1994/12/31 Serie: Rechtsprechung und Informationsrecht
DIR Dieter Kronegger
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Dieter Kronegger
Schon in Teil 3 dieser Serie (DIR 3/92, S. 74) haben wir uns mit den informationsrechtlichen Entscheidungen der beiden Straßburger Instanzen EKMR (Europäische Kommission für Menschenrechte) und EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) beschäftigt. In diesem Teil präsentieren wir eine Reiheneuer Entscheidungen aus Straßburg und auch eine neue Entscheidung des EuGH (Europäischer Gerichtshof).
Bei der EKMR kann sich jeder Bürger eines Staates, der die Menschenrechtskonvention (MRK) ratifiziert hat (das sind in Kürze alle 32 Mitgliedstaaten des Europarats) beschweren, wenn er in einem Recht der Konvention verletzt wurde und den innerstaatlichen Instanzenzug erschöpft hat. Die EKMRentscheidet dann über die Zulässigkeit der Beschwerde. Ist die Beschwerde zulässig (die meisten sind es nicht), so gibt die EKMR einen Bericht ab, in dem sie ihre Ansicht darlegt. Meist landet der Fall dann vor dem EGMR, der endgültig darüber entscheidet. An die Entscheidungen des EGMR sind dieStaaten gebunden. Das Verfahren ist sehr kompliziert, wird aber durch die geplante Vereinigung von EKMR und EGMR vereinfacht. (Ein entsprechendes Änderungsprotokoll zur MRK wurde bereits unterzeichnet, muß allerdings noch von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.)
Die in diesem Teil der Serie angesprochenen Artikel der MRK haben wir im Kasten auf der Folgeseite im Wortlaut abgedruckt. Die erwähnten Fälle sind durchwegs in der Europäischen Grundrechte Zeitschrift abgedruckt und hier mit "EuGRZ Jahr, Seite" zitiert.
Die für das Informationsrecht wichtigste Bestimmung der MRK ist das in Artikel 8 verankerte Recht auf Privatleben. Weiters ist die Freiheit der Meinungsäußerung des Art. 10 MRK wichtig, die auch das Recht enthält, Nachrichten zu empfangen. Da wir in dieser Serie den Begriff "Informationsrecht" abermöglichst weit fassen, bringen wir hier auch drei typische Fälle zu einem in Österreich häufig auftretenden Problem: Art. 6 MRK gewährt das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Insbesondere haben Angeklagte das Recht, in der Verhandlung Fragen an die Belastungszeugen zu stellen (Art. 6 Abs. 3 dMRK). Da z. B. nahe Angehörige im Prozeß die Aussage verweigern können, war es bis vor kurzem übliche Praxis, einfach die Protokolle zu verlesen, die von der Polizei oder der Gendarmerie verfaßt wurden.
Unterpertinger gegen Österreich
Über diesen Fall (EuGRZ 1987, 147) haben wir bereits in DIR 3/92 berichtet. Unterpertinger wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil es das österreichische Gericht als erwiesen ansah, daß er seine Frau und seine Stieftochter verletzt habe. Als Beweismittel lagen bloß die Gendarmerieprotokolleder Aussagen der Frau und der Stieftochter vor, da die beiden im Gerichtsverfahren die Aussage verweigerten. Der EGMR entschied, daß eine Verletzung von Art. 6 MRK vorliege, da der Beschwerdeführer aufgrund von Aussagen verurteilt wurde, hinsichtlich derer seine Verteidigungsrechte (z. B. Fragen andie Belastungszeugen) erheblich eingeschränkt waren.
Asch gegen Österreich
Ganz ähnlich gelagert ist der Fall Asch. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit seiner Lebensgefährtin (ein Arzt und das Krankenhaus stellten zahlreiche Abschürfungen fest) zeigte diese ihn bei der Gendarmerie an. Im gerichtlichen Strafverfahren verweigerte sie die Aussage, dennoch wurde erverurteilt. Dabei stützte sich das Gericht aber nicht nur auf die verlesenen Gendarmerieprotokolle, sondern auch auf andere Beweismittel, etwa die persönlichen Eindrücke des Gendarmen bei der Befragung der Lebensgefährtin und die zwei ärztlichen Bescheinigungen. Die Kommission war mit 12:5 Stimmender Ansicht, daß Art. 6 MRK verletzt worden sei (EuGRZ 1992, 522), der Gerichtshof folgte dem nicht und entschied mit 7:2 Stimmen, daß das Verfahren fair war (Urteil vom 26.04.1991, EuGRZ 1992, 474).
