1993/12/31 Serie: Rechtsprechung und Informationsrecht
DIR Teil 7: Informationsrecht im Ausland
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Teil 7: Informationsrecht im Ausland
Wie in der letzten Folge angekündigt, werden wir uns diesmal mit Entscheidungen von ausländischen Gerichten beschäftigen. Bei der Auswahl der Fälle sind wir wieder von einem sehr weiten Begriff von 'Informationsrecht' ausgegangen. Es gibt fast keine typischen Datenschutzfälle, dafür einigeEntscheidungen zu Art. 8 MRK. Die Entscheidungen sind durchwegs in der Europäischen Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ) abgedruckt (teilweise sehr stark verkürzt) und werden hier mit Jahrgang und Seite zitiert.
Mehrere Fälle sind Urteile des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) in Lausanne, das mit unserem Verfassungsgerichtshof verglichen werden kann. Es überprüft auf staatsrechtliche Beschwerde hin Gesetze.
Dabei wendet es - auch wenn es einschlägige Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention gibt - bevorzugt die Schweizer Menschenrechte an, die es zu einem guten Teil aus 'ungeschriebenen Grundrechten' und aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitet. Eine staatsrechtliche Beschwerde an dasBundesgericht ist in der Schweiz auch im Strafverfahren möglich. Bei uns werden Verletzungen der Verfahrensvorschriften (und der Verfassung) im Strafverfahren mit Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof geltend gemacht. Andere Fälle hat das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG)entschieden. Es hat seinen Sitz in Karlsruhe und entspricht weitgehend dem österreichischen Verfassungsgerichtshof. Allerdings gibt es in Deutschland auch Verfassungsgerichte der einzelnen Länder.
EG: Ärztliche Schweigepflicht
Die Witwe eines Beamten der EG-Kommission, der Techniker in einem Atomforschungszentrum war, wollte in ärztliche Untersuchungsprotokolle in seinem Personalakt Einsicht nehmen. Sie wollte wissen, ob aufgrund der Strahlenbelastung eine Berufskrankheit vorliege.
Die Sache ging vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der EuGH ist das Höchstgericht der EG und hat seinen Sitz in Luxemburg. (Nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR in Straßburg, bei dem sich die Bürger der Europaratsstaaten über Verletzungen derMenschenrechtskonvention beschweren können. Über die Entscheidungen des EGMR haben wir in Teil 3 dieser Serie in DIR 3/92 berichtet.)
Der EuGH entschied: Prinzipiell gebietet es das Gebot des rechtlichen Gehörs, einem Beamten und seinen Hinterbliebenen auch Zugang zu medizinischen Unterlagen zu gewähren. Andererseits verlangt aber die ärztliche Schweigepflicht, daß jeder Arzt selbst entscheidet, ob er Personen, die er untersucheoder behandle, die Art ihrer Leiden mitteilen kann. Das gilt auch gegenüber der Witwe und auch dann, wenn sie den Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden hätte. Daher reicht die vorgesehene Möglichkeit des mittelbaren Zugangs zu medizinischen Unterlagen völlig aus: Die Witwe kann einen Arzt ihrerWahl die Unterlagen einsehen lassen. Damit ist dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs unter Berücksichtigung der ärztlichen Schweigepflicht Genüge getan (EuGRZ 1990, 368).
EG: Hausdurchsuchung in Geschäftsräumen
In zwei Fällen ermittelte die EG-Kommission wegen des Verdachts von Verletzungen des Wettbewerbs und drang dabei auch in Geschäftsräume ein. Einmal bei National Panasonic (EuGRZ 1980, 490) und einmal bei Hoechst (EuGRZ 1989, 395). Beide Unternehmen sahen darin eine Verletzung des Hausrechts nachArt. 8 MRK (zuletzt in DIR 3/92, S. 74 abgedruckt) und beschwerten sich beim EuGH. Dieser hatte zuerst einmal zu prüfen, ob sich die EG überhaupt an die Menschenrechtskonvention halten muß. Obwohl ein Beitritt der EG zur MRK seit langem diskutiert wird, hat die EG dies nämlich noch nicht getan. Daaber alle EG-Staaten auch Mitglieder des Europarats sind und die MRK daher unterzeichnet haben, ist der EuGH der Ansicht, daß auch die EG selbst daran gebunden ist.
