rating service  security service privacy service
 
1994/12/31 Pyramidaler Betrug
DIR In Zeiten der Krise haben Glücksritter Hochkonjunktur. Das in letzter Zeit gehäufte Auftreten von "Selbsthilfeinitiative...

In Zeiten der Krise haben Glücksritter Hochkonjunktur. Das in letzter Zeit gehäufte Auftreten von "Selbsthilfeinitiativen" auf Pyramidenspiel-Basis ließ auch Arge-Daten-Mitarbeiter nicht verschont. Millionengewinne in sechs bis acht Wochen werden zugesagt. Die Methoden der Umverteiler sollendeswegen einmal näher betrachtet werden.

Das Prinzip ist in allen Fällen das Gleiche: Man kontrolliert anhand der beigelegten Fotokopie eines Zahlscheins, ob der Vorgänger den geforderten Betrag von öS 300, 500 oder 1500.- an die Spitze der fünfstufigen Pyramide überwiesen hat, streicht diesen Empfänger daraufhin, setzt sich selbst mit der(Spar)Kontonummer an die letzte (mithin sechste) Stelle und überweist den Teilnahmebetrag an die neu aufgerückte Spitze. Mit diesem scheinbar überzeugenden "Kontrollsystem" soll fürs erste einmal Vertrauen in das Verfahren gewonnen werden.

Darauf sende man den Musterbrief in hundert Kopien an mehr oder weniger wahllose Adressen und möge hoffen daß innerhalb von sechs bis acht Wochen das Märchen von der Goldmarie wahr werde. Zwischen zehn und sechzehn Millionen Schilling versprechen die Autoren. Bei der Adressenwahl wird zum Teilunverblümt der Datenklau nahegelegt: "Ergänzen Sie den Rest nach Ihnen verfügbaren Verzeichnissen: Telefonbuch, Adressen Ihres Vereins" (!) usw.

Natürlich spielt nicht jeder Adressat tatsächlich mit, das weiß heute mittlerweile jedes Kind. Um zu überzeugen, daß das System trotzdem kalkulierbar ist und sicher funktioniert, wird ein Beispiel mit einer prozentuellen Beteiligungswahrscheinlichkeit vorgerechnet. "Der statistische Durchschnitt derletzten Jahre liegt bei 8.06 Prozent" wird behauptet. In einer "Zwischenbemerkung für ganz arge Skeptiker" wird aber bei einer Beteiligung von 5% immer noch ein Millionenertrag in Aussicht gestellt.

Und so sehen die uns zugegangenen, im Text nahezu wortgleichen Angebote aus:

1.

Moneytron Investment System: ein bescheidener Einsatz von öS 300.-, bei 8% Response werden 10 Mio. öS Gewinn prognostiziert. Auf der Liste finden sich fünf Postsparbücher unter dem selben Filialkonto(?) 7000.113, was die Sache recht auffällig macht. Der Initiator scheute offenbar längere Wege. DieAdresse unseres Mitarbeiters auf dem anonymen Brief war handgeschrieben und entstammte wahrscheinlich dem Telefonbuch, ist also ein Zufallstreffer.

2.

Kreatives Selbsthilfe-Projekt: mit dem etwas höheren Einsatz von öS 500.- sollen bei 8 % Response 16 Mio. öS zu erwarten sein. Ein Arge-Daten-Mitglied stellte bei seiner Adresse auf dem Kuvert allerdings eine Besonderheit fest. Sie war mittels Nadeldrucker auf einem Computeretikett, also per EDVgedruckt. Und sie wies ein auffälliges Detail auf, das in dieser Form nur noch bei einem zwei Monate zuvor bestellten Abonnement der Zeitschrift trend zu finden war.

