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1994/12/31 Auslandstelefonate: BND hört mit!
DIR Mit 1. Dezember 1994 ist es legal: Der deutsche Geheimdienst BND hört nicht nur aus Staatsräson den Telefon- und Funkver...

Mit 1. Dezember 1994 ist es legal: Der deutsche Geheimdienst BND hört nicht nur aus Staatsräson den Telefon- und Funkverkehr zur und durch die Bundesrepublik ab, er fungiert damit künftig auch als verlängerter Arm polizeilicher Datensammlung.

Der BND darf sich in Auslandsgespräche einschalten und sie aufzeichnen um mögliche oder auch vermeintliche Verdachtsmomente auf Drogen-, Waffen-, Kriegswaffen- und Geldfälschungsgeschäfte sowie Terrorismus an Polizei und Justiz weiterzuleiten. Gesetzliche Grundlage dazu ist das'Verbrechensbekämpfungsgesetz'. Mit Rasterfahndungsmethoden wird das Fernmeldegeheimnis ebenso zu Makulatur gemacht, wie die Europäische Menschenrechtskonvention. Denn betroffen ist in der Tat jeder, der ein Ferngespräch aus oder nach Deutschland führt.


Das Ohr am Globus

Mit seinen Empfangsanlagen der Fernmeldeaufklärung war der BND technisch auch bisher schon problemlos in der Lage, jeglichen Fernmeldeverkehr über Kurzwelle, Richtfunk und Satellit auf dem Gebiet der Bundesrepublik und im Bereich der angrenzenden Nachbarländer zu empfangen. Was aber iminternationalen Spiel Spion vs. Spion von Interesse war, hat das Alltagsleben der Bürger nur in seltensten Fällen betroffen. Vor allem aber war diese Tätigkeit praktisch ohne Konsequenzen im Bereich der alltäglichen Polizeiarbeit - das liegt durchaus auch im Interesse des Geheimdienstes, der damitvermeidet, zuviele Indizien über Tätigkeit und eigene Möglichkeiten preiszugeben.

Nun soll es nach dem Willen der Gesetzgeber anders werden. Der BND wird künftig seine Abhörerkenntnisse Polizei und Justiz zur Verfügung stellen, wenn diese Verdachtsmomente für die Bereiche Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche oder Geldfälschung enthalten könnten. Und zwar nicht nur im Zuge vonkonkreten Ermittlungen, sondern ganz allgemein. Anders als alle anderen Telefonüberwachungen ist die BND-Fernmeldeaufklärung nicht verdachtsbezogen. Es werden nicht etwa zielgerichtet Straftäter oder Verdächtige überwacht. Jeder, der ein Auslandsgespräch führt, gerät in die Abhörnetze.

Die Gespräche werden allerdings nicht unmittelbar von BND-Mitarbeitern abgehört, sondern von einem Computer analysiert, der sie auf bestimmte Begriffe aus den Bereichen Drogen, Waffen, Geld hin scannt. Das 'Wörterbuch' dieses BND-Programms ist verständlicherweise geheim. Sobald eines der Suchwörterim Gespräch fällt, wird aufgezeichnet.

'Eine Ermittlung ohne Verdacht ist das Kennzeichen der Geheimen Staatspolizei', lautet der Protest seitens der Humanistischen Union. Kritik an den Praktiken, die Konteradmiral Guetlich vom BND 'Staubsauger im Äther' nennt, kommt auch vom Bundesbeauftragten für Datenschutz. Er bemängelt die völligfehlende Kontrollmöglichkeiten der Behörde,denn: 'Mindestens 99,9 Prozent aller Abgehörten sind nicht beschuldbar'.


BND - Was ist das?

Reinhard Gehlen, Generalmajor der Deutschen Wehrmacht, leitete bereits im Dritten Reich eine nachrichtendienstliche Abteilung zur Sammlung von Erkenntnissen über die östlichen Kriegsgegner Deutschlands.

Im Jahr 1945, nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands, stellte er das Material seines Archives der amerikanischen Besatzungsmacht zur Verfügung und durfte unter deren Kontrolle einen Auslandsnachrichtendienst, die Organisation Gehlen aufbauen. 1955 wurde diese von der Bundesrepublik Deutschlandübernommen und 1956 in Bundesnachrichtendienst umbenannt. Der BND untersteht unmittelbar dem Bundeskanzleramt, Zentrale ist in Pullach bei München. Eine parlamentarische Kontrolle seiner Tätigkeit ist nur beschränkt gegeben. Zweckbestimmung ist 'die Abwehr der Gefahr eines bewaffnetenAngriffskrieges gegen die Bundesrepublik'. Im Inland darf der BND nur insoweit aktiv werden, um sich selbst vor Spionage zu schützen.