Dann mußte der EuGH sich damit beschäftigen, ob Art. 8 MRK nicht nur die Wohnungen von Privatpersonen schützt, sondern auch Geschäftsräume. Im National-Panasonic-Fall 1980 hat er das noch bejaht, die Beschwerde von Panasonic aber abgewiesen, weil die Hausdurchsuchung gesetzlich vorgesehen undgerechtfertigt sei. 1989 entschied der Gerichtshof anders und wies die Beschwerde von Hoechst schon allein deshalb ab, weil Art. 8 MRK nicht für Geschäftsräume gelte.
Die Fälle zeigen ein Problem der EG auf: Die EG hat keinen eigenen Menschenrechtskatalog. Daher muß sich die (immer mächtiger werdende) EG-Kommission nur an jene Menschenrechte halten, die allen Mitgliedsstaaten gemeinsam sind. Das macht die Arbeit für den EuGH schwierig. Bevor er über einen Fallentscheidet, muß er den gemeinsamen Rechtsbestand aller zwölf EG-Staaten analysieren. Da kann es dann passieren, daß ein- und dasselbe Problem zweimal unterschiedlich entschieden wird.
EG: Melderecht
Ein Italiener hat eine Britin bei sich wohnen lassen, dabei haben beide gegen italienisches Melderecht verstoßen. Die Britin hätte sich binnen drei Tagen polizeilich anmelden müssen, der Italiener hätte sogar binnen 24 Stunden melden müssen, daß er eine Ausländerin beherbergt. Die Pretura Mailand,die den Fall zu entscheiden hatte, bat den EuGH um ein Gutachten, ob das italienische Melderecht gegen EG-Recht verstoße.
Der EuGH entschied (EuGRZ 1976, 346), daß die EG-Grundsätze der Freizügigkeit für Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und der Freiheit für Dienstleistungen es verbieten, EG-Ausländern die Einreise zu verwehren. Die Mitgliedstaaten der EG können EG-Ausländern aber Meldepflichten auferlegen.Unterschiedliche Fristen für Inländer und EG-Ausländer sind zulässig, solange sie sich in angemessenen Grenzen halten. Sanktionen gegen die Verletzung der Meldepflicht sind zulässig, solange sie nicht die Freizügigkeit behindern. Die Ausweisung eines EG-Bürgers wegen der Verletzung einerMeldevorschrift wäre unzulässig.
USA: Schultaschenkontrolle
An einer höheren Schule in New Jersey ertappte ein Lehrer zwei Schülerinnen beim Rauchen. Als eines der Mädchen leugnete, jemals geraucht zu haben, öffnete der Lehrer ihre Handtasche und fand darin Marihuana und eine Liste, die darauf schließen ließ, daß die Schülerin mit Marihuana gehandelt hatte.Vor dem Jugendgericht stellte sich dann die Frage, ob diese Beweise im Gerichtsverfahren verwertet werden dürfen oder entgegen dem Durchsuchungsverbot des 4. Amendment ermittelt worden wären. Das 4. Amendment schützt die Amerikaner gegen willkürliche Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme.
Der Fall ging vor den Supreme Court in Washington. Dieser entschied (EuGRZ 1986, 132), daß auch die Lehrer an öffentlichen Schulen vom 4. Amendment gebunden wären. Die Lehrer werden hier nicht als Vertreter elterlicher Gewalt, sondern als Vertreter des Staates gesehen. Schüler haben ein legitimesRecht auf Privatsphäre. Allerdings ist dieses Recht beschränkt und Lehrer benötigen keine formelle Durchsuchungserlaubnis, bevor sie ihre Schüler durchsuchen. Sie dürfen dies allerdings nur tun, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, daß die Durchsuchung Beweise für eine Regelverletzung bringenwird.
Die Durchsuchung darf außerdem unter Berücksichtigung des Alters und Geschlechts der Schüler und der Schwere der Regelverletzung den Maßstab der Verhältnismäßigkeit nicht überschreiten. Einige Richter sahen es in abweichenden Meinungen zum Urteil als problematisch an, daß der Gerichtshof davonabging, einen richterlichen Durchsuchungsbefehl zu verlangen. Richter Stevens meinte, die Entscheidung werde Lehrern erlauben, Schüler auch bei trivialen Verletzungen von Regeln zu durchsuchen und nannte das Urteil eine 'merkwürdige Lehre für die Jugend der Nation'.
