1994/12/31 Droht der Große Lauschangriff?
DIR Rudolf Vymazal
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Rudolf Vymazal
Ein Gespenst geht um in Europa. Organisierte Kriminalität wird zum Tagesthema, ihre Bedrohung scheint allgegenwärtig, soll man den Medien glauben. In den Hintergrund gedrängt wird - wie bei der Diskussion um die Terrorismusbekämpfung in den siebziger Jahren - die schleichende Demontage derGrundrechte.
Themen des Tages
Die innenpolitische Aufrüstung ist in vollem Gange - europaweit. Die Durchlässigkeit der Grenzen für Waren und Kapital im Vereinten Europa ist auch eine Durchlässigkeit für damit verbundene kriminelle Geschäfte. Die Größe der EU bei ihrer gleichzeitigen strukturellen Vielfalt bringt Probleme mitsich, die ein Kleinstaat wie Österreich niemals hatte. Kriminalität hat die Chance, sich im Stil internationaler Konzerne zu etablieren. Der Ruf nach neuen Formen der Verbrechensbekämpfung wird laut. Damit scheint aber auch die Zeit für jene gekommen, denen der Bürger in seiner Unberechenbarkeitimmer schon suspekt war und die ihren Regierungsgeschäften lieber geradliniger, und vom Störpegel demokratischer Meinungsäußerung abgeschottet nachgehen wollen.
Prävention heißt das Schlagwort. Nicht mehr allein das Ausforschen von Tätern soll auf der Tagensordnung stehen, sondern auch ungehinderter Blick auf alle jene, die potentiell als Täter - bei welchem Delikt auch immer - in Frage kommen könnten.
Eloquent werden die großen Gefahren für den Staat beschworen: Organisierte Kriminalität - vulgo "Mafia" (mit beliebig variierbaren nationalen Attributen), Drogenkartelle, Waffenschieber, Geldwäsche, Plutoniumschmuggel, Menschenhandel, politische (derzeit mal rechtsextreme) Gewalttaten sind es, dieuns alle nötigen sollen, einen Teil unserer Bürgerrechte im Kampf dagegen zu Markte zu tragen.
Ein spektakulärer Mord im Dunstkreis einer nicht näher bezeichneten "Russenmafia" und das glücklose Agieren von Polizei und Innenministerium in der Serie der Briefbombenattentate ließ auch in Österreich einige Politiker vorpreschen und - wie in Deutschland bereits als Diskussion vorexerziert - denRuf nach mehr Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive laut werden. "Lauschangriff" hieß es drüben, und Innenminister, Sicherheitssprecher und Pressereferenten diverser Parteien sorgten dafür, daß dieses Vokabel auch in Österreich den nötigen Bekanntheitsgrad erhielt.
Wobei VP-Sicherheitssprecher Hubert Pirker diese Begriffsbildung um eine österreichische Variante bereichern wollte - mit einer Konsequenz, als gälte es, einen Roman von 1948 endlich Wirklichkeit werden zu lassen: Er verordnete Neusprech: nicht "Lauschangriff" dürfe es heißen, sondern "Lauschabwehr"- eben zum Zweck der "Abwehr" von Kriminalität.
Was soll nun diese Vorwärtsverteidigung des Rechtsstaates innerhalb der Privatwohnungen? Nicht hinter jeder Türnummer verbirgt sich schließlich ein Gangsternest.
Spitzel und Wanzen
Das neue Sicherheitspolizeigesetz (SPG 1991) legt fest, was Fahnder heute schon tun dürfen - das ist eine ganze Menge, und die bemißt sich an dem, was das SPG unter "organisierter" oder Bandenkriminalität versteht. Es dürfen im Zuge der Verdeckten Ermittlung Beamte in verdächtige Kreiseeingeschleust werden, diese können milieukonform agieren und dürfen sogar Straftaten dulden, sofern keine Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter besteht (SPG Par. 23). Sie dürfen Ton- und Bildaufzeichnungsgeräte für ihre Ermittlungen benützen, sprich - mit Wanzen und Miniaturkameras Beweismittelsammeln (SPG Par. 54). Es ist ihnen lediglich verwehrt, selbst Straftaten zu begehen und auch in Privatwohnungen einzudringen, um dort ihre Aufzeichnungsgeräte zu installieren.
