1992/12/31 Technikfolgenabschätzung in der Informationstechnik
DIR Vorgeschichte und Bericht zur 8. Jahrestagung der GRVI
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Vorgeschichte und Bericht zur 8. Jahrestagung der GRVI
Am 30. und 31. März 1992 fand in Berlin die 8. Jahrestagung der Gesellschaft für Rechts- und Verwaltungsinformatik (GRVI) statt. Thema war der Rechtsgüterschutz in der Informationsgesellschaft.
Diese Veranstaltung war ein vorläufiger Abschluß eines mehr als zweijährigen Diskurses zur Technikfolgenabschätzung in der Informationstechnik, den die GRVI, gefördert vom Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT), durchgeführt hat. Das Projekt heißt "Rechtliche Beherrschung derInformationstechnik". Weitere beteiligte Fachgesellschaften sind die Deutsche Gesellschaft für Informationstechnik und Recht (DGIR), die Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung (GDD), die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) und die Gesellschaft für Informatik (GI).
In dem von der GRVI organisierten Diskurs bemühten sich Wissenschafter und Praktiker aus Recht, Informatik, Ökonomie und Sozialwissenschaften, Ansatzpunkte für neue und erweiterte rechtliche Regelungsmodelle, insbesondere zum Datenschutz, zu finden. In den vergangenen zwei Jahren konntenverschiedene Einschätzungen und Vorschläge, aber auch neue Problemstellungen erarbeitet werden.
Die Aufgabe des auf Informationstechnik bezogenen Rechts kann darin gesehen werden, die informationstechnische Entwicklung in positiver und negativer Hinsicht zu steuern, d.h. nützliche Folgen zu verstärken und schädliche zu vermeiden.
Die Umsetzung dieser Steuerungsaufgaben ist jedoch mit z.T. erheblichen Schwierigkeiten verbunden: "Es ist zu befürchten", so heißt es im "Zukunftskonzept Informationstechnik" der Bundesregierung von 1989, "daß der informationstechnische Wandel im Laufe der Zeit zu Verhältnissen führt, die mit demvorhandenen rechtlichen Rahmen nicht mehr adäquat gestaltet werden können."
Wenn rechtliche Regelungen, wie die Datenschutzgesetze, als Reaktion auf die Informationstechnik konzipiert worden sind, ist ihre Funktionsfähigkeit durch verschiedene Mängel in Frage gestellt:
Die gefährdeten Werte, auf deren Wahrung der Datenschutz zielt, sind in den gesetzlichen Vorschriften ebenso unklar geblieben wie die Ursachen, die diese Bedrohung herbeiführen.
Aufgrund der nur vage beschriebenen Regelungsziele können auch die Instrumente des Datenschutzes nicht gezielt eingesetzt werden.
Die Annahmen über die Informationstechnik, die auch den novellierten Datenschutzgesetzen zugrundeliegen, sind veraltet und mittlerweile längst überholt.
Schließlich ist in den Datenschutzgesetzen der konkrete Umgang mit der Technik so gut wie ungeregelt geblieben.
Aufgabenstellung des Projektes ist es, die mit der Anwendung von Informationstechnik verbundenen Rechtsprobleme zu beschreiben und Vorschläge zu ihrer Bewältigung zu entwickeln. Insbesondere sollen Handlungsoptionen für den Gesetzgeber und die Forschungsförderungspraxis entwickelt werden.
Die Umsetzung eines Diskurs-Vorhabens erfolgt in einer Abfolge von Veranstaltungen, auf denen jeweils einzelne Aspekte des Gesamtthemas diskutiert werden. Da nur eine globale Orientierung, aber keine vorweg definierten Ziele vorgegeben sind, ist es den Teilnehmern möglich, Veränderungen derFragestellung zu folgen und neue Erkenntnisse zu vertiefen. Um zu verhindern, daß bei der Offenheit des Verfahrens der "rote Faden" verloren geht, wird der Diskurs durchgängig fachlich betreut. Die erreichten Zwischenstände werden fortlaufend dokumentiert, so daß den Beteiligten eine Orientierung anden Fortschritten des Diskurses möglich wird.
Der Diskurs zur "Rechtlichen Beherrschung der Informationstechnik" begann mit der 7. Jahrestagung der GRVI, die im Oktober 1989 unter dem Titel "Riskante Systeme" in Bremen stattfand. Das Ziel der Veranstaltung war, die vorhandenen Sichtweisen von informationstechnischen Risiken zusammenzufassen undKonzepte zu ihrer Beherrschung zu diskutieren.
Seitdem haben fünf Diskursveranstaltungen stattgefunden, auf denen jeweils zwischen zwanzig und dreißig Teilnehmer zwei Tage lang verschiedene Aspekte des Themas erörterten.
Diskutiert wurde:
welche Anknüpfungspunkte für die Entwicklung neuer rechtlicher Regelungen gegeben sind (Berlin, Dezember 1989),
wie durch Informationstechnik gefährdete Werte durch Recht geschützt bzw. Interessen an ihrer Nutzung gefördert werden sollen (Hamburg, April 1990),
welche rechtlichen Instrumente geeignet sind, um gesetzte Regelungsziele erreichen zu können (Karlsruhe, November 1990),
was informationstechnische Normen für die Gewährleistung von Sicherheit und Rechtsgüterschutz beitragen können (Bonn, April 1991),
wie die auf diesen vier Veranstaltungen erzielten Vorstellungen konkretisiert und zu einem Gesamtbild zusammengeführt werden können (Bremen, Oktober 1991).