Schweiz: Pfändungsverfahren
In mehreren Schweizer Kantonen wurde bei erfolgloser Pfändung oder Konkurs dem durch die Finger schauenden Gläubiger über den ungedeckten Betrag ein Verlustschein ausgestellt. Diese Verlustscheine wurden zur Abschreckung weiterer Gläubiger im Kantonsblatt veröffentlicht. Dagegen wandten sich mehrereSchuldner und beriefen sich auf das ungeschriebene Grundrecht der persönlichen Freiheit. Sowohl das Obergericht des Kantons Luzern (EuGRZ 1980, 338) als auch das Schweizerische Bundesgericht (BGer) in Lausanne (EuGRZ 1981, 400; zu einem Fall im Kanton Solothurn) gaben den Schuldnern Recht:
Die Veröffentlichung sei nicht nur eine Warnung der Gläubiger, sondern auch eine Anprangerung und damit eine strafähnliche Maßnahme. Die Würde und Ehre des Schuldners und damit das Grundrecht auf persönliche Freiheit wird daher erheblich berührt. Ein Grundrecht darf aber nur eingeschränkt werden,wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Das einzige reale Interesse ist hier der Schutz künftiger Gläubiger. Diese werden durch das ihnen eingeräumte Einsichtsrecht in die Protokolle der gerichtlichen Pfändungen aber ausreichend geschützt.
Die Fälle zeigen die weite Auslegung des ungeschriebenen Grundrechts auf persönliche Freiheit in der Schweiz: Ursprünglich war es als Schutz der Bewegungsfreiheit und der freien Verfügung über den eigenen Körper gesehen worden. Seit 1964 hat es die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichts zunehmenderweitert. Das Recht auf persönliche Freiheit schützt nun als zentrales Freiheitsrecht 'darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen' - vor allem die Rechte von Untersuchungs-, und Strafgefangenen. Insbesondere hat das BGer auchanerkannt, daß das Berufsgeheimnis, zumindest in seinen wichtigsten Auswirkungen, als Bestandteil der persönlichen Geheimsphäre unter den Schutz der persönlichen Freiheit fällt.
Deutschland: Entmündigung
Mit einem ähnlichen Problem hat sich auch das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beschäftigt (EuGRZ 1988, 278). In der deutschen Zivilprozeßordnung war vorgesehen, daß die Entmündigung einer Person wegen Verschwendung, Trunksucht oder Rauschgiftsucht vom Amtsgericht (entspricht unseremBezirksgericht) öffentlich bekanntzumachen sei. Das BVerfG stellte fest, daß die Bestimmung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreife.
Dieses Recht schütze den Bürger nicht nur vor der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten mittels EDV, sondern generell vor jeder Erhebung und Verarbeitung. Es ist nicht auf den Anwendungsbereich der Datenschutzgesetze beschränkt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei zwarnicht schrankenlos, aber die Beschränkungen müßten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen. Bei der Abwägung der Interessen (Persönlichkeitsschutz einerseits gegen die Warnung der Öffentlichkeit vor Geschäften mit dem Entmündigten andererseits) befand das BVerfG, daß die Grenze des Zumutbarenüberschritten sei und hob die Bestimmung als verfassungswidrig auf.
Schweiz: Akteneinsicht
Ein unehelich geborener Schweizer wurde von seiner Geburt im Jahr 1960 bis 1962 von der Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt betreut. Später war er bei verschiedenen Pflegeeltern. Im Jahr 1980 ersuchte er um Akteneinsicht in seinen Pflegschaftsakt. Da sie ihm verweigert wurde, ging er bis vor dasBundesgericht und berief sich auf Art. 4 der Bundesverfassung.
Art. 4 BV lautet ganz einfach 'Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich. Es gibt in der Schweiz keine Untertanenverhältnisse, keine Vorrechte des Orts, der Geburt, der Familien oder Personen.' Aber die Rechtsprechung des Bundesgerichts leitet daraus auch das Recht auf rechtliches Gehör und damitauch das Recht auf Akteneinsicht ab.
Das Bundesgericht nahm Einsicht in den Pflegschaftsakt und hat dann abgewogen (EuGRZ 1986, 430): Bezüglich des Namens seines Vaters hat der Beschwerdeführer kein außergewöhnliches Interesse namhaft gemacht. Offensichtlich ist, daß er keinen Anspruch hat, über das Privatleben seiner Mutter zumZeitpunkt der Zeugung informiert zu werden. Die verschiedenen Pflegeeltern haben weniger Anspruch auf Geheimhaltung, aber auch hier hat der Beschwerdeführer sein Interesse wenig konkretisiert. Insgesamt verneinte das BGer einen Anspruch auf Akteneinsicht, meinte aber, daß die Vormundschaftsbehördedem Beschwerdeführer bei der Beantwortung seiner Fragen mehr hätte entgegenkommen können.