Artner gegen Österreich
Auch in diesem Fall wurde der Angeklagte aufgrund der Verlesung einer Zeugenaussage verurteilt - diesmal allerdings deshalb, weil die Zeugin während der Hauptverhandlung nicht auffindbar war.
Das Gericht hat mehrmals versucht, die Zeugin ausfindig zu machen, und hat dazu auch die Verhandlung vertagt. Eine Gegenüberstellung des Angeklagten mit der Zeugin war auch deshalb unmöglich, weil der Angeklagte selbst zuvor drei Jahre lang verschwunden war. Die Zeugenaussage war auch nicht daseinzige Beweismittel, vielmehr gab es einen ähnlich gelagerten zweiten Fall (überhöhte Provisionen für Kreditvermittlung), über den im selben Verfahren entschieden wurde und einige weitere Betrugsfälle, wegen denen der Beschwerdeführer schon verurteilt worden war. Die Kommission entschied mit 9:7Stimmen, daß Art. 6 MRK nicht verletzt worden sei (EuGRZ 1992, 523), der Gerichtshof entschied mit 5:4 Stimmen ebenso (Urteil vom 28.08.1992, EuGRZ 1992, 476).
S. gegen die Schweiz
Ein weiteres Recht eines Angeklagten wird durch Art. 6 Abs. 3 c gewährt: Angeklagte haben das Recht, einen Verteidiger zu wählen. Der Beschwerdeführer S. wurde in der Schweiz verdächtigt, an Sprengstoff- und Brandanschlägen, unter anderem gegen das Haus des Justizministers beteiligt gewesen zu sein.Um Absprachen mit anderen inhaftierten Verdächtigen oder deren Anwälten zu vermeiden wurden die Gespräche mit dem Verteidiger von der Polizei überwacht. Die Kommission und der Gerichtshof sahen eine Verletzung der MRK (Bericht der Kommission in EuGRZ 1992, 324, Urteil des EGMR vom 28.11.1991, EuGRZ1992, 298). Aus Art. 6 Abs. 3 c ist auch das Recht des Angeklagten abzuleiten, sich mit seinem Anwalt außerhalb der Hörweite Dritter zu besprechen. Eine Einschränkung dieses Rechts kann weder durch die Schwere der Tat noch durch die Gefahr einer Absprache gerechtfertigt werden.
In DIR 3/92 (S. 77) hatten wir über den ähnlich gelagerten Fall Can gegen Österreich berichtet, in dem ebenfalls Verteidigergespräche überwacht wurden. Damals kam es zu keinem Urteil des EGMR, da sich Elvan Can und die Republik Österreich gütlich geeinigt hatten.
Lüdi gegen die Schweiz
In diesem Fall setzte die Polizei einen V-Mann ein und überwachte das Telefon, um Lüdi Rauschgifthandel nachzuweisen.
In der (richterlichen angeordneten) Telefonüberwachung sah der Gerichtshof keine Verletzung von Art. 6 MRK. Mit 8:1 Stimmen (nur der österreichische Richter Matscher stimmte dagegen) urteilte der EGMR hingegen, daß Art. 6 dadurch verletzt worden war, daß der polizeiliche V-Mann nicht imgerichtlichen Strafverfahren einvernommen wurde, um seine Identität zu wahren. - Die Kommission (EuGRZ 1992, 326) sah eine Verletzung von Art. 8 MRK (Recht auf Privatsphäre) darin, daß Telefonüberwachung und V-Mann kombiniert wurden. Eine gewöhnliche Telefonüberwachung sei bloß passiv, durch dieTäuschungsmanöver des V-Mannes habe dieser aber gesetzlich nicht gedeckten Zugang zum Privatleben des Verdächtigen erhalten. Diese Ansicht der Kommission wurde vom Gerichtshof einstimmig verworfen (Urteil vom 25.06.1992, EuGRZ 1992, 300).