In Berlin fand nun die Abschlußveranstaltungen dieses Diskurs-Projektes statt.
Wesentliche Differenzen in Vortrag und Diskussion gab es vorallem zur Trennung öffentlich und privat, wie sie im deutschen (und auch im österreichischen, Anm.) Datenschutzgesetz vorgenommen wird und zur Frage eines umfassenden Informationsrechts. So zeigte Dr. Garstka (BerlinerDatenschutzbeauftragter) an den Beispielen Sozialhilfefragebögen, Wohnungswerbungsfragebögen und Telefondatenerfassung, daß die Trennung öffentlich - privat nicht so leicht durchführbar ist. Prof. Zöllner (Universität Tübingen) hingegen plädierte stark für diese Trennung und meint weiter, daßzukünftige Rechtsregelungen im Datenschutzbereich nicht in einem globalen Recht sondern in den Einzelrechten zu verankern sind. Er bedauerte, daß die EG-Richtlinie Datenschutz in eine völlig andere Richtung gehe.
Eine Veränderung der Verantwortung von Unternehmen in der Informationsgesellschaft ortete Prof. Büllesbach (ehem. Datenschutzbeauftragter von Bremen, jetzt Daimler-Benz Interservices). Er beschrieb die Neuformierung der Märkte so: "Bisher wurden Informationsdienstleistungen im großen Umfang eher vonklein- und mittelständischen Unternehmen erbracht. Nunmehr - mit technischer Entwicklung und zunehmender Operationalisierbarkeit von Information - verändern Großunternehmen ihre Form, um auf diesem Markt tätig zu werden. Technik, z.B. Satellitentechnik, erfordert Großunternehmen.
Nur mit Hilfe der Informationstechnik können dezentralisierte Großunternehmen ihren Zusammenhalt wahren und erfolgreich den neuen Informations- und Telekommunikationsmarkt versorgen/bedienen.
Volkswirtschaftliche Gesamtversorgungen im Kommunikationssektor wurden bisher in Europa überwiegend nationalstaatlich erbracht. Mit der Operationalisierbarkeit der Information zur "Ware Information" stellen sich Marktstrukturen her, staatliche Monopole werden aufgelöst und zurückgedrängt.
Die Verwertungszyklen von Hard- und Software sowie von Know-how werden immer kürzer. Dies erfordert größere Märkte (Europäisierung, Internationalisierung).
Diese Veränderungen führen zu einem steigenden Dienstleistungsbedarf auf internationalen Märkten."
Daraus leitete Prof. Büllesbach folgende Neuausdifferenzierung im Recht ab: "Mit der zunehmend marktförmigen Informationsverarbeitung verlagern sich bisher überwiegend öffentlich-rechtlich gestaltete auf privatrechtlich gestaltete Rechtsbeziehungen (z.B. Telekommunikationssektor).
Die neuen Organisationsformen von Unternehmen (Dezentralisierung, Outsourcing, Datenverarbeitung im Auftrag) erfordern eine zunehmend differenziertere privatrechtliche Gestaltung der Informationsbeziehungen.
Dies könnte dazu führen, daß die "Ware Information" zunehmend eigenständig rechtlich geregelt wird."
Die zusammenfassende These von Prof. Büllesbach lautete somit: "Die Tendenz dieser Entwicklung läßt sich zusammenfassend damit umschreiben, daß das Unternehmen in der Informationsgesellschaft stärker in gesellschaftliche Verantwortung hineinwächst, die bisher vom Staat wahrgenommen wurde. An dessenStelle werden Unternehmen verstärkt Regulierungsanforderungen ausgesetzt (Self-regulation). Insgesamt werden Unternehmen den Strukturwandel intensiver gestalten und mitverantwortlich tragen müssen als bisher.
Prof. Eberle (Justitiar des Zweiten Deutschen Fernsehens, Mainz) ging in seinem Referat der Frage nach, ob ein umfassendes Informationsrecht tatsächlich der große Wurf sei. Sein Resumée: "Bereits diese exemplarischen Überlegungen am Beispiel zweier Kodifikationsbereiche - Medienrecht undDatenschutzrecht - verdeutlichen, daß der Ansatz eines einheitlichen und umfassenden Informationsrechts zum Scheitern verurteilt sein muß. Grund hierfür ist vor allem die heterogene Ausgestaltung der Konfliktsituationen, in die das Persönlichkeitsrecht gestellt ist.
Nicht nur die Interessenkonstellationen sind - den Lebensbereichen folgend - unterschiedlich angelegt, sondern auch die Lösungsmuster für die Konflikte differieren. Ein einheitlicher dogmatischer Ansatz, wie er dem Konzept eines Informationsrechts zugrunde liegt, würde die große rechtsdogmatischeLeistung überspielen und entwerten, wie sie im bereichsspezifischen Abarbeiten von Rechtsgüterkonflikten zum Ausdruck kommt."
(Teile entnommen aus "Vorgeschichte der GRVI-Tagung" von Rudolf Wilhelm, TU Berlin)
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