1992/12/31 Fernmeldegesetz - Neufassung ohne Konzept
DIR Telekommunikation wird zur Datenschutzherausforderung der 90-er Jahre werden. Nach der Enge der gebunkerten Rechenzentre...
Telekommunikation wird zur Datenschutzherausforderung der 90-er Jahre werden. Nach der Enge der gebunkerten Rechenzentren werden offene Netze, offene Systeme und offene Kommunikationsstrukturen zum Alltag privater und wirtschaftlicher Computernutzung gehören.
Das "alte" Telefongespräch wird es nicht mehr geben. Wenn Ihr Telefon klingelt, werden Sie in Zukunft am anderen Ende der Leitung ein Fax, ein Datenmodem oder eine Computerapplikation haben. Vielleicht wird sich auch (manchmal) Ihre Mitzi-Tant' melden.
Database-Marketing, Sprachboxen, computergesteuerte Anwahl und computergesteuerte Dialoge werden jedoch immer häufiger der Fall sein. Neben der lästigen Direct-Mail-Werbung wird es alle möglichen Formen des Telefon- und Telekommunikations-Marketings geben. Die Zahl von Junk-Anrufen wird drastischsteigen.
Also gerade zur rechten Zeit hat sich das BM für Öffentliche Wirtschaft und Verkehr durchgerungen das antiquierte Fernmeldegesetz von 1949 völlig neu zu schreiben.
"Liberalisierung", "geänderte Kommunikationslandschaft", "europäischer Wirtschaftsraum" sind die Schlagworte, mit denen man angetreten ist, Telekommunikation vom verstaubten Image kafkaesker Bürokratie zu befreien.
Nur unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, sich mit einem derartigen Gesetzesentwurf auseinanderzusetzen. Werden die angestrebten Ziele erreicht?
Um das Endergebnis vorwegzunehmen: Nein. Die Gesamtkonzeption des Entwurfs muß als völlig inferior bezeichnet werden. Liberalisierungs- und Modernisierungsbemühungen erfolgen nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.
I. Gesetzesbezeichnung
Schon mit der Bezeichnung "Fernmeldegesetz 1993" dokumentiert der vorliegende Entwurf, daß in erster Linie die seit 1847 ungebrochene Tradition der obrigkeitsstaatlichen Regelung des Post- und Telegraphenwesens beabsichtigt ist.
Der Begriff "Fernmeldewesen" muß in einer modernen Kommunikationsgesellschaft als hoffnungslos antiquiert angesehen werden. Durch diese Wortwahl werden Telekommunikationsdienste wie "Telefonieren" (im bisherigen Sinn) oder "Telegraphie" gegenüber den neuen Diensten, die eine Mischung von Text-,Bild-, Sprach- und Datenkommunikation vorsehen, herausgehoben.
Es wird daher vorgeschlagen, stattdessen ein neues "Telekommunikationsrecht" zu formulieren. Durch diese Wortwahl soll die gleichberechtigte Betrachtung und Regelung alter und neuer Kommunikationsdienste besser zum Ausdruck gebracht werden.
II. Undefinierte Begriffe
Angesichts der Überfülle verschiedenster Telekommunikationsdienste und deren rasche technische Entwicklung ist es besonders bedeutsam, in einem entsprechenden Gesetz die wichtigsten Begriffe der Telekommunikation funktional zu definieren. Dadurch wäre bei Anbietern von Diensten, bei Herstellern vonGeräten und bei den Konsumenten eine wesentlich höhere Rechtssicherheit als derzeit gewährleistet.
Der vorliegende Entwurf verabsäumt diese Möglichkeit vollständig. Abgesehen davon, daß nur fünf Grundbegriffe ("Fernmeldeanlagen", "Nachrichten", Funkanlagen", "Öffentliches Fernmeldenetz" und "Endgeräte") definiert wurden, werden diese Definitionen nicht konsistent eingesetzt und widersprüchlichverwendet.
