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1994/12/31 Volkszählungsurteile in Österreich und in Deutschland
DIR Dieter Kronegger ...

Dieter Kronegger


Am Thema Volkszählung sieht man besonders deutlich die Unterschiede der Datenschutzdiskussion und Rechtsprechung zwischen Österreich und Deutschland.


Die Diskussion in Deutschland war nicht nur intensiver, sondern auch viel folgenreicher. Wir stellen hier das bedeutende deutsche Volkszählungsurteil und die jüngst in der amtlichen Sammlung veröffentlichte Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs gegenüber.


Österreich


Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) über ein Gesetz zu beschweren. Die häufigste ist: Man beschwert sich gegen einen Bescheid (der letzten Instanz) und macht dabei geltend, daß die Behörde ein verfassungswidriges Gesetz angewendet habe. Wenn der VfGH das Gesetz fürbedenklich hält, leitet er dann von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung des Gesetzes ein. Führt dieses Verfahren zur Aufhebung des Gesetzes, dann wird auch der Bescheid aufgehoben.


Schwieriger ist es in solchen Fällen, in denen es keinen Bescheid gibt, gegen den man sich beschweren könnte. So zum Beispiel bei der Volkszählung. Die Verpflichtung, die Fragebögen auszufüllen, wird dem Bürger ja nicht durch einen Bescheid mitgeteilt. Für solche Fälle gibt es die Möglichkeit,direkt einen Antrag auf Aufhebung des entsprechenden Gesetzes zu stellen. Allerdings wird dabei streng geprüft, ob das Gesetz tatsächlich direkt in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift.


Dasselbe gilt, wenn man vom VfGH will, daß er eine Verordnung als gesetzwidrig aufhebt. Entweder man macht dies im Rahmen einer Beschwerde gegen einen Bescheid geltend, oder man stellt direkt einen Antrag. Dann muß die Verordnung allerdings in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen.


In Österreich ist die Volkszählung durch das Volkszählungsgesetz geregelt. Es sieht vor, daß alle zehn Jahre mittels Verordnung eine Volkszählung angeordnet wird. Die Bundesregierung erläßt eine Verordnung, mit der der Zähltag festgesetzt wird, der Innenminister legt mit der sogenannten"Drucksortenverordnung" die verwendeten Formulare und damit den Fragenkatalog fest. In ähnlicher Weise ordnet der Wirtschaftsminister die Häuser- und Wohnungszählung (Rechtsgrundlage ist das Bundesstatistikgesetz) und die Bundesregierung die Arbeitsstättenzählung an (Rechtsgrundlage:Arbeitsstättenzählungsgesetz). Die Gesetze gelten jeweils dauerhaft, die Verordnungen werden nur alle zehn Jahre erlassen.


Acht Antragsteller beantragten die Aufhebung von Teilen des Volkszählungsgesetzes sowie der Drucksortenverordnung des Innenministers und der Verordnung zur Häuser- und Wohnungszählung.


Sie machten vor allem die Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Achtung der Privatsphäre (Art. 8 MRK) geltend. Der VfGH ließ die Anträge jedoch gar nicht zu, sondern wies sie als unzulässig zurück. Seine Begründung: Das Gesetz greift nicht direkt in die Rechtssphäre derAntragsteller ein, sondern nur über die Verordnungen. Daher kann das Gesetz auch nicht direkt angefochten werden. Die beiden angefochtenen Verordnungen hingegen standen zum Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH (24. Februar 1992) nicht mehr in Geltung, da sie mit dem Ende der Volkszählung jedenAnwendungsbereich verloren hatten und daher die Rechtssphäre der Antragsteller nicht mehr beeinträchtigen. Nicht mehr in Kraft stehende Verordnungen können jedoch nicht angefochten werden.


Die Antragsteller hätten die Verordnungen also so zeitgerecht anfechten müssen, daß eine Entscheidung des VfGH noch vor der Volkszählung möglich gewesen wäre. Da die beiden Verordnungen jedoch erst am 17. Jänner bzw. am 19. Februar 1991 erlassen wurde und die Ausarbeitung des Antrags beim VfGHnatürlich auch einige Zeit erforderte, wäre es fast unmöglich gewesen, rechtzeitig einen Antrag zu stellen. Dazu kommt, daß der VfGH über derartige Anträge zwar binnen eines Monats entscheiden sollte, in der Praxis aber etwa ein Jahr benötigt. Auch vorläufige Anordnungen kann der VfGH (anders als inDeutschland) nicht erlassen.


Die österreichische Rechtsordnung bietet also keine praktikable Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit einer Volkszählung noch vor ihrer Durchführung beim VfGH überprüfen zu lassen. Möglich ist nur der folgende Weg: Man verweigert die Teilnahme an der Volkszählung, wartet auf einen Strafbescheid undficht diese Strafe bis hinauf zum VfGH an. Da im Zuge der letzten Volkszählung aber nur einige wenige Personen wegen Auskunftsverweigerung bestraft wurden, hat niemand den beschwerlichen Weg durch die Instanzen eingeschlagen.


Deutschland


Auch in Deutschland gelten ähnliche Überlegungen für die Zulassung von Anträgen, die direkt gegen ein Gesetz gerichtet sind. Die Beschwerdeführer hätten theoretisch auch die Aufforderung zur Auskunftserteilung abwarten und sich dann an die Verwaltungsgerichte wenden können, um vorläufigenRechtsschutz zu beantragen. Dann hätten aber - angesichts des Zeitdrucks - die Verwaltungsgerichte innerhalb kurzer Zeit entscheiden müssen und das BVerfG hätte sich in der Folge mit einer großen Zahl womöglich widersprüchlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte befassen müssen. Daher ließ dasBVerfG die direkt gegen das Gesetz gerichteten Beschwerden zu.


Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat gleich zu Beginn seines Urteils ausgeführt, daß es sich durch die zahlreichen Beschwerden angesichts der lückenhaften bisherigen Rechtsprechung genötigt sehe, die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Datenschutzes umfassender zu prüfen.


Wichtigster Kern des Urteils ist, daß der BVerfG aus dem im deutschen Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" ableitet.


"Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. ... Das Grundrecht gewährleistet insofern die Befugnis des Einzelnen,grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen." Im überwiegenden Allgemeininteresse müsse der Einzelne aber Einschränkungen dieses Grundrechts hinnehmen. Solche Einschränkungen bedürfen aber einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich"die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen ... Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten."


Ein gleichwertiges Grundrecht gibt es in Österreich nicht. Der österreichische VfGH hat es auch nicht aus einem anderen Grundrecht abgeleitet.


Das BVerfG unterscheidet dann zwischen personenbezogenen Daten, die nicht anonymisiert erhoben und verarbeitet werden, und solchen, die für statistische Zwecke bestimmt sind. Bei statistischen Daten anerkennt das BVerfG, daß eine enge und konkrete Zweckbindung der Daten nicht verlangt werden kann.Es bestehe auch ein Bedürfnis nach Vorratspeicherung. Ist aber dann die "Vielfalt der Verwendungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten" nicht im voraus bestimmbar, dann müssen dem innerhalb der Informationserhebung und -verarbeitung Schranken gesetzt werden.


Als solche Schranken sieht das BVerfG vor: Daten, die die Gefahr sozialer Abstempelung mit sich bringen (z. B. die Information, ob jemand Insasse oder Bediensteter einer psychiatrischen Anstalt ist), dürfen nicht personenbezogen erhoben werden. In der Erhebungsphase sind besondere Schutzvorkehrungenzu treffen - zumindest Löschungsregelungen über Hilfsangaben, die eine Deanonymisierung leichter machen würden. (In Österreich wurden die Zählungslisten, die Namen und Adressen enthielten, zwar im ÖSTAT vernichtet, aber das war gesetzlich nicht vorgeschrieben.)


Anders als in Österreich ist es in Deutschland möglich, daß das BVerfG dem Gesetzgeber weitere Regelungen auferlegt, die aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten sind. In Österreich kann der VfGH bloß Bestimmungen aufheben, gibt dem Gesetzgeber aber keinen Weg vor, wie das Problem zu lösen ist. DasBVerfG hat dagegen z.B. vorgeschrieben, daß keine Personen als Zählorgane vorgesehen werden dürfen, bei denen aufgrund ihrer dienstlichen Tätigkeit Interessenkonflikte zu befürchten seien. Die Zählorgane sollen auch nicht in der unmittelbaren Nähe ihrer Wohnung eingesetzt werden. In Österreichhingegen waren Gemeindebedienstete bevorzugte Zählorgane.


Weitere vom BVerfG vorgeschriebene Begleitmaßnahmen waren weitergehende Aufklärungs- und Belehrungspflichten (z.B. darüber, daß man sich nicht gemeinsam mit anderen Haushaltsmitgliedern zählen lassen müsse und die Zählungspapiere auch mit der Post senden dürfe) und Löschungsvorschriften (DieIdentifikationsdaten müssen zum frühest möglichen Zeitpunkt gelöscht und bis dahin getrennt von den übrigen Daten unter Verschluß gehalten werden). Außerdem müsse der Gesetzgeber sicherstellen, daß der Inhalt der Fragebögen dem Gesetz entspreche.


Als verfassungswidrig aufgehoben hat das BVerfG die Weitergabe personenbezogener Daten aus der Volkszählung für einen Melderegisterabgleich. Das verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ebenfalls aufgehoben wurden Bestimmungen, mit denen bestimmte Daten (überwiegend ohne Angabe desNamens) an bestimmte Behörden weitergegeben werden durften. Das BVerfG sah dort vor allem das Gebot der Normenklarheit verletzt.


Resümee


Das deutsche BVerfG ließ die Beschwerden nicht nur zu, sondern setzte sich auch umfassend damit auseinander. Die Rechtsprechung des BVerfG war sicher bahnbrechend und man muß feststellen, daß den deutschen Richtern (vor 11 Jahren!) viele Probleme bewußt waren, die in der österreichischen Diskussionnur am Rande eine Rolle gespielt haben - z. B. daß statistische Daten tendenziell auf Vorrat gesammelt werden und die Gefährdung des Persönlichkeitsrechts vor allem in den vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten liegt.


Der österreichische VfGH hingegen hat eine Auseinandersetzung mit der Problematik abgelehnt. Mit der Volkszählung hat sich der VfGH immer nur im Zusammenhang mit Streitigkeiten aus dem Finanzausgleich beschäftigt (z. B. in VfSlg. 9598/1982), aber nie unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsrechtsund Datenschutzes. Dem österreichischen Volkszählungsgesetz ist aber zugutezuhalten, daß nie versucht wurde, Volkszählungsdaten mit anderen Datenbeständen (etwa dem Melderegister) abzugleichen.


Der österreichische Beschluß (VfSlg. 12976/1992) stammt vom 24. 2. 1992, das deutsche Urteil vom 15. 12. 1983 (1 BvR 209/83 u. a.) ist in BVerfGE 65, 1 ff. und in EuGRZ 1983, S. 577 ff. veröffentlicht.




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