1992/12/31 Die Schwarzseherdatenbank
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Ungewohnt heftige Reaktionen verursachte eine Presseaussendung der ARGE DATEN zur geplanten Schwarzseher-Datenbank des ORF. Wir wollen die Gelegenheit ergreifen, noch einmal und ausführlich die datenschutzrechtliche Problemstellung darzustellen. Sogar mit Klagen wurde der ARGE DATEN gedroht.
Die Vorgeschichte
Die ORF-Teilnehmerzahlen stagnieren seit Jahren. Auf deutsch: ORF-Kunden sterben weg, neue Haushalte melden ihre TV-Geräte nicht an. ORF-intern wird mit mehr als 600.000 Schwarzsehern gerechnet. Der ORF kalkuliert dabei mit einem Einnahmenentgang von knapp einer Milliarde Schilling. Weiters zeigtenalle bisherigen Schwarzseherkampagnen nur sehr geringe Erfolge. Motto: Außer Spesen nichts gewesen.
Ein Hauptproblem besteht darin, daß der ORF zwar Hauptnutznießer der Gebühreneinnahmen ist, die Einhebung aber durch die Post- und Telegraphenverwaltung erfolgt. Und die ist mit Fragen der Umstellung des Telefonnetzes, der Errichtung von Datenleitungen, der Überwachung des Funkverkehrs, demZustellen von Poststücken und der Einführng von ISDN mehr als ausgelastet. Die Verfolgung von Schwarzhörern kann da nur nebenher betrieben werden.
Auch für die ARGE DATEN unbestritten ist, daß es hunderttausende Schwarzseher geben dürfte. Das Datenschutzproblem liegt jedoch in der Übersetzung der statistischen Aussage "10% der österreichischen Haushalte sind Schwarzseher" in die konkrete Formulierung "der Haushalt A ist ein Schwarzseher, derHaushalt B nicht". Man kann nämlich nicht zu 10% Schwarzseher sein, sondern man ist es zu hundert Prozent, oder zu null Prozent.
Das Direct-Mail-Konzept des ORF
Daher sollten in einer neuen Kampagne potentielle Schwarzseher direkt (persönlich) durch vom Computer erstellte Serienbriefe angesprochen werden. Derartige Serienbriefe werden von Adressenverlagen und bei Direct-Marketing-Aktionen meist dazu verwendet, um durch pseudopersönliche Ansprache Interesseund Kauflust zu erwecken.
Mittels "garantierter Sofortgewinne" und "sensationellen Angeboten" sollen Kunden geködert werden. Viele Menschen fühlen sich durch derartige Serienbriefe jedoch weniger "persönlich" angesprochen, sondern schlicht und einfach belästigt. Kurz überlegt sich der verärgerte Konsument, welcherDatenbestand diesmal geplündert wurde, um dann die unverlangte Werbebotschaft wegzuwerfen. Direct-Mailings stellen im Regelfall ein Ärgernis dar, die datenschutzrechtliche Problematik liegt darin, daß vielfach die Adressenherkunft nicht offengelegt wird (siehe auch unsere Geschichte "Täglich Alles -für Akademikerinnen").
Ganz anders stellt sich die Situation beim geplanten ORF-Mailing. Immerhin wird dem "potentiellen Kunden", so die offizielle Sprachregelung des ORF für diese Datei, ein Straftatbestand (=Nichtanmelden einer Rundfunkanlage) unterstellt. Damit gewinnt die Frage wer und warum und unter welchenUmständen in dieser Datei gelandet ist, höchste Brisanz. Ein derartiges Mailing, daß nach den Vorstellungen des ORF das Gefühl erzeugen soll, "amtsbekannt" zu sein, kann nicht einfach verärgert weggeworfen werden. Der solcherart Adressierte wird sich fragen müssen, wie der ORF zu seiner Adressegekommen ist und warum der ORF glaubt, daß er ein "Schwarzseher" ist.
Ein wenig aus dem Bauch heraus hat der ORF "seine" Zielgruppen definiert:
Haushaltsneugründungen: 300.000 potentielle Schwarzseher
Zuwandererhaushalte: 260.000 ausländische Gastarbeiter
Zweitwohnsitze: 140.000 potentielle Schwarzseher
Gewerbebetriebe: jeder Portier mit Radio, jedes Medienkammerl ein potentielles Schwarzsehernest, immerhin gibt es rund 190.000 Gewerbebetriebe in Österreich.