Die Abonnentenadresse ging offenbar ziemlich bald seltsame Wege. Zwei Möglichkeiten waren denkbar:

Erstens: Die Abonnentendatei des trend geriet via Listbroking in die Hände eines kreativen Geschäftemachers, der neuartige Formen des Anonymous Direct Mail erprobt. Nach jüngster Judikatur wäre das leider ein durchaus legaler Vorgang, soferne der Verlag sich via Adressenhandel ein Zubrot verdienenmüßte. Im konkreten Falle wurde diese Möglichkeit vom trend-Zeitschriftenverlag auf Anfrage eindeutig ausgeschlossen. Die nicht allzu professionelle Gestaltung der Aussendung ist in diesem Fall ein weiteres Indiz dagegen.

Zweite und wahrscheinliche Möglichkeit: Ein Mitarbeiter des Verlages bzw. des EDV-Dienstleisters benutzte die Abonnentendatei (bzw. die Neuzugänge Ende 1993) für seine eigenen kreativen Zwecke. Was Anlaß für arbeitsrechtliche Konsequenzen wäre - eine Entlassung ist unter diesen Umständen zweifellosgerechtfertigt. Nach Datenschutzgesetz liegt zudem ein Verstoß gegen Par.48 DSG vor (Geheimnisbruch, Verfolgung allerdings nur auf Antrag des Geschädigten, Strafrahmen ein Jahr). Möglicherweise käme auch Par.49 DSG (Unbefugte Eingriffe in den Datenverkehr, gilt als Offizialdelikt) zur Anwendung.Hiebei wäre aber eine Schädigung des Verlages (bzw. der EDV) die Voraussetzung zur Strafverfolgung - was beim bloßen Kopieren von Daten im allgemeinen noch nicht schlüssig ist, und aufgrund der anonymen, nur in Sonderfällen rückverfolgbaren Aussendung auch keine Rufschädigung des Verlagesvorliegt.

Allerdings verliefen die Nachforschungen bislang im Sande. Immerhin zeigt dieses Beispiel, wie leicht es mitder modernen EDV sein kann, sich Datenbestände widerrechtlich anzueignen. PC-Vernetzung unter Außerachtlassung oft elementarster Sicherheitsvorkehrungen und die weite Verbreitung von PCs imPrivatbereich schaffen ein Risikopotential, das es in der Zeit der abgeschotteten, nur durch Spezialisten bedienbaren Mainframes nie in solchem Ausmaß gab. Das Risikobewußtsein dagegen hinkt der technischen Entwicklung manchmal um ein Jahrzehnt nach.

3.

Eine weitere Variante des Kreatifen Selbsthilfe Projekts (Orthographie laut Original) wurde der Arge Daten mit der Bitte zugespielt, dem Problemkreis Öffentlichkeit zu verschaffen. Hier stieg die Gier des Initiators und damit der Teilnahmebetrag bereits auf öS 1500.-, der Gewinn bei einer

Response von 6 % wurde mit 11 Mio. öS vorgerechnet. Angeblich wurden im September 1994 statt nur 100 insgesamt 200 Adressen angeschrieben, wodurch sich "die Chance verdoppelt". Die Adreßquelle ist dubios, hat doch die Betroffene diese Adresse weder im Telefonbuch, noch an sonstigen "offiziellen"Stellen bisher angegeben. Das handschriftlich adressierte Kuvert könnte so möglicherweise aus der weiteren Nachbarschaft stammen. Fünf Sparbücher mit Allerweltsnamen (R.Fuchs, J.Mayer etc.) bei Filialen in Graz, Krems und Wien täuschen Authentizität vor.

Abschließende Überlegung zu den dargestellten Fällen: Diese Art der Kapitalakquirierung, beschränkt sich nicht allein auf eine globale Perspektive, sondern erfordert geradezu kosmischen Weitblick:

Ein Teilnehmer, der in Position 6 am Projekt teilnimmt (und das tut man notwendigerweise, denn mindestens fünf Teilnehmerebenen sollten nachweislich bereits vor einem liegen), hätte nur dann den zugesagten Erfolg, wenn das Projekt in der beschriebenen Form zumindest bis zur zehnten Runde hält. Inder zehnten Runde werden aber bei einer angeblich zu erwartenden Response von 6 bis 8 Prozent schon zwischen einer und dreizehn Milliarden (!) Adressaten angeschrieben, womit die Direct-Mail-Kapazität dieses Planeten ziemlich erschöpft wäre und die Sache größere Dimensionen annehmen müßte. In der15. Runde müßte bei in Summe einigen Billionen Adressaten wohl jedes beschränkt intelligente Individuum dieser Galaxis bereits den Brief in Händen halten. Die Möglichkeit interstellarer Überweisung von Währungen via SWIFT ist aber noch nicht ganz ausgegoren...

