1992/12/31 Adressenhandel ist keine Nebenerwerbsquelle!
Mit der Entscheidung 90/12/0267 hat der Verwaltungsgerichtshof eine Reihe bemerkenswerter Feststellungen zum Verhältnis zwischen Kunden und Händlern, zwischen Händlern und deren Lieferanten einerseits und zwischen "normalen" Händlern und Datenhändlern vulgo Adressenverlagen andererseits getroffen(siehe auch unsere Geschichte Damart - Kalt? Mir nie! in: Datensch(m)utz im Alltag)
Aber hübsch der Reihe nach. Rekonstruieren wir den klassischen Fall einer Geschäftsbeziehung: Der Kunde A.kauft beim Händler D. eine Ware ein, oder er interessiert sich auch nur für bestimmte Waren. Zur Erleichterung der Geschäftsabwicklung werden Namen und Adresse, vielleicht auch weitere Datenbekannt gegeben. A. und D. gehen eine Partnerschaft ein, vielleicht nicht fürs Leben, aber doch eine, die ein Minimum gegenseitigen Vertrauens einschließt.
Allzuoft werden kurz darauf Kunden des Typs A. von völlig anderen, vielfach dubiosen Firmen beworben. Der Händler D. hat seine Daten der Firma X. "zur Verfügung" gestellt. Listbroking ist das Zauberwort dazu. Wird der Händler D. darauf angesprochen, weiß er meist von nichts, "kann sich das nichtvorstellen" oder hüllt sich überhaupt in Schweigen.
Ergebnis dieser Praxis: Verärgerte Konsumenten, überfüllte Postkästen, laufende Beschwerden bei der ARGE DATEN und, nicht zu unterschätzen, erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten der seriösen Unternehmen und Handelsbetriebe. Der Aufbau, die Pflege und die Wartung eines eigenen Kunden- undInteressentendatenbestands ist langwierig und aufwendig.
Die Klarstellungen des Verwaltungsgerichtshofes
(1) Listbroking, d.h. das "zur Verfügung stellen von Datenmaterial", stellt nach dem DSG eine Übermittlung an den Datenhändler dar. Daten werden daher nicht bloß "zur Verfügung gestellt", sondern übermittelt. Dies gilt auch dann, wenn die Daten nur einmal verwendet werden. Der Grund, warum es sichum eine Übermittlung handelt: Die Daten werden nicht mehr für den ursprünglichen Zweck verwendet, sondern für einen neuen.
(2) Die Datenweitergabe ist für den Händler D. im Regelfall verboten. Aus der Tatsache, daß D. mit Wäsche, Fotoapparaten oder Büchern handelt, darf er nicht ableiten, daß er auch mit Adressen handeln darf. Es gilt noch schärfer: Der Kunde ist in eine Vertrauensbeziehung eingetreten, in der ererwarten konnte, daß seine Daten vertraulich behandelt werden. Für juristisch interessierte: Der Handel mit Kundenadressen stellt kein gewerbliches Nebenrecht dar. Wer sich bisher darauf ausredete, wird mit der VwGH-Entscheidung endgültig eines besseren belehrt. Einziges Schlupfloch für eine legaleDatenweitergabe wäre die ausdrückliche Zustimmung des Kunden zur Weitergabe.
Vor der Abgabe einer solchen Zustimmung können wir nur eindringlich warnen. Der Konsument hätte dann überhaupt keine Chance mehr, die über ihn hereinbrechende Werbeflut zu steuern und zu begrenzen. Geschäftspartner, die derartiges verlangen, sollten grundsätzlich gemieden werden. Seriöse Unternehmenbrauchen kein Zusatzeinkommen als Datenhändler.
(3) Bei den Kundendaten handelt es sich um sensible Daten, da Angaben über gekaufte Produkte, Bestellnummern und Interessensgebiete, Rückschlüsse auf das Konsumverhalten des Kunden erlauben.
(4) Die Weitergabe der Daten an Lieferanten zum Zwecke der direkten Zustellung von Waren ist auch ohne Zustimmung des Kunden zulässig. Datenschutz behindert somit nicht die wirtschaftliche Abwicklung konkreter Geschäfte. Aber auch für den Lieferanten gilt: Solcherart erhaltene Daten dürfen nur gemäßder Zweckwidmung verwendet werden.