Telefonteilnehmer: es gibt mehr Telefonteilnehmer als Rundfunkbewilligungen, also: 100.000 weitere Schwarzseher.
Wiederum unbestritten: Es gibt Haushaltsneugründungen, in denen Schwarzseher sitzen, es gibt ausländische Zuwanderer, die Schwarzseher sind, es gibt Gewerbebetriebe, die als Schwarzseher gelten müssen, ...
Aber: Sicher nicht jeder Haushaltsgründer ist ein Schwarzseher. Es gibt im Gegenteil keine signifikanten Hinweise, daß unter den Haushaltsneugründern mehr Schwarzseher sind, als unter den alten Haushalten.
Nicht jeder Telefonbesitzer, der keine Rundfunkbewilligung hat, ist automatisch Schwarzseher. Der Grund ist simpel: Telefonanschlüsse werden an natürliche oder juristische Personen vergeben und mit diesen abgerechnet. Rundfunkmeldungen gelten jedoch für ganze Haushalte. Eine Blitzumfrage imBekanntenkreis der ARGE DATEN ergab, daß auf fast alle befragten Personen eines oder mehrere der "Schwarzseher"-Kriterien des ORF zutraf, tatsächlich jedoch eine gültige Rundfunkbewilligung vorlag.
Beispiel A: Das Telefon wurde auf die Ehegattin angemeldet, die Rundfunkbewilligung auf den Ehemann. Ein Datenabgleich zwischen Telefonbewilligung und Rundfunkbewilligung würde die Ehefrau zur Schwarzseherin stempeln.
Beispiel B: Zwei Personen werden unter getrennten Türnummern geführt, bilden also formell zwei Haushalte, tatsächlich handelt es sich jedoch um zusammengelegte Wohungen und die getrennten Adressen werden bloß aus historischen Gründen beibehalten.
Beispiel C: Eine Familie übersiedelt in eine neue Wohnung, die alte wird als Arbeits- und Rückzugsmöglichkeit behalten. Aus Schlamperei bleibt die Rundfunkbewilligung auf der alten Adresse, nur in der neuen Wohnung befinden sich jedoch Rundfunkgeräte. Ein Verwaltungsverfahren würde keinen neuenORF-Kunden bringen, sondern nur die Sanierung einer formellen Schlamperei.
Endlos ließe sich die Liste derartiger Beispiele fortsetzen (siehe auch unseren Kasten "Verdächtig ist ...").
Beginn Kasten
Verdächtig ist ...
... der Erholungssuchende, der in seinem Wochenendhaus zwar nicht auf Telefon, aber sehr wohl auf die Gesellschaft von Gottschalk, Hias und Moik verzichten kann.
... der Kulturfreak, der mit seinem Burgtheater-Abo immer noch Peymann life einem Kulturstammtisch vorzieht.
... der Firmenchef, der im Büro die Ohren seiner Mitarbeiter nicht mit dem akustischen Sondermüll von Ö3 zustopft.
... der Künstler, der sich in seinem Atelier etwas anderes unter Inspiration vorstellt.
... der Wirt, der das Extrazimmer seines Restaurants nicht für bierselige Fans von Fu<217>ball<129>bertragungen hergibt.
... die Jungverheirateten, die zur Zeit noch eine bessere Abendgestaltung wissen als die Glotze.
... der Student, der zu seinen Eltern fernsehen geht, weil die das Kabel haben.
... der Klassikfan, der seine Lieblingskomponisten lieber in Hifi von Platte statt in Senderqualität von Ö1 hört.
... der Ausgleichsrentner, der froh ist, sich die Butter aufs Brot leisten zu können und für den auch schon zweitausend
Schilling für ein TV-Gerät unbezahlbarer Luxus sind.
... der Cafetier, der der konservativen Auffassung ist, man komme in sein Lokal zum Gespräch und zum Schachspiel und glotzen könne man daheim.
... der Arzt, der in seiner Ordination in der Dauerberieselung seiner Patienten keinen therapeutischen Wert sieht.
