1992/12/31 Salzburger Modell
DIR Der Kolumnist Robert Schlesinger sinnierte am 12. September d. J. im STANDARD, ob es wohl in der ÖVP eine graue Eminenz ...
Der Kolumnist Robert Schlesinger sinnierte am 12. September d. J. im STANDARD, ob es wohl in der ÖVP eine graue Eminenz gäbe, die im Hintergrund die Fäden zieht und heimlich und raffiniert die Demontage dieser Partei steuert. Die Glosse karikierte damals die Wahl Bernhard Görgs zum WienerParteiobmann. Doch hätte der Schreiber verzichten können, letzteren überflüssigerweise mit Vorschußtomaten zu bekleckern, während sich die Salzburger Parteifraktion etwa zur gleichen Zeit ein Direct-Mail-Meisterstück leistete, das in der Geschichte des österreichischen Kabaretts seinesgleichensucht.
Etwa 14.000 Salzburger im zumeist jugendlich dynamischen Alter fanden eines Spätsommermorgens eine Postkarte in ihrem Briefkasten - handgeschrieben(!), etwa in der Diktion: "Liebe Christina, mein Urlaub war wunderschön. ... Am 19.9. gehe ich so um 18 Uhr auf 'Das Fest' im Volkgarten. Hoffe, Dukommst auch. Dein Conrad". Oder - vice versa - "Servus Manfred ..." und ".. bis bald, Ines".
Nur Kenner der lokalen Politwerbung konnten einen Zusammenhang zwischen Layout und Wortwahl von ÖVP-Inseraten und dem mysteriösen Absender der Postkarte herstellen - deinem Freund, der Partei. Denn der tatsächliche Absender war weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite der Karte zu erkennen. Auchwar die Karte - im Gegensatz zur maschinellen Frankierung bei Massensendungen - mit einer Sondermarke freigemacht. Die von dutzenden Lohnschreibern in mühevoller Handarbeit allzu intim gestalteten Anreden sollten Vertrautheit wecken, über das Maß gewöhnlicher Parteipropaganda hinaus.
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"Doch der Gag ging schief. In der Frauenbeauftragtenstelle der Stadt liefen die Telefone heiß. Zuerst glaubte man an einen Perversen, der die Frauen zum Fest locken sollte. War doch die Anrede persönlich - beispielsweise mit "Liebe Susi" - gestaltet. Drohanrufe eifersüchtiger Ehemänner undEifersuchtsdramen waren die Folge. Nach Bekanntwerden des Gag-Initiators kam es erst zu verbalen Angriffen auf VP-Wahlkampfleiter Erwin Klemm. Schlägeraktionen wurden angekündigt. Klemm hat für das Fest am Samstag jetzt sogar
Polizeischutz angefordert. Dieser wird damit zum ersten Mal in Salzburgs jüngerer Geschichte einem Kommunalpolitiker gewährt." (Zitat aus: DER STANDARD, 17. September 1992).
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Von der Seite des Datenschutzes betrachtet, widerspricht diese Direct-Mail-Aktion der ÖVP der Bestimmung, eine DVR-Nummer zu führen. Der Zugriff auf die Daten der Wählerevidenz ist für alle Parteien gesetzlich legitimiert. Jede Partei kann diese Daten nach Belieben nutzen - zur Werbung, oder aber -wie hier - um sich mit beiden Beinen in den Fettnapf zu stellen.
Die Adresse der Zuschrift stammt also - diese Vermutung ist zweifellos fundiert und könnte etwa durch Aussagen der Lohnschreiber Bestätigung finden - aus einem EDV-Bestand, nämlich eben dieser Wählerevidenz (allein die altersmäßige Selektion spricht dafür). In dem Fall müßte auf der Postkarte eineDVR-Nummer prangen. Denn dem DSG in vollem Umfang unterliegen Verarbeitungen auch dann, wenn sie nur "teilweise automationsunterstützt" durchgeführt werden - also wenn beispielsweise die EDV-Listen einer Wählerselektion nicht per Cheshire-Aufkleber, sondern händisch auf die Postkarten übertragenwerden. Eine Variante, mit der im Computerzeitalter noch niemand gerechnet hat.
Als Maßnahme zum Dank für eheinterne Streits und Verdächtigungen wäre daher seitens der Betroffenen die - kostenlose - Anzeige beim Landeshauptmann wegen unterlassener DVR-Nummer angebracht (siehe Musterbrief im Serviceheft der ARGE DATEN). Begründung wie oben. Auch wenn durch die händischeAdressierung die Spuren erfolgreich verwischt sind, scheint es nicht unrealistisch, die Herkunft aus Computerlisten nachzuvollziehen.
Gegen unerwünschte Folgewirkungen solcher Intim-Mailings helfen allerdings genausowenig Paragraphen, wie Arzt und Apotheker. Bestenfalls als "grober Unfug" könnte diese Sache eingestuft werden. Amerikanische Zivilgerichte wären in solchen Fällen möglicherweise mit Schmerzensgeldforderung fürruinierte Partnerschaft konfrontiert...
Womit wir wieder bei den eingangs erwähnten Überlegungen wären: denn ist es bloß Zufall, daß gerade jene Partei, die Ehe und Familie stets als Grundfesten unserer Gesellschaft sieht, zwischenmenschliche Sprengsätze sonder Zahl unters Volk streut?
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