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1993/12/31 Mitarbeiterbefragungen
DIR Vor einiger Zeit flatterte folgendes Schreiben auf den Tisch der DIR-Redaktion.

'Sehr geehrte Mitarbeiterin! Sehr geehrter Mitarbeiter! Die Geschäftsführung der T. Gruppe hat beschlossen, Maßnahmen für ein modernes Personalmanagement einzuführen. Den ersten Schritt dazu bildet eine Mitarbeiterbefragung, damit in Zukunft besser auf ihre Anliegen und Anregungen eingegangen werdenkann. Mit der Durchführung dieser Befragung wurden wir - die Firma N. - beauftragt. ...' Es folgt dann ein umfangreicher Fragebogen mit 80 Fragen, meist nach dem Ankreuzmodus (von 'stimmt genau' bis 'völlig falsch') und einem Anhang mit 'Fragen zu ihrer Person, die uns für eine genauere Auswertungdienen': Alter, Geschlecht, Dauer der Firmenzugehörigkeit, Zugehörigkeit bei welchem Tochterbetrieb, Standort, Funktion und ob Personalführungsbefugnisse bestehen. Diese Daten werden euphemistisch 'statistische' Personaldaten genannt.

Mitarbeiterbefragungen erfreuen sich großer Beliebtheit. Besonders dann, wenn Unternehmen eine bestimmte Größe (ab ca. 100 Mitarbeiter) und/oder eine bestimmte Zersplitterung (die Mitarbeiter sind über 10 oder mehr Filialen/Werke/Geschäftstellen/Tochterunternehmen verstreut) erreicht haben.

Angekündigt werden Mitarbeiterbefragungen meist als besondere Innovation, als 'Maßnahme des modernen Personalmanagements', als 'besonderes Interesse der Geschäftsführung an der Meinung der Mitarbeiter'.

Diese Intentionen können tatsächlich vorhanden sein, vielfach haben derartige Mitarbeiterbefragungen andere Gründe: in den Unternehmen gibt es Kommunikationsprobleme zwischen Leitung und einfachem Mitarbeiter, in einzelnen Abteilungen ist die Produktivität und Arbeitsmotivation gesunken, es gibteine auffällig große Personalfluktuation usw. Mit einem Wort, es 'kriselt' im Betrieb.

Inwieweit Mitarbeiterbefragungen taugliche Mittel sind, diese Krisensituationen zu analysieren bzw. zu beheben, soll an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden. Fest steht, daß bei derartigen Befragungen auch eine Fülle sensibler Informationen gesammelt werden. Manche Mitarbeiter verwendenderartige Fragebögen, um - unter dem Deckmantel der Anonymität - massiv ihren Unmut kund zu tun. Wir wollen der Frage nachgehen, inwieweit es sich dabei um sensible Daten im Sinne des DSG, also um personenbezogene Daten, handelt oder nicht.

Soviel vorneweg: Praktisch alle derartigen Befragungen, von denen wir in den letzten Jahren Kenntnis erhielten, sind zumindest formell anonym. D.h. es wird den Betroffenen keine Bekanntgabe der Standardidentifikationsdaten (Name, Adresse, Geburtsdatum, Personalnummer, Sozialversicherungsnummer, ...)abverlangt. Auch das Einsammeln durch den Vorgesetzten ist in Zeiten erhöhten Datenschutzbewußtseins 'aus der Mode gekommen'.

Die eher plumpen Tricks, auf den Rücksendekuverts (bevorzugte Stelle: unter der schon fürsorglich aufgeklebten Briefmarke) oder im Fragebogen eine eindeutige Nummer unterzubringen und damit rückgesandte Fragebogen an Hand der Verteilerliste zu deanonymisieren, werden schon recht seltenangewandt.

Bleibt die Frage, ob durch die Bekanntgabe der statistischen Personendaten oder durch die Handschrift oder durch sonstige Begleiterscheinungen die behauptete Anonymität durchbrochen werden kann. Eine Durchbrechung der Anonymität ist sicher dann gegeben, wenn Fragen gestellt werden, etwa nach Alter,Betriebsfunktion, zugehörige Abteilung, Firmenzugehörigkeit, ..., die von den Mitarbeitern eindeutig beantwortet werden müssen bzw. deren Antwortkombination nur einmal im Betrieb vorkommt.

Ob solche Fragen Identifikationstracks darstellen (d.h. zu eindeutigen Personenidentifizierung geeignet sind) oder nicht, kann nicht generell beantwortet werden. Vielfach kommt es auf die Personalstruktur des Unternehmens an. Sind die Mitarbeiter 'fein' über die Geburtsjahrgänge, auf viele Standorteund auf viele betriebsinterne Funktionen verteilt, dann genügen schon wenige derartige Fragen mit wenigen Kategorien, um faktisch eindeutige Identifier zu erhalten.