Dieses Konzept der "bemannten Wanze" läuft in Deutschland unter dem Begriff des "Kleinen Lauschangriffs". Im Gegensatz dazu umfaßt der von einem Teil der bundesdeutschen Politiker und auch von Löschnak favorisierte "Große Lauschangriff" das Abhören von Privatwohnungen mit Richtmikrofonen und Wanzen,weitergehende Möglichkeiten in der Verdeckten Ermittlung über agents provocateurs, also aktiv an milieuspezifischen Straftaten teilnehmende Beamte, sowie "gezielte Einschränkungen des Datenschutzes" (Robert Elmecker, SPÖ), soll heißen, das ungehinderte Zusammenführen von Datenbeständen außerhalb desExekutivbereichs zwecks Rasterfahndung.
Die Angst der Bürger
Es existiert zweifellos ein allgemein erlebbarer Anstieg der Kriminalität mit regionalem Schergewicht in den städtischen Ballungsgebieten: der Fahrraddiebstahl, der Handtaschenraub, die aufgebrochene Wohnung oder das entwendete Auto sind jene Erfahrungen der Bevölkerung, die das allgemeineSicherheitsgefühl auf das Entscheidendste beeinträchtigen. Zumal bei diesen Formen der breit gestreuten Kleinkriminalität die Exekutive hoffnungslos überlastet und die Aufklärungsquote in diesem Sektor deprimierend ist.
Ein zweiter medial weitaus spektakulärerer Unsicherheitsfaktor wird pauschal unter dem Sammelbegriff "rechtsextremistische Gewalttaten" zusammengefaßt - und in Zusammenhang damit eine Staatsgefährdung heraufbeschworen, die der Sache kaum gerecht wird. Gilt es doch zu unterscheiden zwischenvereinzelten Delikten, die geradezu an die Handschrift geheimdienstlicher Akteure erinnern, wie die Briefbombenattentate, und andererseits wieder einer breiten Streuung von jenem dumpfen, hakenkreuzdekorierten Halbstarken-Vandalismus, der viel mehr als Produkt sozialer Verwahrlosung an den Rändernunserer Gesellschaft zu sehen ist, denn als brennende politische Lunte.
Es hieße, populistischen Etikettenschwindel zu betreiben, wenn als Allheilmittel gegen diese diffusen Unsicherheitspotentiale solch enorm erweiterte Rechte der Exekutive, wie Lauschangriff, V-Männer und Rasterfahndung ins Treffen geführt werden. Weder das Taschendiebstrio (nach Löschnak-Definitionbereits "organisierte Kriminalität"), noch die Skinheadgruppe werden von solchen Maßnahmen tatsächlich ernstzunehmend berührt.
Zahlreiche Politiker - aus den verschiedensten Lagern - teilen solche Skepsis. Zwar könnte man sich in Sachen "Lauschangriff" bei entsprechender medialer Aufbereitung einer kurzfristigen Zustimmung in der Bevölkerung gewiß sein, doch eben diese Bevölkerung wird schnell die Erfahrung machen, daßsolche Maßnahmen keinerlei Besserung der Situation im Kleinen bewirken - und erst recht wieder jene wählen, die die lautesten und einfachsten Lösungen propagieren.
Organisierte Kriminalität
Seit der Ost-Öffnung ist sie in aller Munde. Dabei handelt es sich keineswegs um ein neues Deliktfeld, im Gegenteil - bereits seit den zwanziger Jahren können Ursachen, strukturelle Bedingungen, und Wirken Organisierter Kriminalität studiert werden - Al Capone und seine Gesellen sind sogar einThema, an dem sich zahllose Filmregisseure mehr oder weniger überzeugend versucht haben. Wo immer der Allerweltsbegriff "Mafia" fällt, sollte man diese also erst an den historischen Vorbildern messen.