Deutschland: Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
Das Bundesverfassungsgericht hat dieselbe Problematik anders entschieden: Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes leitet das BVerfG auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ab. Dieses Recht kann zwar nur im gesetzlichen Rahmen ausgeübt werden und der Gesetzgeber kann esbeschränken, um Prozesse zu verhindern, die Ehen zerstören oder den Familienfrieden gefährden können. Die Regelung, daß ein volljähriges Kind einen Vaterschaftsprozeß nur führen könne, wenn die Ehe seiner Mutter geschieden sei oder die Ehegatten getrennt leben, war dem BVerfG aber zu streng unddamit verfassungswidrig.
Deutschland: Fangschaltungen
Die Deutsche Bundespost Telekom stellt jenen Telefonkunden, die sich durch anonyme Anrufe belästigt fühlen, die Möglichkeit zur Verfügung, nach schriftlichem Antrag Auskunft über die Anrufer zu erhalten. Das ist in der Telekom-Datenschutzverordnung ausführlich geregelt. Jener Kunde, von dessenAnschluß die belästigenden Anrufe ausgegangen sind, ist prinzipiell über die Auskunftserteilung zu verständigen. Das Bundesverfassungsgericht stellte dazu fest (EuGRZ 1992, 208), daß die Auskunftserteilung in das Fernmeldegeheimnis eingreife und daher gesetzlich (nicht bloß durch Verordnung)geregelt werden müsse.
Für eine Übergangszeit seien die Fangschaltungen aber zulässig. Im Vergleich mit Österreich kann die deutsche Rechtslage aber als vorbildlich bezeichnet werden. Es gibt immerhin eine Verordnung, die die Eingriffe regelt, und das BVerfG hat sich äußerst detailliert mit der Problematikauseinandergesetzt. In Österreich gibt es überhaupt keine gesetzliche Grundlage - über das in Beratung stehende Fernmeldegesetz haben wir in DIR 5/92 berichtet.
Schweiz: Fichenskandal
Im berühmten Schweizer Fichenskandal (dem weitaus umfangreicheren Gegenstück zur österreichischen Stapo-Auskunftsaktion) hatte das Bundesgericht Art. 4 BV (siehe oben) zugunsten des Rechts auf Akteneinsicht in die staatspolizeilichen Fichen (Akten) ausgelegt (EuGRZ 1987, 112). Das BGer entschiedgrundsätzlich: Außerhalb eines Verwaltungsverfahrens kann sich der Betroffene bei der Geltendmachung seines Einsichtsrechts nur auf die Verfassung (Art. 4 BV) berufen. Er muß dabei ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen.
Das Akteneinsichtsrecht findet seine Grenzen am öffentlichen Interesse des Staates (etwa Landesverteidigung oder Staatssicherheit) oder an berechtigten Geheimhaltungsinteressen Dritter (wenn z. B. Familienangehörige, Auskunftspersonen oder Geschäftsgeheimnisse betroffen sind). Bei Krankengeschichtenoder psychiatrischen Gutachten können auch die Interessen des Betroffenen selbst der Akteneinsicht entgegenstehen. Die verschiedenen Interessen sind im Einzelfall sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Das BGer hat es im konkreten Fall aber nicht für nötig gehalten, die strittigen Akten beizuziehen. Es ging dabei um einen Schweizer, der an einem Homosexuellentreffpunkt von der Polizei kontrolliert und, da er sich nicht ausweisen konnte, festgenommen worden war. Nach Feststellung der Identitätwurde er ohne weiteren Verdacht entlassen. Der Betroffene wollte nun die Polizeiakten einsehen und allenfalls berichtigen lassen. Das BGer entschied, daß seine Interessen überwiegen. Die Polizei könne keine Geheimhaltung in Anspruch nehmen, die grundsätzlich weiter ginge als die der übrigenVerwaltung. Die Polizei könne sich auch keinen Freiraum schaffen, der jeglicher Rechtskontrolle und Aufsicht entzogen sei. Die Möglichkeit der Akteneinsicht belaste die Verwaltung nur gering, die Polizei habe vielmehr darauf zu achten, daß sie keine unnötigen oder unkorrekten Daten aufbewahre.
Schweiz: Polizeigesetze
Das Polizeigesetz des Kantons Genf von 1982 sieht die Möglichkeit von Identitätskontrollen vor. Wer keinen Lichtbildausweis vorweist, kann auch festgenommen werden. Die Polizei hat auch das Recht, Personen und Fahrzeuge zu durchsuchen. Das Bundesgericht überprüfte die Verfassungskonformität desGesetzes und stellte fest, daß das Gesetz nicht als generelle Ermächtigung der Polizei zu sehen sei.