Oberschlick gegen Österreich
Dieser Fall erinnert stark an den Fall Lingens, über den wir bereits in DIR 3/92 berichtet haben. Der Herausgeber der Zeitschrift FORVM, Oberschlick, hatte dem FPÖ-Generalsekretär Walter Grabher-Meyer in dieser Zeitschrift Verhetzung und einen Verstoß gegen das Verbotsgesetz vorgeworfen. Daraufhinwurde er von Grabher-Meyer wegen übler Nachrede geklagt - und verurteilt, da er keinen Wahrheitsbeweis erbringen konnte. Der EGMR entschied mit 16:3 Stimmen, daß Art. 10 MRK verletzt worden sei (Urteil vom 23.05.1991, EuGRZ 1991, 216). Ein Politiker habe zwar auch Anspruch auf Schutz seines gutenRufes, müsse sich aber in der öffentlichen Auseinandersetzung mehr Kritik gefallen lassen. Die Erbringung eines Wahrheitsbeweises für Werturteile ist unmöglich. Daher widerspricht es dem Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn für das Werturteil eines Journalisten ein Wahrheitsbeweis verlangtwird.
Herczegfalvy gegen Österreich
Herczegfalvy verbüßte in Österreich eine Strafhaft. Unmittelbar danach wurde er in U-Haft genommen, weil er verdächtigt wurde, in der Haft neue Straftaten (Körperverletzung und gefährliche Drohung) begangen zu haben. Herczegfalvy wurde nicht verurteilt, sondern stattdessen in eine Anstalt fürgeistig-abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, in der er schon einen Teil der U-Haft verbracht hatte. (Das Gericht stellte "Paranoia querulans mit starken Aggressionstendenzen" fest.) Nach einem Hungerstreik wurde er zwangsweise ernährt, aufgrund seines heftigen Widerstands dagegen wochenlang mitHandschellen und Gurten an ein Bett gefesselt und danach lange Zeit mit Depotinjektionen von Neuroleptika behandelt.
Das psychiatrische Krankenhaus hatte alle Post dem Sachwalter zur Auswahl der weiterzuleitenden Schriftstücke übermittelt. Eine große Zahl von Briefen Herczegfalvys wurde zurückbehalten. Auch der Bezug von Büchern und Zeitschriften sowie der Empfang von Radio- und Fernsehsendungen wurde zeitweiseeingeschränkt. Die nach dem Gesetz jährlich vorzunehmenden Haftprüfungen wurden wesentlich seltener durchgeführt, zahlreiche Anträge auf Haftprüfung blieben unerledigt. Die Kommission sah in all dem einstimmig bzw. mit großer Mehrheit (EuGRZ 1992, 583) die Verletzung mehrerer Menschenrechte (Art. 3,5 Abs. 1 und 4, 8, 10 und 13 MRK).
Der Gerichtshof entschied jedoch (einstimmig) völlig anders und hielt fast alle Zwangsmaßnahmen für gerechtfertigt (Urteil vom 24.09.1992, EuGRZ 1992, 535): Er sah nur in den zu seltenen Haftprüfungen und in den Eingriffen in den Briefverkehr und das Recht auf Zugang zu Informationen eine Verletzungder MRK. Die österreichische Regierung hatte damit argumentiert, daß das Krankenanstaltengesetz in Par. 51 erlaubt, daß Personen in psychiatrischen Kliniken in ihren Beziehungen zur Außenwelt beschränkt werden können. Diese vage Bestimmung war dem Gerichtshof zu wenig. In den Art. 8 bzw. 10 MRKheißt es, Beschränkungen des Rechts auf Achtung des Briefverkehrs bzw. des Zugangs zu Informationen seien nur dann zulässig, wenn sie "gesetzlich vorgesehen" (und in einer demokratischen Gesellschaft für bestimmte Zwecke notwendig) sind.