Die Kriminalstatistik kann als Beleg für das Ausmaß der Organisierten Kriminalität kaum herhalten. Zu diffus ist die Charakterisierung durch Löschnaks Mannen: bandenmäßige - oder organisierte - Kriminalität besteht bereits, wenn sich drei oder mehr Menschen mit dem Vorsatz verbinden, fortgesetztgerichtlich strafbare Handlungen zu begehen - so sieht es das Sicherheitspolizeigesetz von 1991.
Ob eine Jugendbande, die sich ihr Taschengeld mit Fahraddiebstahl regelmäßig auffettet, damit tatsächlich als OK in die Statistik eingeht, wäre an dieser Stelle eine wesentliche Frage. Denn mit einer solchen Etikettierung würde ein Teil der typischen Kleinkriminalität via Sicherheitsberichtplötzlich zu staatsgefährdender Dimension erhoben. So kann auch der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, Michael Sika, völlig unhinterfragt den Anteil der OK an den gesamten Straftaten mit 25 bis 30 Prozent postulieren und Nachweise schuldig bleiben.
Legen wir daher einmal Kriterien fest, die international anerkannt sind und das Phänomen der OK praktikabel umreißen. Organisierte Kriminalität wäre demnach eine von Gewinnstreben bestimmte, planmäßige Begehung von Straftaten durch mehrere Beteiligte, die auf längere Dauer angelegt ist und
1. bei der geschäftsähnliche bzw. gewerbliche Strukturen, sowie Arbeitsteiligkeit vorzufinden sind,
2. wo zur Erreichung ihrer Ziele Methoden der Gewalt bzw. der Einschüchterung eingesetzt werden und
3. bei der auf die Einflußnahme bzw. Funktionalisierung von politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Stellen im Sinne ihrer Tätigkeit abgezielt wird.
Mit dieser Definition wird eines klargestellt: ein halbes Dutzend Autoschieber, die in Eigenregie gemeinsam stehlen, schmuggeln und hehlen, sind noch keine OK oder "Mafia" - auch wenn es in der kleinformatigen Presse populär ist, die Dinge so zu sehen. Erst wenn jenseits der Grenze Gewerbebetriebeexistieren, die das "Importgut" völlig offen vermarkten, die sich offizielle Zulassungspapiere problemlos verschaffen können und denen es vielleicht auch noch gelungen ist, daß Zöllner an einer Grenzstation regelmäßig beide Augen zudrücken, wenn ein Konvoi von Luxuskarossen passiert - erst dann wirdaus der bandenmäßigen Zusammenarbeit jene OK, die auch über ihr kriminelles Umfeld hinaus zur Machtausübung imstande ist.
Genau dies charakterisiert den entscheidenden Unterschied zwischen "gewöhnlicher" und Organisierter Kriminalität: während erstere die Strafverfolgung als erschwerende Randbedingung ihrer Tätigkeit einfach akzeptieren muß, versucht letztere, diese Randbedingungen in ihrem Sinne zu modifizieren bzw.auszuschalten - etwa gezielt durch Bestechung, Erpressung oder politische Einflußnahme. Das bestehende Kräfteverhältnis zwischen Polizei/Justiz und Kriminalität soll nachhaltig und wirksam zugunsten letzterer verändert werden. Und eben darin - und nicht im materiellen Schaden - besteht diestrukturelle Gefährdung für Staat und Gesellschaft. Es wäre also zuerst festzustellen, in welchem Ausmaß und mit welcher Relevanz derartige Tendenzen in Österreich bereits auszumachen sind.
Verbrechensprävention
Präventivmaßnahmen gegen das Verbrechen sind grundsätzlich nichts Neues. Jede Alarmanlage, jeder Nachtwächter dient der Prävention. Allerdings beschränkt sich die Verbrechensprävention neuen Stils nicht mehr allein auf die Abwehr konkreter Gefährdungen - wie es etwa beim Schutz von Sachgütern durcheine Wachmannschaft der Fall ist. Vielmehr werden abstrakte Risikokalküle herangezogen, um bereits in nichtkriminellem Vorfeld Abwehrmaßnahmen zu setzen. Man will sich nicht mehr damit begnügen, Wachpatrouillen im Atomkraftwerk zu stationieren, man registriert Kraftfahrzeuge mit "Nein-Danke"-Klebernin der Umgebung und eruiert deren Besitzer - auf alle Fälle.