Spaß beiseite, wir haben einmal durchkalkuliert, was es mit dieser Art der Umverteilung auf sich hat:

Der Einzeltäter beginnt das Spiel, indem er fünf Sparbücher eröffnet, und leistet sich dann eine Einzahlung per Zahlschein auf das erste in der Liste. Damit stellt er die Lauterkeit des Systems unter Beweis. Die ebenfalls zu kopierende Rechnung für Porto (100 Briefe zu öS 6.-) isthöchstwahrscheinlich echt - damit erfüllt er schließlich seinen Initialaufwand.

Eine Response von sechs oder gar acht Prozent der Adressaten würde allerdings in Direct-Mail-Kreisen ungläubiges Staunen hervorrufen; nicht einmal die in dieser Jahreszeit berüchtigten Weihnachtsgeld-Attacken diverser Spendenvereine kommen bei Fremdadressen auf solch hohe Werte. Kenner der Materiewissen: mit zwei bis drei Prozent im Mittel liegt man bei Direct Mail eher realistisch. Allerdings ist der Aufwand in unserem Fall für einen Teilnehmer ungleich höher als bei einer bloßen milden Gabe, abgesehen davon, daß diese Geldbeschaffungs-Tricks bereits durch die Medien ein negativer Rufvorauseilt. Was die Beteiligung eher drückt.

Eine angenommene mittlere Response von zweieinhalb Prozent würde dem Initiator bei einem Teilnahmebetrag von 500 Schilling immerhin zwischen öS 50.000 und 80.000.- auf seine fünf Sparbücher bescheren. Mit seinem Mailing-Aufwand hätte er - über die stufenweise Adreßvermehrung - rund 4000 bis 5000Leute erreicht, von denen etwa hundert an das Märchen glauben, zahlen und mitmachen. Ist der Teilnahmebetrag öS 1500.-, wie in unserem letzten Fall, dann verdreifachen sich linear auch die Gewinnerwartungen für den Initiator. Wer später im Spiel steckt, erlebt nur mehr den Zusammenbruch derPyramide. Wahrscheinlicher ist aber heute, daß die Pyramide von allem Anfang an zerbricht und sich bestenfalls ein paar tausend Opferschilling von unverbesserlichen Optimisten auf den Konten sammeln.

RJV




Die angezeigten Informationen und Artikel werden im Rahmen des ARGE DATEN Informationsdienstes kostenlos zur Verfügung gestellt. Alle Angaben sind sorgfältig recherchiert, es wird jedoch für die Richtigkeit keine Gewähr übernommen. Alle Angaben, Aussagen und Daten beziehen sich auf das Datum der Veröffentlichung des Artikels. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass insbesondere Links, auf Websites gemachte Beobachtungen und zu einem Sachverhalt gemachte Aussagen zum Zeitpunkt der Anzeige eines Artikels nicht mehr stimmen müssen. Der Artikel wird ausschließlich aus historischem und/oder archivarischen Interesse angezeigt. Die Nutzung der Informationen ist nur zum persönlichen Gebrauch bestimmt. Dieser Informationsdienst kann professionelle fachliche Beratung nicht ersetzen. Diese wird von der ARGE DATEN im Rahmen ihres Beratungs- und Seminarservice angeboten und vermittelt. Verwendete Logos dienen ausschließlich zur Kennzeichnung der entsprechenden Einrichtung. Die verwendeten Bilder der Website stammen, soweit nicht anders vermerkt von der ARGE DATEN selbst, den in den Artikeln erwähnten Unternehmen, Pixabay, Shutterstock, Pixelio, Aboutpixel oder Flickr.

© ARGE DATEN 2000-2023 Information gemäß DSGVOwebmaster