1992/12/31 Mediengesetz - einige kritische Anmerkungen
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Das neue Mediengesetz und die hier veröffentlichten Stellungnahmen waren Anlaß zu heftiger Diskussion - nicht nur mit Journalisten, auch innerhalb der ARGE DATEN. Daß die Meinungen über Sinn und Zweck mancher Passagen des Gesetzes durchaus geteilt sind, mag die folgende Analyse beleuchten.
1.
Grundrechte des Individuums sind elementarer Bestandteil demokratischer Rechtsordnungen; deren juristische Form mag aber durchaus einen Einfluß auf die reale Wirksamkeit ihrer Prinzipien haben. Findet die Formulierung der Grundrechte im Zuge einer grundlegenden politischen Zäsur statt, so ist dieRechtssprache meist eine viel eindeutigere und kompromißlosere. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, geschaffen nach dem Untergang des Dritten Reiches, läßt ebenso wie die amerikanische Constitution an Deutlichkeit nur wenig vermissen (daß in den USA der Gegenwart die Einforderung dieserRechte mit brennenden Großstädten einhergeht, steht auf einem anderen Blatt).
Die österreichische Bundesverfassung dagegen ist ein rechtshistorischer Flickenteppich: ausgehend von einfachen Gesetzen aus dem Jahre 1862 (Hausrecht und persönliche Freiheit) und dem Staatsgrundgesetz von 1867, über das Bundesverfassungsgesetz 1929 bis hin zum Staatsvertrag 1955, und schließlich -der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (pikanterweise mit Vorbehalten in Sachen Freiheitsentzug, die durchaus das politische Prädikat "südamerikanisch" verdienten).
Vor allem einmal schreibt diese Verfassung die Organisationsform des Staates fest, bis in Detais, wie die Kompetenz für eine "Flurschutzpolizei". Begibt man sich in diesem Konvolut auf die Suche nach dem Kapitel "Bürgerrechte", so findet man dieses breit verteilt, wie Krümel auf besagtemTeppich.
Haus und Individuum sind ab 1862 vor staatlicher Unbill geschützt; beansprucht das Individuum darüberhinaus das Attribut "slowenisch" oder "kroatisch" für sich, so muß es dagegen auf den vielzitierten Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 verweisen. Die Pressefreiheit findet sich erstmals schon1867, wird 1918 etwas halbherzig klingend wiederholt und ist am konkretesten noch in einem Importprodukt formuliert: der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1958. Allein sieben verschiedene Überleitungsgesetze kitten das Rechtsgebäude zusammen, ein gutes Sachregister wird zum wichtigstenLeitfaden beim Studium dieses Gesetzeswerks.
Ansonsten liest sich das Ganze wie ein längerer politischer Lernprozeß: 1862 finden sich die ersten zaghaften Schritte gegen Metternich (dessen Geist immer noch in den Ritzen spukt), 1919 wurde mit den Habsburgern abgerechnet, 1955 - unter allierter Anleitung - mit den Nazis. Fortsetzung ist möglichund folgt (vielleicht).
2.
Vornehmlicher Zweck der in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechte ist es, die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Zugleich aber sollen die Grundrechte eine Normierung darstellen, dieRechtsprinzipien für die gesamte Rechtsordnung festlegen, also auch für die Belange des Privatrechts. Womit wir bereits in die Nähe des Mediengesetzes kommen.
Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in den gesamten Rechtsbereich kann aber nur so stark sein, wie deren konsistente und kompakte Formulierung als Rechtsprinzip. Je deutlicher das Verhältnis der bürgerlichen Freiheiten gegenüber den Institutionen der Staatsgewalt geregelt ist, desto klarerkönnen die Implikationen auch bezüglich all jener Normen sein, die das Verhältnis der Privaten untereinander betreffen.
Nach der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung müssen die Rechtsbeziehungen der Mitglieder untereinander den übergeordneten Bestimmungen der Verfassung entsprechen. Daraus folgt, daß die Gesetzgebung den Privatrechtsbereich so zu gestalten hat, daß die Grundrechte ihre Geltungskraft auch entfaltenkönnen. Der Gesetzgeber darf also dem Einzelnen keine Vertragsfreiheiten oder gesetzliche Freiheiten einräumen, die dem Berechtigten die Möglichkeit geben, mit gesetzlicher Absicherung die Grundrechte anderer zu verletzen. Soweit die Theorie.
3.
In der Österreichischen Verfassung ist der Kuchen der individuellen Grundrechte die Summe seiner Krümel. Ein Rekurrieren auf diese würde seitenlanges Zitieren einzelner verstreuter Gesetzespassagen bedeuten - kein schnelles Argument in einer öffentlichen Diskussion. Wobei es findigen Juristenüberlassen bliebe, etwaige Hierarchien im Zusammenhang dieser Gesetze noch auszumachen: etwa ob die "verfassungsrechtlichen Nebengesetze", in denen viele der für die Bürgerrechte relevanten Paragraphen stehen, eine verfassungsrechtliche Nebensache sind oder nicht. (Daß beispielsweise für dasösterreichische Post- und Telegraphenwesen teils noch Gesetze existieren, an denen die Grundrechte der Verfassung scheinbar spurlos vorübergegangen sind, sei nur am Rande angemerkt).