Das ist das umstrittene Konzept der Vorfeldüberwachung - polizeiliche Ermittlungstätigkeit orientiert sich dann nicht mehr am Katalog des Strafgesetzbuches und ist damit rechtsstaatlich determiniert, sondern agiert aufgrund von Wahrscheinlichkeitskriterien, allgemeinen Erfahrungswerten undwechselnden, meist unhinterfragten kriminalsoziologischen Theorien. Und das bereits in Bereichen, die mit Kriminalität noch absolut nichts zu tun haben. Wie weit diese ausgedehnt werden können, ist dabei nicht mehr Thema legistischer Regelung, sondern liegt im tagespolitischen Ermessen, kann aberauch Ausdruck schlichten Machtkalküls einer Staatsführung sein.
Der wesentliche Unterschied der Prävention neuen Stils zum Nachtwächter: mit diesem kommt man nur in Konflikt, wenn man über den Zaun klettert. Zum Opfer einer Rasterfahndung oder präventiver Ermittlung wird man ohne eigenes Zutun, wenn man zufällig irgendwelche allgemeinen Kriterien für das Tatbildoder die "Risikogruppe" erfüllt. Das kann auch ganz beliebig das Alter, der Beruf, die Automarke, der Stromverbrauch, der Kontostand oder die Religionszugehörigkeit sein. Gesetzeskonformes Verhalten schützt demnach nicht mehr vor dem Zugriff des Staates. Von Durchschnittswerten abweichendesVerhalten kann zum Gegenstand von Ermittlungen werden und sogar die Notwendigkeit der Rechtfertigung nach sich ziehen. Jedes Individuum kann betroffen sein, der Unterschied zwischen dem "anständigen Bürger" und dem Kriminellen verschwimmt aus der Sicht der Ermittlungsbehörden.
Welch verheerende Wirkung auf das soziale Zusammenleben solch breit angelegte Datensammlung und Bespitzelung der Bevölkerung ausübt, wurde vor zwei Jahren in Deutschland erkennbar, als die Diskussion um die Weiterverwertung der Stasi-Akten der ehemaligen DDR geführt wurde. Hier wurde mit einemSchlag bewußt, welch riesiges Informationspotential da jahrzehntelang im Geheimen schlummerte und welche Sprengkraft die Stasi-Recherchen heute immer noch haben. Eine Aufweichung von Datenschutz und Recht auf Privatsphäre kann langfristig nur zur Entwicklung solcher "Sicherheitsdienste" führen.Spätestens dann, wenn eine Regierung skrupellos genug ist, die sich ihr bietenden Machtmittel auch bis ins Letzte auszuschöpfen.
So ist ein Szenario durchaus vorstellbar, wo es nicht mehr allein darum geht, dubiose Import-Export-Unternehmen auf Waffenschiebereien zu durchleuchten, Grenztransit von Drogen und Schleppern zu unterbinden und geldwaschende Scheinfirmen und Pyramidenspielbetrüger im Auge zu behalten.Umweltschützer, Kraftwerksdemonstranten vor Ort oder im Geiste, Transitverkehrs- oder Tierversuchsgegner, Neutralitätsbefürworter (oder -gegner, je nach Jahrzehnt), alles was heute Unruhe und Diskurs hervorzurufen imstande ist (und morgen vielleicht schon etablierte Politik darstellt), kann nach denvagen Kriterien präventiver Risikokontrolle zum Gegenstand (staats-)polizeilicher Datenkollektion werden.
Hätte vor zehn Jahren ein Innenminister Blecha im Fall Hainburg ein solches Instrumentarium, wie es in der gegenwärtigen Diskussion gefordert wird, in vollem Ausmaß zur Verfügung gehabt, und über genügend Zynismus und Entschlossenheit verfügt, es im Auftrage einer Regierung auch rücksichtsloseinzusetzen, das Resultat wäre einem kalten Putsch gleich gewesen - nämlich die Enthauptung und totale Entmündigung politischer Gegenspieler mit polizeilichen Mitteln. Österreich wäre dann im politischen System von einem mittelamerikanischen Kleinstaat kaum mehr unterscheidbar gewesen: dieOpposition im Untergrund oder im Gefängnis. Und so fern liegen uns diese Dinge nicht: vor genau sechzig Jahren wurde hierzulande ein solches Szenario - mit primitiveren Mitteln - schon einmal generalgeprobt.