"gesetzlich vorgesehen" bedeutet dabei nach Ansicht des Gerichtshofs, daß das Gesetz Ermessensspielräume so eng setzen muß, daß ein "Mindestmaß von Schutz gegen Willkür" gewährleistet ist. Dazu gehören nähere Regelungen "über die Art und den Zweck, die Dauer und den Umfang der zulässigenBeschränkungen sowie über Anfechtungsmöglichkeiten".
Pfeifer und Plankl gegen Österreich
Auch in diesem Fall geht es um die Einschränkung des Briefverkehrs. Frau Plankl und Herr Pfeifer waren beide in Untersuchungshaft. Die Untersuchungsrichterin machte einige Passagen eines Briefs Plankls an Pfeifer unleserlich, weil diese "Witze beleidigenden Inhalts gegen Justizwachebeamte"enthielten. Der Gerichtshof räumte ein, daß die Kontrolle des Schriftverkehrs inhaftierter Personen in einem gewissen Umfang nicht gegen die MRK verstößt. Da die österreichischen Behörden allerdings den Inhalt der entsprechenden Passage nicht mehr rekonstruieren konnten, folgte der Gerichtshof derDarstellung Frau Plankls. Diese hatte angegeben, daß der Brief zwar einige deftige Ausdrücke, aber eigentlich Kritik an den Haftbedingungen und am Verhalten bestimmter Beamter enthielt.
Daher wertete der Gerichtshof den Brief als reinen Privatbrief und verwies auf den Fall Silver u. a. gegen Großbritannien: Schon dort habe er festgestellt, daß es in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei, Briefe zurückzuhalten, die darauf angelegt sind, Gefängnisbehörden verächtlichzu machen. Daher liege eine Verletzung von Art. 8 MRK vor (EGMR: Urteil vom 25.02.1992, EuGRZ 1992, 99, EKMR: EuGRZ 1991, 571).
Niemietz gegen Deutschland
Der Rechtsanwalt Niemietz war mehrere Jahre lang Vorsitzender der im Stadtrat von Freiburg im Breisgau vertretenen "Bunten Liste". Diese Partei verfügte nur über eine Postfachadresse, die Korrespondenz wurde über die Kanzlei des Anwalts abgewickelt. Im Dezember 1985 erhielt ein Richter desAmtsgerichts Freiburg ein Telefax des "antiklerikalen Arbeitskreises" der Bunten Liste, in dem er scharf kritisiert und aufgefordert wurde, in einem bestimmten Verfahren einen Freispruch zu fällen. Daraufhin wurde gegen den unbekannten Verfasser des Telefax ein Strafverfahren wegen Beleidigungeingeleitet und eine Hausdurchsuchung in der Kanzlei des Anwalts durchgeführt.
Der EGMR hatte sich nun mit der Frage zu beschäftigen, ob das durch Art. 8 MRK garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens und der Wohnung auch für Geschäftsräumlichkeiten gelte. Die EKMR hatte das im Falle eines Rechtsanwaltes bloß deshalb bejaht, weil zwischen einem Anwalt und seinen Mandantenein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe. Dieses Abgrenzungskriterium zwischen geschütztem "privatem" und ungeschütztem "beruflichem" Bereich war dem Gerichtshof aber zu vage, da seiner Ansicht nach alle geschäftlichen Tätigkeiten in größerem oder geringerem Umfang vertrauliche Angelegenheitenbetreffen.
Der Gerichtshof stellte fest, daß der Begriff "Privatleben" nicht nur auf jenen engen Kreis beschränkt werden dürfe, in dem der Einzelne seine persönliche Lebensführung nach Belieben gestalten und von dem er die Außenwelt völlig ausschließen könne. Vielmehr gehört zum Recht auf Achtung desPrivatlebens auch das Recht, Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen und zu entfalten. Da diese Beziehungen zur Außenwelt bei vielen Menschen gerade im Beruf aufgenommen werden, könne man das Berufsleben nicht vom Privatleben abgrenzen. - Der Gerichtshof stellte im konkreten Fall eineVerletzung von Art. 8 MRK sowohl im Hinblick auf die Achtung der Wohnung als auch im Hinblick auf die Achtung des Briefverkehrs fest.
