - Propaganda für Videoüberwachung nimmt immer mehr ideologisch motivierten Kreuzzugscharakter an - Verfolgung von Drogendelikten eher erschwert

Nach Jubelmeldung die ernüchternden Fakten

Vor einigen Wochen wurden anlässlich des ein-Jahres-Jubiläums der polizeilichen Videoüberwachung in der SCS und auf dem Schwedenplatz Jubelmeldungen des Innenministeriums verbreitet. Ein Zweckoptimismus der den tatsächlichen Fakten nicht Stand hält.

Der ARGE DATEN gelang es nunmehr die konkreten Deliktzahlen für SCS und Schwedenplatz  für das Jahr vor der Videoüberwachung und während der Videoüberwachung zu erhalten. Insgesamt sind die festgestellten Deliktzahlen zwar zurückgegangen, aber einige Aspekte sollten nachdenklich stimmen.


SCS mit und ohne Videoüberwachung mit geringer Kriminalität

Im Jahr vor der Installation der Videoüberwachung (03/2004 - 02/2005) wurden insgesamt 115 Delikte registriert, im Vergleichszeitraum mit Videoübewachung "nur" mehr 60 Delikte. Dies entspricht zwar einem Rückgang um 56%, einige Detailzahlen machen es jedoch fraglich, ob dieser Rückgang der Videoüberwachung zuzurechnen ist.

So stiegen die Sachbeschädigungen während der Videoüberwachung gegenüber der Zeit vor der Überwachung immerhin um 60% (!), von 10 Fällen auf 16 Fälle.

Besonders interessant sind jedoch die Halbjahresvergleiche. Waren in der ersten Jahreshälfte ohne Videoüberwachung 68 Diebstahlsdelikte zu verzeichnen (03-08/04), sank diese im ersten Jahreshälfte mit Videoüberwachung auf 14 Delikte, also ein Minus von 80%. Offenbar zeigte die präventive Wirkung von Videoüberwachung Ergebnisse.

Die Wirkung war jedoch nur von kurzer Dauer. Im darauffolgenden Halbjahr mit Videoüberwachung stiegen die Delikte wieder um 35% (auf 19 Delikte) an. Interessant aber auch der Halbjahresvergleich im Jahr vor der Videoüberwachung. Hier gingen die Delikte von 68 Diebstählen (1.HJ) auf 34 (2.HJ) zurück, also satte 50% ohne jede Videoüberwachung. Sinnvoll wäre es die in dieser Zeit gesetzten Maßnahmen in Hinblick auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit genauer zu analysieren.

Der Einsatz von technischen Überwachungsmaßnahmen wie Videoüberwachung zeigt ganz ähnliche Züge, wie Suchtkranke sie haben. Die eingesetzten Mittel wirken nur kurze Zeit, danach muss die Dosis (Überwachungsintensität) wieder erhöht werden.

Alle anderen Delikte, wie Körperverletzung, Raub, Suchtmittelmissbrauch oder Urkundenfälschung hatten mit oder ohne Videoüberwachung in der SCS praktische keine Bedeutung.


SCS-Presse-Abteilung auch nicht erfreut

Auch die SCS-Presseabteilung reagierte nicht beglückt über die Tatsache, dass die Sachbeschädigungsdelikte - trotz oder wegen der Videoüberwachung - gegenüber dem Vergleichszeitraum zunahmen. Immerhin liefert die Videoüberwachung ja erst den "Kick" zum Vandalismus, hat man doch dadurch ein Publikum und kann trotzdem mit hoher Wahrscheinlichkeit rechnen nicht erkannt zu werden.

Diese Daten seien nicht nachvollziehbar bzw. falsch, so die variierenden Stellungnahmen der Presseabteilung. Eine simple Anfrage bei der Polizei hätte wohl genügt, um die Daten zu verifizieren.


Keine Auskunft über Aufklärungsquoten

Keine Auskunft konnte die ARGE DATEN, trotz intensiver Bemühungen, über die Aufklärungsquoten erhalten. Berauschend dürften sie nicht sein, geht man auch nach den laufend veröffentlichten Zeitungsberichten über Straftaten vor dem Videoauge und der darauf folgenden erfolglosen Fahndung.

"Wozu sollen wir euch die Daten geben, ihr macht ja sowieso nur die Polizeiarbeit herunter", lautete der frustrierte Kommentar eines verantwortlichen Polizeibeamten.


Alltagskriminalität am Schwedenplatz

Ein anderes Szenario bietet der Schwedenplatz. Als klassischer Freizeit- und Touristentreff, an dem sich die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten treffen und auch relativ lang aufhalten, ist die Bandbreite der Delikte wesentlich größer. Neben Diebstahl sind Körperverletzung und Drogenkriminalität die Top-Delikte, Sachbeschädigungen eher von geringerer Bedeutung. Die Rückgangsraten über alle Deliktgruppen zusammen (ohne Drogenkriminalität) betrugen über das Jahr hinweg bescheidene 17%, ein Wert der wohl eher durch die verbesserte Polizeipräsenz, als durch die Videoüberwachung zu begründen ist.


Drogenaufklärung wird durch Videoüberwachung schwieriger

Auffällig und daher aus propagandistischen Gründen besonders hervorgekehrt ist der "Rückgang" der Drogendelikte. Etwa drei Monate nach Installation der Videoüberwachung wurde am Schwedenplatz kein Drogenfall mehr registriert.

Leider kann das nicht als Erfolg gewertet werden, wenn gleichzeitig der Drogenbericht des BMI für das letzte Jahr einen bundesweiten Anstieg der Drogendelikte um 2% gegenüber dem Vorjahr feststellt. Am Schwedenplatz wurde offenbar die Prognose der Videoskeptiker zu hundert Prozent erfüllt: Mobile Kriminalität weicht nach kürzester Zeit auf nicht überwachte Orte aus, ohne dass es zu einer Verhaltensänderung kommt.


Drogendelikte nicht mit "normaler" Kriminalität vergleichbar

Im Gegensatz zu "normaler" Kriminalität gibt es bei Drogendelikten nicht die klassischen Täter-Opfer-Rollen. Der Dieb ist der Täter, der Bestohlene das Opfer, nicht so in der Drogenszene. "Täter" (Dealer) und "Opfer" (Käufer) agieren in einer Interessensgemeinschaft, bei der beide mit dem - freilich illegalen - Tun einverstanden sind. Es ist daher für diese Gruppen ein Leichtes ihr Aktionsfeld, im gegenseiten Einverständnis zu verlagern. Plakative Überwachungsmaßnahmen drängen diese Gruppen bloß in unübersichtlichere Bereiche ab und machen Aufklärung und Verhinderung eher aufwändiger und schwieriger.


Evaluation und Neuorientierung der Sicherheitstätigkeit überfällig

Videoüberwachung ist offenbar keine nachhaltige Sicherheitsmaßnahme. Statt in geradezu autistischer Manier immer höhere Beträge in eine grundrechtlich problematische Überwachungsmaßnahme zu stecken sollten Erfolge und Misserfolge vorurteilsfrei analysiert werden und versucht werden durch grundrechtlich einwandfreie Maßnahmen die Gesamtkriminalität zu reduzieren.

Ansonsten finden sich Junkies und Videoüberwacher bald in derselben (Entwöhnungs-)Anstalt wieder.

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