Crime Pays
Wie schon erwähnt, ist ein Kriterium Organisierter Kriminalität die wirtschaftskonforme Struktur. Das Wirken einer OK liegt also für die ermittelnden Behörden nicht unmittelbar auf der Hand. Es existieren Firmen, Bankkonten, es gibt ein Management, und es gibt auch Lobbies und andere Mittel derEinflußnahme nach außen. Äußerlich ist einem Firmenschild nicht anzusehen, welche Art von Unternehmen sich dahinter verbirgt. Aber typisch für alle Formen der OK sind die phänomenalen Gewinnmöglichkeiten in den illegalen Märkten - egal ob es sich um Waffenschieber oder Drogenhandel, um Anlagebetrugoder neuerdings auch um internationalen Mülltourismus handelt.
Die Logik unternehmerisch begangener Kriminalität unterscheidet sich aufs erste in nichts von der Logik normaler Wirtschaftstätigkeit. Zur Abgrenzung ist daher oft spezielles Wissen nötig, woher die Gewinne lukriert werden, und welcher Mittel sich die unternehmerische Tätigkeit bedient.
So sind die Methoden von Drohung, Korruption und Terror zumeist nicht in die "sauberen" Strukturen der Firmen integriert, sondern agieren äußerlich völlig unabhängig. Ansonsten wären den Fahndern zu leicht Angriffsflächen auf die Hintermänner geboten. Auftraggeber eines bezahlten Killersbeispielsweise auszuforschen ist oft genug ein vergebliches Puzzlespiel. In diesem Milieu hat weder ein agent provocateur, noch der Lauschangriff große Chancen. Der Polizeispitzel müßte im Zuge seiner Aufgabe sich entweder selbst als Killer qualifizieren, oder sich auf der anderen Seite den Zugangin die Führungsetage eines kriminellen Unternehmens erarbeiten.
Gehört andererseits der Lauschangriff zum polizeilichen Repertoire, so darf angenommen werden, daß sich - nach einer gewissen Gewöhnungsphase in der einschlägigen Branche - die Kommunikation der Ehrenwerten Gesellschaft an die neue Bedrohung anpaßt. Kompromittierende Aufträge werden dann nicht mehrvom Ermittler nachvollziehbar über ein Firmentelefon abgewickelt, sondern etwa auf offener Straße via anonymem Satelliten-Handy. Regelmäßige Datenströme einer Firma wiederum sollten schon aus ureigenstem Geschäftsinteresse möglichst unknackbar verschlüsselt sein, auch dann, wenn das Gewerbe einehrbares ist.
Eine viel wichtigere Spur zu den Hintermännern mafioser Organisationen sind aber die Geldflüsse und Gewinnquellen. Durch bloßes Abhören ist oft gar nicht unterscheidbar, ob eine Firma reale Geschäfte tätigt oder auf Anlagebetrug aufgebaut ist. Wohl aber durch Analyse der Bilanzen, durch Nachvollzugder Finanztransaktionen und ihrer wertmäßigen Äquivalente. Hier sind James Bonds nicht mehr gefragt, hier müssen Fachleute ans Werk.