(5) Die Weitergabe von Kundendaten an Listbroker (und sonstige Adressenhändler) ist auf jeden Fall untersagt, unabhängig davon, ob es sich um automationsunterstützt verarbeitete Daten handelt (hier ist Par.18 DSG anzuwenden) oder um manuell verarbeitete Daten (Handkarteien). In letzterem Fall istPar.1 DSG anzuwenden.
(6) Das Weitergabeverbot gilt auch dann, wenn ein Teil der Daten aus öffentlichen Quellen entnommen wurden. Zum Beispiel schreibt unser Händler D. die Adressen aus dem Telefonbuch ab (das darf er) und informiert diese Personen über seine neuesten, tollsten Super-Sonder-Bio-Angebote. Die sogewonnenen neuen Kunden nimmt er in seine Kundendatei auf. Auch deren Adressen- und sonstigen Daten unterliegen dem Weitergabeverbot.
(7) Manche Unternehmer wollen das Weitergabeverbot durch eine zweite Gewerbeberechtigung umgehen. Sie beschaffen sich einfach die Berechtigung zum Adreßhandel. Auch diese Vorgangsweise saniert nicht den Rechtsbruch. Kundendateien und Dateien, die zum Zweck des Adreßhandels aufegebaut werden, stellenzwei unterschiedliche Zwecke nach dem DSG dar.
Auch wenn beide Zwecke innerhalb eines Unternehmens verfolgt werden, handelt es sich bei der Weitergabe von Daten, aus dem Bereich Kundenbetreuung in den Bereich Adreßhandel um eine Datenübermittlung, die - siehe oben - verboten ist. Der Rechtsbruch erfolgt nicht mehr zwischen zwei Firmen, sondernwird bloß innerhalb des Handelsunternehmens verlagert. Es handelt sich auch dann um "Übermittlung" im Sinne des DSG, wenn edv-technisch Kundendatei und Adreßhandelsdatei eine einzige Datenbank ist, auf die bloß mit verschiedenen Programmen zugegriffen wird.
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"Doch selbst wenn man berücksichtige, daß ein Unternehmer (Adresseneigentümer) neben der die Datenübermittlung nicht rechtfertigenden Gerwerbeberechtigung eine weitere Gewerbeberechtigung eines Adressenverlages besäße, könne das nicht die Zulässigkeit der Übermittlung an die beschwerdeführende Partei bewirken. In Par. 3 Z. 9 DSG sei "übermitteln" im Sinne des Datenschutzgesetzes u.a. auch als Verwendung der Datenfür ein anderes Aufgabengebiet des Auftraggebers definiert. Ein Rechtsträger könnte verschiedene berechtigte Tätigkeitsbereiche verfolgen. Der Ausschußbericht (1024 Blg. NR XIV. GP) stelle aber klar, daß unter "Aufgabengebiet" die einem Organ eines Rechtsträgers durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben ineiner bestimmten Verwaltungsmaterie (z.B. Personalverwaltung) zu verstehen seien.
Der Kundenverkehr sei ein derartiges Aufgabengebiet jedes Unternehmens. Die dazu verwendeten Daten entstammten ausschließlich aus Geschäftsbeziehungen mit Kunden; der Verkauf oder die Bereitstellung dieser Adressen an einen Adressenverlag, um losgelöst von der zugrunde liegenden Geschäftsbeziehung mit diesen Daten zusätzliche Geschäfte zu betreiben, an denen derBetroffene nicht beteiligt sei, sei ein anderes Aufgabengebiet.
