1992/12/31 Der Spion, der aus dem Demoprogramm kam
DIR Bingo! "Sie können das neue Handbuch zur Version 2.6 kostenlos anfordern" - wer freut sich nicht, wenn ein Computerprogr...
Bingo! "Sie können das neue Handbuch zur Version 2.6 kostenlos anfordern" - wer freut sich nicht, wenn ein Computerprogramm unvermutet solch ein Überraschungsgeschenk anbietet. So auch der Hamburger Kaufmann Christian Fricke, der eine unverlangt zugesandte kostenlose Demo-Version einesSpezialprogrammes zum Entwerfen von Computerplatinen ausprobierte. Erwartungsvoll füllt der Kaufmann das vom Programm ausgedruckte Gutscheinformular aus und sandte es an die Herstellerfirma "Cadsoft".
Das Erwachen ließ nicht lange auf sich warten. Ein Brief von den Cadsoft-Rechtsanwälten beschuldigte den Demo-Tester, mit illegalen Kopien von Programmen der Firma Cadsoft zu arbeiten. Des Rätsels Lösung: im mitgelieferten Programm war ein "trojanisches Pferd" versteckt, das die Festplatte desDemo-Testers nach Raubkopien durchsuchte. Findet dieses Programm vermeintliche Raubkopien, so druckt es einen Gutschein aus, der in einer Seriennummer verschlüsselt den Durchsuchungsbericht enthält. Bloß der Beschuldigte bestritt, eine Raubkopie zu haben - vielleicht war das trojanische Pferd dochnicht so perfekt. Ob ein derartiger Bericht gerichtliche Beweiskraft besitzt, darf bezweifelt werden.
"Notwehr gegen Raubkopierer" rechtfertigte Cadsoft-Chef Rudolf Hofer. Die Umsätze seien um 30 Prozent zurückgegangen, nachdem jemand den Kopierschutz geknackt und verbreitet hatte. Über 10.000 derartige Schnüffelprogramme wurden in diesem Fall verschickt und zwar an jene, die zwar das Demo-Programmder vorhergehenden Version des Programms bestellt hatten, aber dann nicht die (DM 3000.- teure) Vollversion des Programms. Wer also nur getestet hatte und nicht kaufte, wurde gleich als potentieller Raubkopierer betrachtet - nicht gerade ein vertrauensvoller Umgang mit seinen Kunden.
Derart "verdeckte Fahndung" ist als bewußte Täuschung zu betrachten, denn die gezinkten Demo-Versionen hatten hauptsächlich den Zweck, die Computer-Benutzer auszuspionieren. Professionelle Raubkopierer lassen sich so kaum fangen, denn sie brauchen die Demo-Version bloß auf einen sauberen Computer zutesten. Im Zeitalter der Computerviren empfiehlt es sich sowieso nicht, das Risiko einzugehen, die eigenen Daten und Programme durch unbekannte Programme zerstören zu lassen.
Gutscheine, die von einem Programm ausgedruckt werden, und nicht in den mit dem Programm gelieferten Unterlagen beiliegen und schon gar nicht erwähnt werden, müssen dem informierten EDV-Benutzer sowieso suspekt erscheinen.
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