Polizeiliche Datensammlung
Erfahrungen aus den USA zeigen, daß im Zuge einer Abhöraktion, die einen Täter überführen soll, im Schnitt hundert Unbeteiligte von dieser Maßnahme mit betroffen sind. Sie alle sind auf nicht näher bestimmbare Zeit Zielobjekt des Interesses der Ermittlungsbehörden. Wie solche Informationen aus demUmfeld dann in die polizeiliche Datensammlung Eingang finden, zeigt die Praxis konventioneller Ermittlung:
Wird beispielsweise bei der Durchsuchung eines Drogendealers eine Visitenkarte eines Versicherungsangestellten gefunden, so wandern dessen Daten ebenfalls in den Fahndungscomputer - nicht als unmittelbar zu verfolgende Person, sondern als "Umfeld"; es handelt sich dabei um sogenannte "WeicheDaten", die im Zuge weiterer Ermittlungen zur Verknüpfung bereitstehen. Unbekannt und für die Fahnder vorerst einmal unerheblich ist es, ob besagter Angestellter lediglich das Pech hatte, einem Kriminellen eine KFZ-Versicherung zu vermitteln, oder ob er in Zusammenhang zum verfolgten Delikt zu sehenist. Taucht derselbe Name nun in ähnlich gelagerten Ermittlungen wiederum auf, so handelt es sich entweder um einen sehr erfolgreichen Versicherungsberater oder - was den Fahndern entgegenkäme - um eine Schlüsselperson, die einer weiteren Überwachung bedarf.
Wie weit nun eine Umfeldüberwachung einer krimineller Handlungen verdächtigten Person geht, ist dann in erster Linie eine Frage der Ermittlungsökonomie. Für die unverschuldet Betroffenen ein schwacher Trost, daß die privacy in der Praxis nur mehr durch personelle Überlastung und Unzulänglichkeit desSicherheitsapparates garantiert ist und nicht mehr durch Gesetz. Und diese Beschränkung zu beheben, ist nur mehr ein technisch-administratives, aber kein politisches oder legistisches Problem mehr.
Bemerkenswert ist hiebei eine Zwiespältigkeit bezüglich der Zufallserkenntnisse im Zuge der Ermittlungstätigkeit. Also Erkenntnisse über strafbare Handlungen, die mit dem verfolgten Delikt in keinerlei Zusammenhang stehen. Es kann beispielsweise im Zuge einer Drogenfahndung ein völlig Unbeteiligterüberwacht werden, von dem die Polizei nebenbei in Erfahrung bringt, daß dieser Raubkopien von Computerprogrammen vertrieben hat.
Einerseits soll das Prinzip gelten, daß solche Informationen nicht in Strafverfahren gegen Dritte verwendet werden dürfen, andererseits sind diese Erkenntnisse als "Weiche Daten" faktisch vorhanden, werden unabhängig vom konkreten Fall weiterverknüpft und können so indirekt zur Beweissicherungbeitragen. Auch könnte die durchaus gängige Praxis, einen Verdächtigen angesichts mangelhafter Beweislage erst einmal anhand von Bagatelldelikten ("Widerstand gegen die Staatsgewalt", "Ruhestörung", "Ungestüm") unter Verschluß zu bringen, eine unerwünschte Ausweitung erfahren.
Gefahren für Rechtsstaat und Datenschutz
Die mit präventiver und Umfeldermittlungstätigkeit verbundene klandestine Ausweitung der Datensammlung, und auch die angestrebte Funktionalisierung beliebiger, nicht kriminalitätsbezogener Datenbestände für Ermittlungszwecke bewirkt langfristig ein ständig steigendes Gewicht, eine zunehmendeMachtfülle auf Seiten der Überwachungsbehörden. Der Schritt zu einem allumfassenden "Staatssicherheitsdienst", mit dem sich jede politische Führung erst einmal arrangieren muß, ist dann nur mehr klein.
Die argumentative Verkürzung mancher Befürworter auf den Standpunkt "Datenschutz ist Täterschutz" läßt aber auch außer Acht, daß mit der Aufgabe des Schutzes personenbezogener Daten elementare Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung in Frage stehen. Datenschutz ist Schutz der Person - und auch werGesetze übertritt, genießt in unserer Rechtszivilisation gleichermaßen unveräußerliche Persönlichkeitsrechte, die ausschließlich via Justiz, und dann in exakt definiertem Ausmaß einzuschränken sind.
Durch diese Sicherheit des Rechtsgefüges, in die jeder Bürger sein Vertrauen setzen kann, unterscheidet sich ein zivilisiertes Staatswesen von brutaler Willkürherrschaft. Und diese Sicherheit ist heute wichtiger denn je: in der beständigen Zunahme administrativer Strukturen und deren Verlagerung indie elektronische Datenverarbeitung ist Datenschutz heute und in Zukunft für das Individuum ein mindestens ebenso unverzichtbares Prinzip, wie das Recht auf physische Unversehrtheit.
