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1992/12/31 Sanitäre Verhältnisse
DIR Kommentar zu einem Produkt made in Austria
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Kommentar zu einem Produkt made in Austria

Das erste Virus auf dem eigenen PC mußte noch eigenhändig aus den Programmfiles gestanzt werden - Antivirus-Software war Mitte der achtziger Jahre noch relativ unbekannt. Erst viel später erfuhr ich, daß das Ding "Vienna-648" genannt werden wollte, und daß es den Bekanntheitsgrad der TU-Wieninternational wieder ein wenig anhob.

Zuerst fiel auf, daß ein Programm mit charakteristischer Länge plötzlich einige Bytes mehr benötigte. Ein paar selten gebrauchte DOS-Routinen führten außerdem zum Absturz des Rechners. Noch war ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Effekten nicht erkennbar. Ich lud die defekt gewordenen Programmeneu von der Originaldiskette nach und der Fehler schien behoben. Allerdings bemerkte ich, wie schon zuvor, Differenzen bei den Programmlängen. Wenig später war auch die neu nachgeladene Software um einiges länger - wenn auch noch funktionsfähig.

Mit einschlägigen Hilfsprogrammen ging ich der Sache auf den Grund: die Verlängerungen erwiesen sich als nahezu identisch, ein Disassemblieren des darin enthaltenen Codes lieferte rund drei Seiten Listing - und nach einigen Stunden eifrigem Studiums enthüllte sich mir erstmals die Funktionsweiseeines Virusprogramms. Das Herausoperieren aus den bestehenden Programmen nahm noch eine Nacht in Anspruch, dann war der Rechner wieder "clean" - und blieb es. Ein Tag Quarantäne für den Rechner im Büro, den ich zwischendurch ebenfalls benutzt hatte, und auch dort waren die Dinge wieder glücklich imLot. Der Chef blieb im Glauben, ich behebe eine Hardwarepanne, und wollte technische Details auch gar nicht so genau wissen.

Einige Jahre später, in einer anderen Firma. Alte Aufzeichnungen zu Sicherungskopien eines PCs lassen den Wissenden ahnen: auch dort waren etwa zur gleichen Zeit ähnlich geartete Probleme aufgetreten. Ironie der Situation: es war ein Pharmakonzern, in dem man sich allzu sicher war, Viren gäbe es nurin Labors und dort unter Verschluß. Die Verbreitung reichte also viel weiter, als ich je annahm.

Über die Quelle dieses Übels bestand von allem Anfang an kein Zweifel: die Praktikumsrechner der Technischen Universität. Freie Geräte waren bei dem Andrang der Studenten so selten wie Parkplätze in der City. Man wartete, stürzte zum erstbesten unbesetzten Bildschirm, die nötigen Programme undDatenfiles sicherte man stets auf Diskette, um mobil zu bleiben. Die Mobilität beschränkte sich nicht auf die Universität allein. Wer die Möglichkeit hatte, dem Gedränge zu entgehen, zog es allemal vor, am heimatlichen PC, oder aber - spätabends nach Dienstschluß - an einem freien Firmenrechnerseine Praktikumsarbeiten zu schreiben.

Nun hatte offensichtlich irgendjemand an einem dieser TU-Rechner erfolgreich herumexperimentiert - was letztlich unter dem Kürzel "Vienna-648" internationale Bekanntheit erlangte. Die prekäre Raumsituation und die völlig unzureichende Ausstattung der TU-Institute (Protestaktionen derInformatikstudenten waren deswegen schon alltägliche Gewohnheit und juckten bald keinen Minister mehr) lieferten den Nährboden für die schnelle Verbreitung des Virus: Hunderte von ahnungslosen Studenten mit verseuchten Disketten in der Tasche waren auf der Suche nach einem PC, den sie benutzenkonnten. Und das eben weit über Universitätsgrenzen hinaus.

Niemand kann bis dato den wirtschaftlichen Schaden von damals auch nur annähernd abschätzen. Zu wenig bekannt war noch das Phänomen, um identifiziert und eingegrenzt zu werden. Immerhin: beschädigt wurden durch dieses Virus nur Programme, Daten blieben unversehrt. Die Kosten: in jedem FallArbeitszeit und Nerven in unwägbarem Ausmaß.

Rückblickend darf man aber getrost annehmen, daß ein paar Budgetmillionen mehr für eine adäquate Ausstattung der Wiener Informatik-Institute die Verbreitungsgefahr eingedämmt hätte - was der österreichischen Volkswirtschaft letztlich billiger gekommen wäre.




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