Das Urteil des EGMR (Urteil vom 16.12.1992, EuGRZ 1993, 65) bestätigt eine schon länger geübte Rechtsprechung dieses Gerichtshofs, die das Recht nach Art. 8 MRK auch auf Geschäftsräume anwendet. - In der EU legt der Europäische Gerichtshof Art. 8 MRK anders aus (wir haben in DIR 4/93, S. 66berichtet). Der EuGH hat Art. 8 MRK zwar auch einmal auf Geschäftsräume angewendet (im National-Panasonic-Fall 1980), später (im Hoechst-Fall 1989) ist er jedoch wieder davon abgegangen, weil nicht alle EU-Staaten dieses Grundrecht so auslegen. Da die EU keinen eigenen Grundrechtskatalog hat, wendetder EuGH nämlich nur jene Grundrechte an, die allen EU-Staaten gemeinsam sind.
Open Door und Dublin Well Women gegen Irland
"Open Door" und "Dublin Well Women" sind Beratungsstellen, die schwangere Frauen über die Möglichkeit einer Abtreibung im Ausland, vor allem in Großbritannien, informierten. Diese Beratungstätigkeit wurde ihnen von irischen Gerichten, zuletzt auch vom irischen Supreme Court untersagt. Der EGMRentschied in seinem Urteil vom 29.10.1992 (EuGRZ 1992, 484), daß dadurch Art. 10 MRK (Recht auf Meinungsfreiheit) verletzt wurde, da ein derartiges Verbot in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei.
Grogan gegen Irland (EuGH-Urteil)
Die Frage der Zulässigkeit der Informationsverbreitung über Abtreibungsmöglichkeiten hatte auch der irische Supreme Court zu entscheiden. Irische Abtreibungsgegner hatten den Studentenvertreter Grogan und andere wegen der Verbreitung einer Broschüre über die Möglichkeit einer Abtreibung inGroßbritannien geklagt.
Da (Höchst-)Gerichte von EU-Staaten EU-Recht nicht selbst auslegen dürfen, holte der irische Supreme Court beim EuGH im sogenannten Vorabentscheidungsverfahren ein entsprechendes Rechtsgutachten ein (Urteil des EuGH vom 04.10.1991, EuGRZ 1992, 491). Der EuGH entschied, daß ein ärztlicherSchwangerschaftsabbruch, der gemäß dem Recht jenes Staates vorgenommen wird, in dem er stattfindet, eine Dienstleistung im Sinne von Art. 60 EG-Vertrag sei. Ein EU-Mitgliedsstaat, in dem die Abtreibung verboten ist, kann einer Studentenvereinigung die Verbreitung entsprechender Informationenuntersagen - aber nur, soweit sie nicht von den betreffenden Kliniken selbst ausgeht.
In diesem Fall prüfte der EuGH nur nach gewöhnlichen europarechtlichen Maßstäben und nicht nach Kriterien der Menschenrechtskonvention. Da er nur im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nur die vom nationalen Gericht gestellte Frage beantworten muß, hatte er nur zu prüfen, ob das Verbot derInformationsverbreitung einer der "vier Freiheiten" der EU (hier: der Dienstleistungsfreiheit) oder anderen EU-Bestimmungen entspricht. Wie die MRK in diesem Zusammenhang anzuwenden sei, hat der EuGH nicht entschieden, weil er vom irischen Supreme Court nicht danach gefragt worden war. Und da dieMRK nicht zum EU-Recht gehört, ist das irische Höchstgericht auch nicht verpflichtet, derartige Fragen dem EuGH vorzulegen. Wie der Supreme Court den Fall dann entschieden hat, ist uns leider nicht bekannt.
Art. 6 Abs. 3 MRK: "Jeder Angeklagte hat mindestens (englischer Text) insbesondere (französischer Text) die folgenden Rechte: ...
c) sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d) Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken; ..."
Art. 8 MRK: "(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftlicheWohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."
Art. 10 MRK: "(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nichtaus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.
(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit,der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder dasAnsehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, unentbehrlich sind."
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