Die Aufhebung der Grundrechte des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre ist demnach beileibe keine Bagatelle. Der geringfügige Vorteil, der gegenüber einer Minderheit von Gesetzesbrechern erzielt wird, steht in keinem Verhältnis zu der Rechtsbeschränkung, die damit der gesamten Bevölkerungwiderfährt.
Gegenüber dem fragwürdigen Erfolg eines Großen Lauschangriffs steht also auf der einen Seite die praktische Aufgabe etablierter rechtsstaatlicher Prinzipien: Die Unschuldsvermutung wäre damit über Bord geworfen - die faktische Beschneidung der Grundrechte tritt zu einem Zeitpunkt ein, wo noch nichteinmal eine Schuldfeststellung vorliegt, ja wo selbst völlig Unbeteiligte betroffen sein können. Ein weiteres heikles Kapitel ist das Zeugnisverweigerungsrecht. Nicht nur Verwandte von Beschuldigten können sich derzeit noch der Zeugenaussage entschlagen, auch für Ärzte, Geistliche oder Journalistengilt in verschiedener Form das Recht, zu einem Fall zu schweigen. Vorhandene Information nicht herauszugeben setzt aber eine intakte und unantastbare Privatsphäre voraus. Mit der Wanze im Beichtstuhl, in der Ordination oder im Telefon des Reporters ist es damit zu Ende.
Auf der anderen Seite ist mit dem erlaubten Zugriff in die Privatsphäre ein derzeit noch unabschätzbares Sicherheitsrisiko für alle davon Betroffenen gegeben. Manch naive Gemüter vermeinen laut, sie hätten als "anständige" Menschen nichts zu verbergen und vergessen dabei das Naheliegendste: ihrenBankomatcode. In der modernen zusehends vernetzten Welt der Telekommunikation wird privacy für den Einzelnen heute wichtiger denn je, denn nicht nur Familienklatsch geht über die Leitung, sondern in immer größerem Ausmaß auch Daten, deren Geheimhaltung für den Betroffenen von existentiellerBedeutung ist. Seien es nun Passwörter für Informations- und Dienstleistungszugänge, Transaktionscodes von Geldüberweisungen, Kreditkartennummern, oder vielleicht ganze Krankengeschichten, die der Hausarzt schon bald per mobilem Terminal via Telefonsteckdose vom Klinikcomputer abruft.
All das, und dabei handelt es sich vielfach um Informationen, deren besonderer Schutz mit hohem Aufwand geregelt ist, läge plötzlich durch eine legistische Hintertür offen zutage; zwar nicht für jedermann, aber für Ermittlungsbehörden, innerhalb derer der weitere Verbleib der Daten völligintransparent wird.
Zielführende Maßnahmen
1.
Neue Befugnisse sind billig zu haben - und vielleicht nicht einmal das Papier wert, auf dem der Gesetzestext gedruckt ist. Qualifikation und zeitgemäßes Knowhow hingegen kosten Geld. Die durchschnittliche Ausbildung der Exekutive reicht heute kaum mehr aus, um die Patrouille zu bewältigen - diemultikulturelle Gesellschaft würde selbst vom Streifenpolizisten ein Bündel an Fremdsprachen verlangen. Auch grundlegende Kenntnisse im EDV-Bereich sind Mangelware und oft nur auf private Neigung und Initiative der Beamten zurückzuführen. Im Bereich der Organisierten Kriminalität - die mitinternationaler Wirtschaftskriminalität Hand in Hand geht - fehlt es dazu noch an wirtschaftskundlichem Insiderwissen.
Ein Beispiel: Dubiose Geldvermehrungsagenturen, wie der auch in Österreich durch aggressive Promotion auffällige European Kings Club agieren international im vollen Licht der Öffentlichkeit. Jeder, der über ein Mindestmaß an betriebswirtschaftlicher Kenntnis verfügt, schätzt leicht ab, daß dieRendite in einem solchen Unternehmen kaum auf rechtem Wege erwirtschaftet werden kann - nur das Wie ist schwer zu ermitteln und noch schwerer ist es, auch handfeste strafrechtliche Tatbestände herauszudestillieren.