Würden diese Grundrechte als festumrissener Abschnitt der Verfassung für sich stehen, so löste sich das scheinbare Spannungsverhältnis von Freiheit der Presse gegenüber Grundrechten des Individuums auf: in das unveräußerliche Recht des Einzelnen gegen Eingriffe seitens der - jeweils mächtigeren -Institution. Im konkreten Falle eben nicht mehr eine staatliche, sondern eine Institution im Sinne des Privatrechts. Schließlich darf es für die individuellen Freiheitsrechte keinen Unterschied machen, ob der Schutz vor rechtswidrigem Eingriff sich gegen eine öffentliche Körperschaft oder einenPrivaten abgrenzt (daß die praktische Realisierung solcher Rechte durchaus wesentliche Unterschiede mit sich bringt, zeigt in aller Deutlichkeit das DSG, in dem ein Rechtsanspruch gegenüber Privaten nur mit einem unvergleichbar höheren materiellen Risiko durchsetzbar ist als gegenüber demStaate).
Der Fluch schwachbrüstig formulierter Bürgerrechte liegt nun darin, daß sich deren Konkretisierung in den einfachen Gesetzen mehr oder weniger wiederholen muß - und dies nicht auf Basis eines starken, übergreifenden Rechtsprinzips (zu dessen Festlegung man in der Katharsis einer Staatsneugründungviel eher bereit ist), sondern vielmehr in Abhängigkeit von tagespolitischer Diskussion.
Durchaus gutgemeinte Intentionen degenerieren dann in den Ausschüssen zu zweischneidigen Formulierungen, unausgesprochene Absichten etablieren sich manches Hintertürchen und der Boden für zukünftige Restriktionen wird - oft auch ohne Absicht aller Beteiligten - bereitet. Unter diesem Aspekt gewinntdie Ansicht, die besten Gesetze sind jene, die nicht beschlossen werden, eine gewisse Berechtigung; speziell wenn es sich um rechtliche Schranken handelt, die seinerzeit besser als Grundrecht formuliert worden wären.
So gewinnt eine weitergehende Reglementierung journalistischer Tätigkeit im Zuge des Medienrechts den üblen Ruch der Zensur. Jenes Grundrecht auf "privacy", das in einer allgemein gehaltenen Diskussion wohl außer Streit stünde, wird im Rahmen des Mediengesetzes mit seinen fast schon kasuistischanmutenden Formulierungen zum Klotz an der Feder des Berichterstatters. Je umfangreicher die gesetzlichen Restriktionen sind, desto größere Gefahr droht durch ihre extensive Auslegung. Oder aber durch die extensive Nutzung durch jene, die ohnehin schon an den Hebeln der Macht sitzen, und aufgrundihres Wirkens und Werkelns ins Schußfeld öffentlicher Kritik geraten sind.
Möglich werden diese Diskrepanzen um das Mediengesetz durch die Zwitterstellung des Journalismus: nach eigenem Selbstverständnis als Anwalt der Öffentlichkeit, im Sinne des Grundrechts der Pressefreiheit auch als außerstaatliche Kontroll- und Kritikinstanz staatlicher Aktivitäten, im Sinne der "zuKontrollierenden" hingegen als schlichtes Werkzeug der Meinungslenkung. "Unabhängig" im Sinne von "nichtstaatlich" ist schließlich noch nicht Unabhängigkeit für den einzelnen Journalisten - wovon der langjährige Kampf um Redaktionsstatute und innerredaktionelle Freiheiten Zeugnis ablegt. Und sindAllianzen von Machthaber(er)n und Medien schon unheilig genug, so sind scheinbare Interessensidentitäten zwischen ersteren und dem Engagement für Bürgerrechte - gegen die Medien gerichtet - es nicht minder.
Fazit: die so sehr begrüßten Persönlichkeitsrechte haben in einem Mediengesetz - also einem Gesetz, das in seiner Exekution allein die Medien und deren Berichterstatter betrifft - eigentlich nur wenig verloren. Die gehören zusammen auch mit allen Datenschutzrechten eine Etage höher, nämlichdeutlich, klar und unmißverständlich ausformuliert in die Verfassung, Kapitel Bürgerrechte. Nur von dort kann ihre Wirkung in alle untergeordneten Rechtsbereiche ausstrahlen. Und damit auch jene privatrechtlichen Konstellationen durchdringen, die im Spannungsfeld von wahrheitsgetreuerBerichterstattung und Schutz des Individuums liegen.
Denn, ist der Pranger als Zwangsmittel dem Staate untersagt, so kann und soll er es genauso jedem Privaten sein. Und sind die Individuen vor dem Gesetze wirklich gleich, ungeachtet von Herkunft, Stand, Geschlecht und Bekenntnis (oder aktueller konkretisiert, ungeachtet von Parteizugehörigkeit,institutioneller Macht, sowie der finanziellen Kapazität zur Prozeßführung), dann ist auch Waffengleichheit im Kampf gegen mediale Diffamierung und gegen Angriffe auf die Menschenwürde geschaffen, und zwar ohne die Krücke der Paragraphen eines Mediengesetzes.
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