... der Bergbauer, der sich in der Einschicht zum Fernsehempfang eine Satellitenantenne leisten müßte.
... der Hotelier, der seinen Gästen das österreichische Fernsehprogramm nicht zumuten will.
... der reisende Vertreter, der in seiner Zweitwohnung ohnehin nur todmüde ins Bett kippt.
... der Gastarbeiter, weil zu viert im 20-Quadratmeter-Substandard-Loch einfach kein Platz mehr für ein TV-Gerät ist.
... der Computerfreak, der sich die News von der Mailbox holt, statt vom Abendjournal.
... der Disco-Fan, der heimkehrt, wenn die Bundeshymne längst verklungen ist.
... der Häuslbauer, der mit jedem Groschen, den er verdient, erstmal die Raten vom Bausparkredit bezahlt, und jede freie Stunde an seinem Heim werkelt.
... die Dame vom Gürtel, deren Kunden auf dem Zimmer gewiß nicht das Nachtprogramm von RTL sehen wollen.
... der Exzentriker, für den die Flimmerkiste einfach immer schon der Gipfel der Unkultur war.
Ende Kasten
Nach unseren Erfahrungen im Zusammenhang mit Adressenverlagen, dürfte die Datenqualität eines derartig erzeugten Bestandes äußerst mangelhaft sein. Der ORF dürfte sich glücklich schätzen, würden in einem derartigen Rundumschlag ein Viertel der angesprochenen Personen tatsächlich Schwarzhörer sein.Oder anders herum formuliert: Dreiviertel der persönlich angeschriebenen Menschen hätten eine gültige Rundfunkbewilligung. Kalkuliert man die bei Direct-Mailing üblichen Reaktionsquoten (2-5% der angeschriebenen Personen), dann könnte der ORF bei 600.000 angeschriebenen Personen mit folgendenErgebnissen rechnen:
450.000 Personen mit aufrechter Rundfunkbewilligung
30.000 Personen ohne Bewilligung, ab mit Anspruch auf Gebührenbefreiung
120.000 "echte"Schwarzseher, von denen sich
6-30.000 tatsächlich durch das Schreiben beeindrucken lassen und eine Anmeldung vornehmen.
Womit die Aktion hinter den Ergebnissen der anderen Schwarzseherkampagnen zurückfallen würde (jeweils rund 50-100.000 neue Teilnehmer).
Die Datenbeschaffung des ORF
Da niemand mit dem Abzeichen "deklarierter Schwarzseher" herumläuft, andererseits es keine Dateien "Zweitwohnungen" (was ist das eigentlich genaugenommen?), "Wohnungsneugründungen" oder "Gastarbeiter" gibt, stellt sich der ORF folgende Datenbeschaffungsmethoden vor:
(a) Datenabgleich zwischen Telefonbesitzern und Rundfunkbewilligungsbesitzern.
(b) Einsatz von Briefträgern und sonstigen Schalterbeamten bei der Ausspähung von Zweitwohnungen und sonstigen verdächtigen Haushalten.
(c) Beschaffung von Adreßlisten über Haushaltsgründungen vom Statistischen Zentralamt.
(d) Beschaffung von Adreßlisten über Zweitwohungen von den Ländern.
(e) Beschaffung der Gewerbedaten von Adressenverlagen.
(f) Verpflichtung der Meldung von Neubaugebieten durch Postbedienstete.
(g) Datenabgleich der Kabel-TV-Teilnehmer mit den Rundfunkbewilligungen.
(h) Beschaffung von Hausstandsneugründungen von kommerziellen Adressenverlagen.
Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig. Der Rundumschlag des ORF macht auch vor Behörden und Ämtern nicht halt. Auch Finanzämter und Gendarmerieposten gelten als potentielle Zielgruppe.
Die Datenschutzbedenken der ARGE DATEN
Abgesehen davon, daß etliche der Beschaffungswünsche gar nicht erfüllbar sind - so dürften Länder und Statistisches Zentralamt über die genannten Daten gar nicht verfügen - lohnt es sich die datenschutzrechtliche Bedeutung der Beschaffungswünsche zu analysieren.
ad (a) Datenabgleich zwischen Telefonteilnehmern und Bewilligungsinhabern.