Die Verwendung dieser Daten für ein allenfalls bestehendes anderes Aufgabengebiet desselben Unternehmens, insbesondere bei Vorliegen einer besonderen Gewerbeberechtigung als Adressenverlag, sei im Sinne der eben zitierten Gesetzesbestimmung ein "Übermitteln", das nach denselben Kriterien zu bewertensei, wie die Übermittlung vom Adresseneigentümer an den Adressenverlag, nämlich nach Par. 18 DSG. Eine eigene Adressenverlagsberechtigung bewirke daher für die Zulässigkeit der Übermittlung an die beschwerdeführende Partei nichts, weil bereits vorher durch die Verwendung der im ersten Aufgabengebietangefallenen Daten für ein anderes Aufgabengebiet derselben Kunden der beschwerdeführenden Partei ein unzulässiges Übermitteln verwirklicht worden sei." (Zitat aus VwGH 90/12/0267, S.11f)
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Anmerkungen der ARGE DATEN
(a) Für Teilnehmer an den Datenschutzseminaren der ARGE DATEN stellen die Erkenntisse des VwGH "alte Hüte" dar. Trotz vielfach ungläubigen Staunens und betroffenen Reaktionen konnten wir an Hand aktueller Beispiele immer wieder überzeugend darstellen, daß Listbroking in der in Österreichpraktizierten Form im Regelfall illegal ist.
(b) Für alle, die die Listbroking-Problematik und auch andere Datenschutzprobleme aus der Praxis genauer kennen lernen möchten, seien die nächsten Datenschutz-Seminartermine genannt: 1.10.1992 (Datenschutz im Privatbereich) und 15.10.1992 (Datenschutz in der öffentlichen Verwaltung).
(c) Derartige Datenweitergaben sind nach den Strafbestimmungen des DSG zu behanden (Par.48 Geheimnisbruch und Par.49 Unbefugte Eingriffe im Datenverkehr). Beide Fälle können mit bis zu einem Jahr Freiheitsentzug geahndet werden. Wobei im Regelfall der Händler D., der die Daten "zur Verfügung stellt"nach Par.48 zu verfolgen wäre und der Nutznießer der Datenweitergabe, der Adressenverlag nach Par.49.
Warum hatte sich der VwGH überhaupt mit Adressenhandel beschäftigt?
Zur Erkenntnis 90/12/0267 kam es im Zuge des Antrags auf Überlassung von Listbrokingdaten ins Ausland. Derartige Überlassungen sind durch die Datenschutzkommission bewilligungspflichtig. In ihrer nun schon gewohnt schlampigen Art hatte die DSK ihren Bescheid 176.823/19-DSK/90 verfaßt. Ein Teil derDatenüberlassung wurde genehmigt, ein anderer Teil des Antrags abgewiesen und der "Rest" wurde ebenfalls abgewiesen ("III. Im übrigen wird der Antrag gemäß Par.34 Abs. 2 Z. 1 DSG abgewiesen."). Da dem ganzen Bescheid nicht zu entnehmen war, was dieser Punkt III überhaupt bedeuten sollte, kam es zurBeschwerde der Antragstellerin gegen diesen Punkt III. Und der Verwaltungsgerichtshof mußte diesen Bescheid-Punkt auch prompt - aus rein formellen Gründen - aufheben.
Damit wiederholte sich jenes Spiel, daß schon vor einem Jahr zur Aufhebung des Bescheids 176.823/4-DSK/89 führte. Die ARGE DATEN berichtete in DIR 2/91 ausführlich darüber.
Juristischer Nachtrag
Eher kurios muten die Ausführungen der Beschwerdeführerin (dem Adressenverlag) im Punkt Datenverarbeitung an: Vorgebracht wurde, daß das Ermitteln von Daten und auch die Beschaffung von Daten im Wege der Übermittlung durch Dritte nicht zur "Datenverarbeitung" im Sinne der Legaldefinitionen im Par.3Z.5 bis 7 DSG zähle. Damit sei zwischen der Rechtmäßigkeit der Ermittlung von Daten und der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung selbst zu unterscheiden. Diese Rechts"auffassung" wurde vom VwGH verworfen.
Eingedenk der notwendigen Verbindung zwischen Daten ermitteln und Daten verarbeiten lassen sich daraus nur folgende Schlüsse ziehen:
(a) Entweder der Hausjurist des Adressenverlags ist nicht über die technischen Grundstrukturen der Datenverarbeitung informiert oder
(b) er argumentiert wieder besseren juristischen Wissens, um noch gröbere Ermittlungsverletzungen des Adressenverlags zu kaschieren.
In beiden Fällen darf gelten, daß langfristig weder der Seriosität der Adressenverlage, noch dem (Datenschutz) Schutz der Konsumenten ein Dienst erwiesen wird.
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