1992/12/31 Freie Bahn für Adressenhändler
DIR Frau lngrid (*) läßt bei Foto-Quelle ihre Urlaubsfotos ausarbeiten, und erhält schon wenige Wochen danach Werbezusendung...
Frau lngrid (*) läßt bei Foto-Quelle ihre Urlaubsfotos ausarbeiten, und erhält schon wenige Wochen danach Werbezusendungen für Fotobücher des Time-Life Amsterdam. Frau Wilma (*) bestellt bei der Firma Damart Unterwäsche und bekommt Werbezusendungen eines Missionsvereines und vom Hellseher HanussenII. Mit der neuen Gewerbeordnung sollen solche bisher meist illegalen Datenübermittlungen die Regel werden.
Als Weihnachtsgeschenk sozusagen beschloß der Nationalrat in seiner letzten Sitzung vor dem große Fest am Freitag, den 18. Dezember 1992, mit der Novelle zur Gewerbeordnung, daß Adressenverlage sich nicht an den Datenschutz halten müssen. Genauer gesagt: Adressenverlage erhalten das Privileg, Datenaus Kunden- und Interessentendateien aufzukaufen, "solange die Betroffenen dies nicht ausdrücklich untersagt haben. Auf die Möglichkeit der Untersagung ist ausdrücklich und schriftlich hinzuweisen, wenn Daten vom Betroffenen zu ermitteln sind."
Wer also eine Ware oder Informationsmaterial bestellt, oder bei einem Preisausschreiben mitmacht und nicht aufpaßt, daß er der Datenweitergabe widerspricht, muß in Zukunft damit rechnen, daß seine Daten weiterverkauft werden.
Folgende Daten von Kunden und Interessenten werden zum Freiwild erklärt:
Name
Titel
akademische Grade
Anschrift
Geburtsjahr
Berufs-, Branchen- oder Geschäftsbezeichnung und
Zugehörigkeit des Betroffenen zu dieser Kunden- und Interessentendatei.
Vom Schutz der Privatsphäre gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention, die ihre Konkretisierung in den Verfassungsbestimmungen des Datenschutzgesetzes findet, kann also kaum mehr gesprochen werden. Nicht nur Geburtsdatum und Beruf, sondern auch wo man etwas einkauft bzw. wofür man sichinteressiert gehen fremde Unternehmen nichts an.
Wer seine "ausdrückliche schriftliche Zustimmung" zur Datenweitergabe gibt, von dem sollen auch noch folgende Daten ermittelt, verarbeitet und übermittelt werden dürfen:
Daten, welche die rassische Herkunft, politische Anschauungen oder religiöse oder andere Überzeugungen erkennen lassen oder
Daten, welche die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen oder
Daten, welche Rückschlüsse auf strafrechtliche Verurteilungen zulassen.
Als kleine Kompensation für die Durchlöcherung des von der Verfassung garantierten Datenschutzes zugunsten der Wirtschaftsinteressen einiger Adressenhändler sollen Adressenhändler die Werbeaussendungen so zu gestalten haben, daß die Herkunft der Daten auch nach Löschung des Datenbestandesfestgestellt werden kann. Dem in seiner Privatsphäre belästigten Bürger muß der Adressenhändler die Herkunft der Daten beauskunften, allerdings nur wenn das Auskunftsbegehren innerhalb von drei Monaten nach erfolgter Werbeaussendung gestellt wird. Weiters sind Adressenverlage verpflichtet, innerhalbvon vier Wochen die Daten des Betroffenen zu löschen.
Wer nicht andauernd durch unerwünschte Direktwerbezusendungen belästigt werden will und nicht nach jeder Zusendung den verantwortlichen Adressenhändler ausforschen und die Löschung seiner Daten begehren will, der muß sich gegenüber dem Fachverband Werbung und der Marktkommunikation derBundeswirtschaftskammer als Werbemuffel deklarieren und sich in die sogenannte Robinsonliste eintragen lassen. Adressenverlage dürfen dann an in dieser Liste stehenden Personen keine Werbeaussendungen schicken und auch deren Daten nicht an andere Firmen "vermitteln".
Im DIR 4/92 haben wir bereits berichtet, wie es die Bundeswirtschaftskammer geschafft hatte, daß unter Umgehung einer öffentlichen Begutachtung doch noch Adressenverlage in die Gewerbeordnung aufgenommen wurden. Allerdings scheiterte die völlige Freigabe der Kundendaten im Ministerrat am Veto vonGesundheitsminister Ausserwinkler.
Doch die Vertreter der Adressenverlage gaben sich noch lange nicht geschlagen und sponnen weiterhin ihre Fäden hinter den Kulissen. Die endgültige Ausformulierung der Gewerbeordnung wurde im Wirtschaftsausschuß des Nationalrates verhandelt. Und dort sitzen praktisch nur Wirtschaftsvertreter.Vertreter der Konsumenten gibt es im Parlament praktisch keine, denn der Konsumentenschutz gehört zu jenen Querschnittsmaterien, hinter denen keine geld- und machtträchtige Lobby steht und daher auch keine Vertreter im Nationalrat hat, so auch in der sogenannten Volkspartei.
Gegen die Opferung der Privatsphäre von über sieben Millionen Österreichern zugunsten der Geschäftsinteressen von ein paar Adressenhändlern hat sich nur die Grüne Alternative gewehrt, allerdings erfolglos. Laut Doris Schmidauer, die als Wirtschaftsreferentin der Grünen an den Verhandlungenteilgenommen hatte, hat Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel behauptet, der Datenschutzrat habe eh' seine Zustimmung zur Aufweichung des Regierungsentwurfes gegeben. Daher wurde nicht mehr lange diskutiert und die Demontage des Datenschutzes durchgezogen. Der Datenschutz wurde imWirtschaftsausschuß als lästiges Hindernis und Einschränkung der Wirtschaft abgetan. Andererseits hätten, so Doris Schmidauer, sich die Wirtschaftsvertreter plötzlich wieder auf den Datenschutz berufen, als sie verhindern wollten, daß jene Firmen, die illegal Ausländer beschäftigen, in ein Registeraufgenommen werden.
Als letzte Hoffnung bleibt nur eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof, da die vom Parlament beschlossene Fassung nicht nur den Schutz der Privatsphäre verletzt, sondern auch dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Warum nur, so werden sich viele fragen, sollen nur Adressenverlage das Privilegbekommen, den Schutz personenbezogener Daten vor ungerechtfertigten Übermittlungen überschreiten zu dürfen?
Wer als Konsument sich nicht zur Ware degradieren lassen will, muß in Zukunft bei jedem Einkauf, bei jeder Bestellung, bei jedem Gewinnspiel darauf bestehen, daß seine Daten nicht freihand übermittelt werden. Außerdem kann man ja jene Firmen, die sich derart unsauberer Methoden bedienen und ihreKundendaten weiterverkaufen bzw. Kundendaten über Adressenhändler zukaufen, zu boykottieren. Schließlich sollte auch von der Wirtschaft die Einhaltung menschlicher Umgangsformen eingefordert werden.
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