Man muß sich dabei im klaren sein, daß schon wenige Strukturelemente ausreichen, um mehrere Millionen eindeutige Ausprägungen zu erhalten. Im Beispielfragebogen, in dem das Alter in 5 Kateorien, das Geschlecht in 2, die Firmenzugehörigkeit in 6, das zugehörige Tochterunternehmen in 25, die Standortein 8 und die Betriebsfunktion in 9 Kategorien abgefragt wurden, ließen sich - theoretisch 5*2*6*25*8*9 = 108.000 (!) unterschiedliche Ausprägungskombinationen generieren, bei einem tatsächlichen Mitarbeiterstand von bloß einem Prozent dieser theoretischen Kombinationsmöglichkeiten. Selbst wenn manberücksichtigt, daß die verschiedenen Eigenschaften nicht gleichmäßig verteilt sind, sondern Häufungen gegeben sind, enthalten schon sechs, an sich harmlose Fragen ein gewaltiges Identifikationspotential.

Sicher wird nicht jeder/jede Mitarbeiter/in eindeutig identifiziert werden können, bei einem hohen Prozentsatz (zwischen 70 - 90 %) wird jedoch die Eindeutigkeit der oben genannten Merkmale gegeben sein. Mit dem üblichen betriebsinternen Zusatzwissen, wie es für die Unternehmensführung verfügbar ist(übrigens auch für den Betriebsrat), ist es dann ein leichtes, weitere Mitarbeiter aus dem 'anonymen' Umfragesample herauszufinden. Sie sind daher potentiell von Datenschutzverletzungen betroffen.


Welche Schutzmöglichkeiten gibt es?

Individuelle Maßnahmen, wie 'einige Angaben mache ich halt falsch' bringen nur wenig, den Fragebogen einfach nicht abgeben, ist manchmal nicht möglich.

1. Zu allererst sollte ein Betriebsrat versuchen, die Unternehmensführung vom Datenerhebungsvorhaben abzubringen. Es gibt eine Reihe anderer - durch das ArbVG verbindliche - Mechanismen, um potentielle Konflikte zwischen Führung und Belegschaft zu lösen.

2. Ist eine Mitarbeiterbefragung unvermeidlich, sollte auf jeden Fall der Betriebsrat kontaktiert werden. Dieser sollte verhindern, daß eine Befragung gemacht wird, die ganz offensichtlich zum Zweck der Überwachung/Bespitzelung von Kollegen dient.

3. Mitarbeiterbefragungen sollten auf keinen Fall betriebsintern durchgeführt werden, sondern durch eine objektive Instanz, die auch einen guten Ruf im Bereich Meinungs-/Marktforschung hat (und den auch verlieren kann). Diese Instanz sollte den Betroffenen bekannt sein, die Rücksendung sollteausschließlich an diese Stelle erfolgen. Besser ist es, wenn der Betriebsrat eine Mitsprache bei der Auswahl des Instituts hat. Sinnvoll ist es auch, Parallelangebote einzuholen. Die oft geübte Praxis der hausinternen pr-Abteilung eine derartige Umfrage, quasi 'zum Üben' durchführen zu lassen, istabzulehnen.

4. Der Fragenkatalog ist genau zu analysieren. Es sollten Suggestiv-Fragen vermieden werden, ebenso 'nona'-Fragen oder Fragen, die nur positive (im Sinne der Geschäftsführung) Antworten zulassen.

5. Das Auswertungsprozedere und die Vernichtung der Urbelege sollte genau fixiert werden und kontrollierbar sein.

6. Alle Auswertungsergebnisse (inkl. der Rohauswertungen und Zwischenergebnisse), die die Unternehmensführung erhält, sollten auch für den Betriebsrat zugänglich sein.

Der letzte Punkt ist von doppelter Bedeutung. Erstens wird es dem Betriebsrat dadurch möglich, eigene Schlüsse über die Stimmungslage unter den Kollegen zu ziehen. Zweitens ist diese Vorgangsweise die beste Kontrolle gegen die De-Anonymisierung der Daten. Kann der Betriebsrat (mit seinembetriebsinternen Wissen) aus den Daten keine einzelnen Kollegen identifizieren, dann wird das ziemlich sicher auch die Geschäftsführung nicht tun können.

Sind diese Vorkehrungen getroffen und kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit mit einer funktionierenden anonymen Behandlung der Mitarbeiterbefragung gerechnet werden, dann ist der mündige Mitarbeiter aufgerufen. In seiner freien Entscheidung steht es dann, sich an dieser Befragung zu beteiligen -oder auch nicht.

Da die Befragung anonym ist, können ihn aus der Nicht-Teilnahme keine Konsequenzen erwachsen (übrigens auch nicht aus der Teilnahme).


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