Für die Informationsgewinnung aus dem Ausland betreibt der BND unter anderem die 'Technische Fernmeldeaufklärung'. Dazu zählt nicht nur die Kontrolle von Funkstationen - etwa im Kurzwellen- und UKW-Bereich - auf geheimdienstlich relevante Inhalte, sondern auch die Überwachung von Telefongesprächen,die über Richtfunkstrecken oder via Satellit im Gebiet der Bundesrepublik geführt oder durchgeleitet werden. Gesetzlich beschränkt war die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes bisher auf die Beobachtung von äusseren Gefahren, die den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik als Ganzesbeeinträchtigen oder bedrohen.

Die erweiterte Aufgabe des BND soll nach dem neuen Verbrechensbekämpfungsgesetz nunmehr in Zukunft sein, auch für die Bereiche der Einfuhr von Drogen 'in nicht geringen Mengen', die im Ausland begangene Geldfälschung und die Geldwäsche im Inland zuständig zu sein, ferner die durch Abhörmaßnahmengewonnene Informationen für Zwecke der Strafverfolgung aufzubereiten und diese Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht war die Abhörtätigkeit des BND auch bisher schon kritikwürdig, weil keine Begrenzung auf bestimmte Personengruppen erfolgt. Vielmehr werden - anders als bei zielgerichteten Überwachungsaufgaben im Zuge der Strafverfolgung - in der Art einer Rasterfahndung ohneVorliegen eines Anfangsverdachts in großer Zahl Unbeteiligte in Abhörmaßnahmen unvermeidlich miteinbezogen. Die Einbindung einer Geheimdienstorganisation in die Belange der Strafverfolgung gibt diesem Gesichtspunkt eine völlig neue Brisanz. Zumal gewöhnliche Abhörtätigkeit mittlerweile ersetzt wirddurch die Computeranalyse verbaler Kommunikation.


Spracherkennung, quo vadis?

Wer die Spracherkennungssoftware eines großen Computerherstellers schon einmal life erleben durfte, stellt sich zweifellos die Frage nach der praktischen Sinnhaftigkeit solcher Software. Zu instabil und fehlerbehaftet ist das heutzutage angepriesene Diktat per Computer. Und die Perspektive ist auchnicht beglückend, daß in Großraumbüros dutzende Angestellte - statt in die Tastatur zu tippen - mit ihren Geräten künftig lautstark stockende Konversation pflegen und damit die Geräuschkulisse einer Stehbierhalle produzieren.

Betrachtet man die militärische Provenienz dieser Projekte, dann wird deren zivile Untauglichkeit besser verständlich. Der Bordcomputer eines Kampfjets ist an der Transskription literarischer Abhandlungen absolut desinteressiert, ihm genügt es fürs erste, die Worte 'up', 'down', 'left', 'right' und'fire' seines Piloten korrekt zu identifizieren. Und auch bei Überwachungsaufgaben großer Datenmengen an verbaler Kommunikation auf spezielle 'Topics' hin leistet der Computer durchaus schon seine Sklavendienste.

In der Vergangenheit mußte jedes Gespräch, das über ein angezapfte Telefonleitung geführt wurde, letztlich von einem menschlichen Agenten  - also 'in Echtzeit' - abgehört werden. Breitbandiges Belauschen von Telefonaten ist somit extrem personalintensiv - ein Faktum, das der Neugier vonGeheimdiensten und Regimes bislang eine natürliche Grenze setzte. Die technische Realisierung von Spracherkennungscomputern macht eine Überwachung der verbalen Kommunikation viel leichter, als es bisher der Fall war. Derartige Rechner sind in der Lage, den Wust an 'uninteressanten' Gesprächen mitleidlicher Treffsicherheit auszuscheiden und ihren Herren und Meistern nur die Selektion der verbleibenden, vermeintlich 'heißen' Gespräche zu liefern. Perfektion ist dabei nicht gefragt, Ziel ist, ein riesiges Datenvolumen zu reduzieren und auch mit geringem Personalstand handhabbar zu machen.

Die Anforderungen an die Software sind dabei nicht so hoch, da es ausreicht, Ansammlungen charakteristischer Lautgruppen mit begrenzter Wahrscheinlichkeit zu identifizieren. Praktisch wird dies mit einer Formantenanalyse durchgeführt, die sprachliche Eigenheiten auf relativ invarianteCharakteristika zu reduzieren imstande ist. Rechtschreibungsprobleme - der Pferdefuß heutiger Diktatsoftware - fallen weg. Und Fehlmeldungen sind tolerierbar, solange sie die Datenmenge nicht unnütz aufblähen.