Beispiel: Im Par. 9 (1) Z 7 werden als "bewilligungsfreie Fernmeldeanlagen" definiert: "Fernmeldeanlagen, die ausschließlich aus Übertragungswegen des öffentlichen Fernmeldenetzes sowie zugelassenen und entsprechend gekennzeichneten Endgeräten besteht."
Dabei wird der Begriff "Fernmeldeanlage" einmal zur Beschreibung des Begriffs "Endgeräte" verwendet (Par. 1 (1) Z 4) und zum anderen zur Beschreibung eines Dienstes bestehend aus einer Kombination von Endgeräten und Netzeinrichtungen. Was an dieser Kombination "bewilligungsfrei" und was"bewilligungspflichtig" sein soll, ist wohl nur für den Autor des Entwurfs nachvollziehbar, sicher nicht für Dienstanbieter oder Konsumenten.
Vorgeschlagen wird die Neufassung des Par. 1 (Legaldefinitionen), der sich an den üblichen Definitionen der Telekommunikation orientieren soll.
Im Zentrum müßte die Definition des "Telekommunikationsdienstes" stehen, mit dem die für die Endbenutzer wesentlichen Anwendungen beschrieben werden. Davon abgeleitet müßten "Endgeräte" und "Netzwerk" definiert werden.
Die Telekommunikationsdienste sollten in ihrer Definition in "Trägerdienste" (Basisdienste), "Teledienste" und "Zusatzdienste" untergliedert werden. Erst dieser saubere Ansatz läßt es überhaupt zu, für die Bewilligung, für "reservierte" Dienste und Dienst- und Netzwerkbetreiber rechtliche Regelungenzu finden.
Da diese Definitionsarbeit im vorliegenden Entwurf nicht geleistet wurde, bleiben die nachfolgenden Regelungen immer unklar und undeutlich.
Ein eigenes Kapitel stellen die notwendigen Definitionen zum Themenkomplex Datenschutz und Datensicherheit dar. Da diese Problemstellung völlig übersehen wurd, werden in der Anlage eigene Definitionsentwürfe bereitgestellt.
III. Liberalisierung
Soweit aus dem vorliegenden Entwurf überhaupt erkennbar ist, was bewilligungspflichtig ist und was nicht, ist festzustellen, daß die Liberalisierungsschritte nur halbherzig erfolgen.
Grundsätzlich ist eine Regelung, die die Zulassungsverfahren (als behördliche Aufgaben) von rein betrieblichen Aufgaben eines Netzwerkbetreibers trennt, für Österreich seit Jahren überfällig. Hier leistet der Entwurf mit der Definition der "Fernmeldebüros" Aufholarbeit.
Abzulehnen ist der Ansatz, daß die Fernmeldebüros Bewilligungen und Kozessionen nur deshalb verweigern können, weil dadurch die wirtschaftliche Position der PTV beeinträchtigt werden könnte (z.B.: Par. 12 (1) Z 2).
Würden Fernmeldebüros und PTV tatsächlich getrennt, wie in diesem Entwurf behauptet, dann könnten derartige "Beeinträchtigungen", angesichts der raschen Entwicklung der Kommunikationslandschaft, durch die Fernmeldebüros gar nicht festgestellt werden. Tatsächlich werden die Fernmeldebüros bloß zuErfüllungsgehilfen der PTV. Die PTV hätte es wieder in der Hand durch entsprechende Einsprüche und Stellungnahmen in den Bewilligungsverfahren völlig willkürlich zu definieren, welche Konkurrenten in welchen Bereichen sie zulassen möchte.
Diese Situation entspricht dem gegenwärtigen Gesetzesstand (der sicher nicht EG-konform ist). Heute kann die PTV selbst definieren, wer ihr Konkurrent in welchen Bereichen ist. Die Neuregelung entpuppt sich als kosmetische Lösung, die diese schiefe Optik nur formal, jedoch nicht inhaltlichzurechtrückt.