Die Polizei sei weiterhin an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden und dürfe daher Kontrollen nicht ohne Grund vornehmen. Die im Gesetz vorgesehenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen (Fotos und Fingerabdrücke) zur Identitätsfeststellung würden zwar das ungeschriebene Grundrecht auf persönlicheFreiheit einschränken, seien aber nur für Ausnahmefälle vorgesehen und daher gerechtfertigt. Außerdem sei im Gesetz ohnehin vorgesehen, daß das gesammelte Material bei außer Verdacht stehenden Personen auf Verlangen wieder vernichtet wird.
Zu den vorgesehenen körperlichen Durchsuchungen stellte das BGer fest, daß es nicht genüge, wenn die Durchsuchung von einer Person desselben Geschlechts durchgeführt wird. Eine Untersuchung im Intimbereich (etwa eine vaginale Untersuchung) dürfe nur von einer Person durchgeführt werden, die nichtzum Polizeikorps gehört und eine medizinische Ausbildung hat (EuGRZ 1984, 107).
In einem weiteren Urteil (EuGRZ 1992, 137) entschied das Bundesgericht, daß das Vermummungsverbot bei Demonstrationen im Kanton Basel-Stadt zulässig sei. Das ungeschriebene Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit sei zwar berührt, das Gesetz ermöglicht aber eine verfassungskonforme Auslegung, dadie Behörde Ausnahmen vom Vermummungsverbot bewilligen könne - etwa, wenn die Vermummung Mittel der Meinungsäußerung (Gasmasken bei Demonstration gegen schlechte Luft) oder aus religiösen Gründen (islamische Frauen) sei. Den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Argumente, solange der Datenschutzin der Schweiz nicht gesichert sei, müsse sozusagen als Selbsthilfe die Vermummung gestattet sein, folgte das BGer nicht. Es meinte, die Befürchtungen seien zwar angesichts des Fichenskandals ernstzunehmen, man müsse aber davon ausgehen, daß die Behörden die Datenschutzbestimmungen einhalten.
GB: Verbot von Rundfunkinterviews mit Extremisten
Den britischen Rundfunkanstalten BBC und IRA wurde vom Innenminister untersagt, in Radio oder Fernsehen Interviews, Diskussionen oder Gespräche zu senden, an denen Vertreter von bestimmten Extremistenorganisationen beider Seiten des nordirischen Bürgerkriegs teilnehmen.
Betroffene Journalisten sahen darin eine unzulässige Beschränkung der Informationsfreiheit und beschwerten sich. Sie blieben in allen Instanzen (High Court, Court of Appeal, House of Lords) erfolglos (EuGRZ 1991, 102; 1989, 284). Ein wesentliches Argument war dabei, daß die Anordnung desInnenministers nur bestimmte Darstellungsformen, nicht aber die Sendung von Material, verboten hatte. Es durfte z. B. ein Bild eines Terroristen gezeigt und dazu seine Aussagen vorgelesen werden. Da die Maßnahme beide Seiten des Konflikts beträfe, seien BBC und IBA auch nicht an der objektivenBerichterstattung gehindert.
Das Oberhaus (House of Lords) hatte außerdem damit argumentiert, daß die Europäische Menschenrechtskonvention (MRK) das Vereinigte Königreich zwar völkerrechtlich verpflichte, aber kein Bestandteil des englischen Rechts sei. Der die Meinungsfreiheit sichernde Art. 10 MRK sei daher innerstaatlichnicht durchsetzbar. Die MRK sei nur bei unklaren Gesetzesstellen heranzuziehen. Dem Minister stehe ein Ermessensspielraum zu, seine Entscheidung sei eine nicht unvernünftige Maßnahme gegen den Terrorismus. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht Bestandteil des englischen Rechts. DieEntscheidung zeigt exemplarisch die Menschenrechtslage in Großbritannien auf: Bei uns ist die MRK in der Verfassung verankert und daher prinzipiell von allen Behörden und Gerichten anzuwenden.
Bei Verstößen gibt es die Möglichkeit der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. In Großbritannien ist die MRK vor den innerstaatlichen Gerichten nicht durchsetzbar, Beschwerden können also nur in Straßburg geltend gemacht werden - allerdings erst nachdem im Inland alle Instanzen durchlaufenwerden.
Das äußerst wichtige deutsche Volkszählungsurteil werden wir im nächsten DIR behandeln und der österreichischen Rechtsprechung gegenüberstellen. Ansonsten wird die nächste Folge einen Überblick über die Entscheidungen geben, die seit dem Beginn der Serie gefällt wurden.
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