Was aber auch bedeutet, daß zufällig ähnlich klingende Lautkombinationen bereits Verdacht erwecken können. Wenn ferner das 'Lauschen' im Äther effektiv sein soll, müssen auch Tarnbezeichnungen, also 'Allerweltswörter' in der Erkennung vorgesehen sein. Ahnungslos gelangen so unschuldige Menschen indas elektronische Fahndungsnetz des BND. Und nicht allein jene, die vielleicht telefonisch ihre Silvesterparty unvorsichtigerweise mit einer 'Bombenstimmung' charakterisieren.


Grundrechte in Deutschland

Die tatsächliche Dimension der Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis wird in der Öffentlichkeit noch kaum erkannt - immerhin geht es um ein grundsätzlich 'unverletzliches' Grundrecht. Das Fernmeldegeheimnis ist nicht nur durch Art. 10 des deutschen Grundgesetzes, sondern auch international durch Art.8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 17 des internationalen Paktes über bürgerliche Rechte besonders geschützt.


Auch das Grundprinzip der Trennung von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden wird durch die neuen Regelungen unterlaufen, da hilft es auch nicht wenn - wie vorgesehen - eine Person mit 'Befähigung zum Richteramt' vor Übermittlung der Informationen an die Polizei und Justiz eingeschaltet werdensoll. Diese Hürde liegt weitaus niedriger, als die bisherigen rechtlichen Limitierungen durch von der Justiz angeordnete Abhörmaßnahmen.


In den USA - die oft als Musterbeispiel in Sachen Kriminalitätsbekämpfung zitiert werden - unterliegen derartige Vorgänge einer Anzahl von rigiden Kontrollmechanismen. Watergate hatte hier deutliche Wirkung gezeigt. Jeder Staatsanwalt, der eine Abhörmaßnahme beantragt und jeder Richter, der siegenehmigt, muß dafür die persönliche Verantwortung übernehmen. In jedem einzelnen Fall sind dem Richter umfangreiche Berichtspflichten auferlegt.


Im sogenannten 'Wiretap-Report' wird jährlich von der zentralen Justizbehörde in Washington über die genehmigten Abhörmaßnahmen öffentlich Rechenschaft abgelegt. Jeder Bürger der USA, der sich dafür interessiert, kann die Berichte kaufen oder in Bibliotheken einsehen. Auch muß der Richter innerhalbvon 90 Tagen nach Abschluß der Ermittlungen die Personen über Grund, Dauer und Ausmaß der Überwachung informieren.


Aber auch die Polizei ist in den USA verpflichtet, den Richter über alle unschuldigen Opfer der Abhörmaßnahme auf dem Laufenden zu halten. Damit ist eine wesentlich höhere Sensibilität dafür gegeben, daß mit jedem 'Lauschangriff' zwangsläufig eine Verletzung der Intimsphäre einer großen Anzahl vonPersonen gegeben ist.


Nichts von alledem in Deutschland. Der BND ist - im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in den USA dem Bundestag gegenüber praktisch nicht rechenschaftspflichtig, es gibt keinerlei öffentlichen Berichte über Zweck und Ausmaß seiner Tätigkeit. Auch eine Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten desBundes oder der Länder ist nicht vorgesehen.


Zuallererst betroffen: Informationsfreiheit der Journalisten


Besonders betroffen sind Journalisten in ihrer Berufsausübung. Jede größere Redaktion steht in ständigemKontakt mit ihren Auslandskorrespondenten. Im Zuge brisanter Recherchen werden sicherlich auch 'BND-Reizworte' en masse übertragen und machen die beteiligten Journalisten zur ersten Adressegeheimdienstlicher Datensammlung. Beschäftigen sich Medien mit Mafiaproblemen und Waffenschiebereien, ist die Benutzung von 'Suchbegriffen' geradezu zwangsläufig. Das Redaktionsgeheimnis ist so mit der Legalisierung der BND-Tätigkeit faktisch dahin.


Derartiges kann für die Beteiligten höchst riskant werden, erinnert man sich etwa an den Einfluß des Staatssicherheitsdienstes der DDR auf Berichterstattung und Publikationen. 'Der BND erlangt auf diese Weise Einblick in redaktionsinterne Angelegenheiten', konstatiert die Humanistische Union.


Der Beschluß der Konferenz der Datenschutzbeauftragten (siehe Kasten) ist nur der kleinste gemeinsame Nenner eines Spektrums kritischer Positionen. Einige Datenschutzbeauftragten der Bundesländer gingen mit der Gesetzesinitiative noch weit härter ins Gericht. Mittlerweile wird auch von mehrerenUniversitätsprofessoren verschiedener Rechtsfakultäten eine Verfassungsklage gegen das Gesetz vorbereitet.


RJV





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