IV. Willkürliche Reservierung
Die willkürliche Reservierung einzelner Dienste (z.B.: "Telefonie") für die PTV widerspricht den behaupteten Liberalisierungsbemühungen. Abgesehen davon verabsäumt es der Entwurf, den Dienst "Telefonie" auch nur ansatzweise zu definieren. Damit ist völlig unklar, was "reserviert" ist. Besonders inHinblick auf ISDN, mit seiner Integration und Verknüpfung verschiedenster Dienste besteht die Gefahr der völlig willkürlichen und einseitigen Interpretation der PTV, welcher Teil von ISDN als reservierter Dienst anzusehen ist.
V. Datenschutz
Moderne Telefonsysteme, andere Telekommunikationsdienste, insbesondere das diensteintegrierende digitale System ISDN, aber auch das derzeit in Österreich eingeführte Telefonssystem OES, bieten Möglichkeiten an, die geeignet sind, das Grundrecht auf Datenschutz zu beeinträchtigen. Der vorliegendeEntwurf setzt sich mit diesen Gefahren überhaupt nicht auseinander. Die ARGE DATEN legt daher im Anhang dieser Stellungnahme einen Entwurf vor, mit dem den Datenschutzproblemen Rechnung getragen wird.
Bestimmungen zum Datenschutz fehlen im Gesetz völlig. Zwar gibt es einige Paragraphen, die den Bruch des Fernmeldegeheimnisses und Ähnliches unter Strafe stellen, aber daß durch die neuen Technologien auch völlig neue Probleme entstehen, hat man bei der Post offenbar noch nicht erkannt.
Die aktuelle internationale Diskussion, die in Deutschland und anderen Industrieländern zu eigenen Datenschutzregelungen Telekommunikation geführt hat, die dazu führte, daß die EG eine eigene Richtlinie zur Sicherung des Datenschutzes bei Kommunikationseinrichtungen verabschiedet hat, wird in diesemEntwurf schlicht und einfach ignoriert.
Die ARGE DATEN hat daher einen eigenen, 17 Paragraphen umfassenden Abschnitt "Datenschutz" formuliert, mit dem wenigstens die wichtigsten Probleme geregelt werden sollen. Derartige Regelungen wären schon allein aus Gründen der EG-Konformität notwendig:
Die Vorschläge der ARGE DATEN im einzelnen:
Durch geeignete Begriffsdefinitionen soll zwischen "Stammdaten", "Vermittlungsdaten" (die bei jedem Gespräch anfallen) und "Inhaltsdaten" (die übertragenen Daten) unterschieden werden. Die verschiedenen Datenarten müssen auch verschieden geregelt werden.
Wie im DSG wird durch eine Zweckbindungsvorschrift klargestellt, daß nur die Daten verarbeitet werden, die notwendig sind, und daß die Daten sobald als möglich gelöscht werden: technische Vermittlungsdaten nach Ende des Anrufs, Daten zur Gebührenverrechnung nach Ende der Einspruchsfrist.
Nach dem Vorbild des Datenschutzgesetzes sollen es zu allen personenbezogenen Daten die Rechte auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung geben.
Datenübermittlungen sind nur für den Verbindungsaufbau und die Verrechnung von Gebühren zulässig. Alle anderen Übermittlungen bedürfen der Zustimmung durch den Kunden der Post. Wichtig: Die jüngst in Mode gekommenen Blankounterschriften sind ungültig, der Anbieter eines Fernmeldedienstes darf seinAngebot nicht von einer Zustimmung abhängig machen. Dies entspricht der EG-Richtlinie.
Inhaltsdaten sollen besonders streng behandelt werden und dürfen nur mit richterlichem Befehl abgehört werden.