Die personelle und materielle Ausstattung der Wirtschaftspolizei hingegen steht in krassem Gegensatz zur Fülle der in den letzten Jahren bekannt gewordenen Fälle an Betrug, fahrlässiger Krida, sonstiger wirtschaftlicher Malversationen. Ein Heer von hochqualifizierten Spezialisten wäre nötig, um alldiese Fälle samt ihren Querverbindungen schnell und zielstrebig zu durchforsten. Denn es genügt nicht, die Buchhaltung einer Schwindelfirma nur zu beschlagnahmen - ein in den finanztechnischen Tricks versierter Fachmann muß dann auch in vertretbarer Zeit in den oft labyrinthartigen Transaktionen ansZiel kommen.
Daß eine "Einsatzgruppe OK" (EDOK) im Innenministerium zumindest im Bereich der internationalen Wirtschaftsdelikte tätig geworden ist, ist für sich allein auch noch kein Erfolgsrezept. Auf diesem Sektor wäre zuerst der Hebel der Reform anzusetzen - das aber kostet zum einen Steuergelder und läßtsich zum anderen nicht so plakativ vermarkten, wie James-Bond-Szenarios mit Wanzen und Agenten.
Aber dann wären auch den heimischen Kriminalisten spektakulärere Erfolge beschieden. So wurde die Gründerin eben jenes European Kings Clubs, Damara Bertges, zwar bei ihrem Auftritt in aller Öffentlichkeit in Kärnten verhaftet, die Lorbeeren gebühren aber den Schweizern und der StaatsanwaltschaftBasel, die offensichtlich erfolgreicher war, die Anklage wegen gewerbsmäßigen Betrugs in Milliardenhöhe zurechtzuzimmern und einen internationalen Haftbefehl zu erwirken.
2.
Die italienische Korruptionskultur, die bis in höchste Stellen von Politik und Wirtschaft reicht, macht darüber hinaus eines deutlich: bei der Verfolgung von Organisierter Kriminalität (in Italien kann man schon von institutionalisierter Kriminalität sprechen) kommt es primär gar nicht auf denEinsatz geheimdienstlicher Methoden an. Denn abhören und Informanten akquirieren kann die - einmal etablierte - Gegenseite genauso, um sich vor der Verfolgung zu schützen. Als viel wichtiger erweist es sich, daß innerhalb der politischen Struktur eines Landes Inseln der Unabhängigkeit undUnkorrumpierbarkeit existieren und auch erhalten werden, wie es jene Mailänder Richter sind, die unbeeindruckt vom politischen Erfolg eines Berlusconi dubiose Machenschaften seines Medienkonzerns weiterhin mit Konsequenz verfolgen.
Gerade der Gewaltenteilung im Sinne einer Sicherstellung unabhängiger Refugien der Rechtsstaatlichkeit steht eine informationstechnische Allmacht der Exekutive diametral entgegen. Denn diese Waffe kann sich nur zu schnell gegen jene Politiker kehren, die vermeinen, den Rechtsstaat damit verteidigenzu wollen. Ein Apparat, der von Rechts wegen überall und jederzeit abhören, bespitzeln und Daten sammeln kann, beschneidet nicht nur ad hoc die durch die Verfassung geschützten Bürgerrechte, er kann in der Folge problemlos jenen Kontrahenden die Trümpfe in die Hand spielen, die zur totalenVernichtung ihrer politischen Gegner antreten.
Insofern ist eine mit zu vielen Befugnissen ausgestattete (Staats)Polizei in einer im Selbstverständnis schon angekratzten Demokratie auch als ein Faktor politischer Instabilität zu werten. Denn hier irrte Mao-Tse-Tung: die politische Macht kommt - im Ernstfall - nicht allein aus den Gewehrläufen.In den technologisch fortgeschrittenen Staaten der Ersten Welt kann Information genauso tödlich wirken wie ein Geschoß.
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