Beide Datenbestände "gehören" der ÖPTV, für beide ist sie AUFTRAGGEBER. Es handelt sich jedoch um zwei unterschiedliche Verarbeitungszwecke. Eine Verknüpfung der beiden Bestände ist in keinem Gesetz vorgesehen, daher verboten. Würde die ÖPTV einen Abgleich vornehmen, würde sie sich desGeheimnisbruchs gem. Par.48 DSG bzw. des Amtsmißbrauchs schuldig machen.
ad (b) und (f) Einsatz von Briefträgern und sonstigen Postbediensteten
Es gehört nicht zum Aufgabenbereich der Postbediensteten eigenmächtige Schnüffelaktivitäten zu entfalten. Derartige Denunziantendienste sollten der Vergangenheit angehören.
ad (c) Haushaltsgründungen beim Statistischen Zentralamt
Das ÖSTAT ist per Gesetz zur Wahrung des Datengeheimnisses über alle Daten, die sie im Zuge der statistischen Erhebungen erfährt, verpflichtet. Eine derartige Datenübermittlung würde eine klare Aufforderung zum Rechtsbruch darstellen.
ad (d) Zweitwohnungsadressen bei den Ländern
Länder und Gemeinden haben keine gesetzliche Ermächtigung, eigene Zweitwohnungsdateien zu führen. Ein derartiger Beschaffungswunsch des ORF geht ins Leere.
ad (e) Gewerbeadressen von Adressenverlagen
Eine der wenigen legalen Möglichkeiten des ORF an Adressen zu kommen. Tatsächlich wären diese Adressen von der Bundeswirtschaftskammer preiswerter zu erhalten.
ad (g) Datenabgleich der Kabel-TV-Teilnehmer
Die Kundendaten der Kabel-TV-Unternehmen sind als private Datenverarbeitungen anzusehen, die Datei der Rundfunkbewilligungen ist als öffentliche Verarbeitung anzusehen. Es gibt zur Zeit keinerlei gesetzliche Möglichkeiten, diese beiden Bestände abzugleichen. Eine Kabel-TV-Firma, die solches zuläßt,würde sich des Geheimnisbruchs nach Par.48 DSG schuldig machen.
ad (h) Hausstandsneugründungen von kommerziellen Adressenverlagen
Grundsätzlich eine legale Datenbeschaffungsmöglichkeit des ORF. Wenn der Adressenverlag nachweisen kann, daß er selbst diese Daten legal beschafft hat. Auf einen derartigen Nachweis wäre die ARGE DATEN gespannt. Es gibt nämlich keine Möglichkeit, systematisch Haushaltsneugründungen zu erheben.Manche Adressenverlage leiten aus mehr oder weniger zutreffenden Indizien (z.B.: Wohnungswechsel, Zuzug zu einer bestehenden Adresse, Ankauf von bestimmten Möbeln oder Haushaltsgegenständen) die Tatsache einer Haushaltsgründung ab. Mit all den Unsicherheiten, die derartige statistische Verfahrenhaben. Diese Daten sind somit wertloser Datenschrott.
Zusammenfassung
Würde das Vorhaben in seiner ursprünglichen Form durchgezogen, entstünde ein gigantischer Datenfriedhof, der in der Mehrzahl der Fälle illegal zustande gekommen wäre und der wiederum in der Mehrzahl der Fälle völlig unbescholtene Bürger unterschwellig zu "Schwarzsehern" machen würde. Damit wärejedoch die Unschuldsvermutung, auf die unser gesamtes Rechtssystem aufbaut, unterlaufen. Hunderttausende müßten klarstellen, daß sie keine Schwarzseher sind.
Die geplante Direct-Mail-Kampagne, mag man sie "Schwarzseher"-Kampagne oder "zielgerichteter Informationsdienst für potentielle Kunden" bezeichnen, muß aus praktischen und rechtlichen Gründen als völlig undurchdachtes Werbekonzept angesehen werden. Wir hoffen, daß wir auch für dasORF-Generalsekretariat genügend klare Argumente gebracht haben, warum eine derartige Methode völlig ungeeignet ist, die hohe Zahl von Schwarzsehern zu erreichen.
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