Eigene Bestimmungen für besondere Fernmeldedienste (z.B. Sprachspeicherdienste) und für Störungsfälle sollen dafür sorgen, daß die strengen Datenschutzrichtlinien nicht zu unnötigem Verwaltungsaufwand (z.B. Einholung von Zustimmungserklärungen) führen. Andererseits ist dafür vorgesorgt, daß dieseBestimmungen nicht zur Umgehung der übrigen Datenschutzbestimmungen führen.
Ist ein bestimmtes Netz (z.B. das des Mobiltelefons) sehr schlecht gegen unbefugtes Abhören gesichert, so muß die Post darauf besonders hinweisen und eine Verschlüsselung anbieten.
Verlangt jemand einen Einzelgebührennachweis, also eine Liste aller von seinem Anschluß geführten Telefonate, so müssen die letzten vier Ziffern jeder angerufenen Telefonnummer unkenntlich gemacht werden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß ein Anschluß meist von mehreren Personen benutztwird und z.B. der Familienvater nicht die Möglichkeit haben soll, die Telefonate von Frau und Kindern zu kontrollieren.
Das digitale Telefonnetz ISDN, das in Kürze angeboten werden soll, sieht vor, daß bei jedem ankommenden Gespräch die Nummer des Anrufers angezeigt wird. Das wird z.B. dann lästig, wenn man bei einer Firma anruft, aber nicht möchte, daß diese Firma die Telefonnummer notiert und anschließend fürWerbetelefonate benutzt.
Daher sieht die EG-Richtlinie vor, daß der Anrufer die Rufnummernanzeige vor einem Anruf oder auch dauernd abschalten kann. Der Angerufene soll dafür die Möglichkeit haben, nur identifizierte Anrufe zuzulassen. Kommt ein anonymer Anruf, dann klingelt das Telefon nicht. Ausnahmen sind fürNotruforganisationen und im Fall von belästigenden Anrufen vorgesehen. Der ARGE DATEN-Vorschlag orientiert sich an der EG-Richtlinie, bringt jedoch eine wichtige Ergänzung: Die Unterdrückung der Rufnummernanzeige soll kostenlos sein. Derzeit plant die Post nämlich Gebühren von öS 5.- proTelefonat.
Die Anrufumleitung ist schon jetzt möglich. Wer an das digitale System OES angeschlossen ist, muß z.B. nur *21*1234567# eintippen und alle bei ihm einlagenden Telefonate werden automatisch an den Anschluß 1234567 weitergeleitet. Nach dem ARGE DATEN-Vorschlag soll dafür die Zustimmung des Empfängerserforderlich sein. Außerdem sollen Anrufer, deren Gespräch umgeleitet wird, auf die Umleitung hingewiesen werden, besonders dann, wenn für sie zusätzliche Kosten anfallen.
Moderne Endgeräte bieten vielfältige Zusatzfunktionen an, etwa die Wiedergabe des Gesprächs über Lautsprecher oder das Mitschneiden auf Tonband. Der Anrufer am anderen Ende der Leitung weiß davon nichts. Die EG-Richtlinie sieht dazu vor, daß er durch ein geeignetes Signal darauf aufmerksam gemachtwird.
Telefonwerbung gehört zu den besonders unangenehmen Werbeformen. Ungebetene Post wirft man einfach weg, unerwünschte Anrufe können einen auch aus dem Schlaf reißen. In Zukunft soll man bei der Post eine Sperre verlangen können. Ruft die lästige Firma wieder an, so wird ihr Anruf nicht durchgestellt,das Telefon klingelt nicht.
Die Fernmeldebehörden sollen dazu verpflichtet werden, auf die Einhaltung des Datenschutzes zu achten. Geräte, die dem Datenschutz nicht entsprechen, sollen nicht zugelassen werden. Privaten Anbietern von Fernmeldediensten sollen die Fernmeldebüros auf die Finger schauen.
(Der volle Wortlaut der Stellungnahme (19 Seiten) kann gegen einen Kopierkostenbeitrag angefordert werden.)
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