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1991/12/31 Die Telefonanlage - der weitverzweigte Computer
DIR
1987 hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden: Telefonanlagen sind nicht zustimmungspflichtig. Wirklich nicht?

Im Zuge der Entwicklung der neuen Techniken, wurde auch der Bereich Telefon von der Mikroelektronik erfaßt. Alte Wählämter und Vermittlungseinrichtungen konnten dem erhöhten Kommunikationsaufwand nicht mehr gerecht werden oder waren technisch desolat und wurden ersetzt. Selbstverständlich durch eine digitale Anlage, eine Anlage, die auch Zusatz-(Plus-) Leistungen enthält: Wahlwiederholung, Kurznummernspeicher, Anrufumschaltung, Freisprechanlage, Sprachmailbox und Income-Display und selbstverständlich: verbesserte Gebührenerfassung. Immerhin gibt es in Österreich 85.000 Telefonnebenstellenanlagen mit rund 250.000 amtsberechtigten Nebenstellen. 250.000 Telefonklappen also, von denen aus nach auswärts telefoniert werden kann.

Diese Gebührenerfassung ist auch in der Regel der Ausgangspunkt für einen Konflikt zwischen Betriebsführung und Betriebsrat.

Die Positionen sind klar: Durch möglichst genaue Zuordnung, wer, wann, mit wem, wie lange gesprochen hat, hofft das Unternehmen die Telefonkosten zu senken. Der Betriebsrat sieht in dieser Kontrolle eine Überwachungsmaßnahme und damit nach dem Par. 96 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) eine Maßnahme,die "die Menschenwürde berührt". Damit wäre eine derartige Anlage, genauer das Gebührenauswertungsmodul, zustimmungspflichtig.

Nicht jede Anlage "berührt die Menschenwürde"

Vielfach wird der Überwachungsaspekt in den Hintergrund treten, etwa durch die Vereinbarung, die Ortsgesprächsnummern nicht zu erfassen. Damit kann der notwenige private Teil (Kontakte mit Behörden, mit Versicherungen, mit Arzt und Gewerkschaft) abgewickelt werden, ohne lästige Fragen, wozu welches Gespräch notwendig war, befürchten zu müssen. Problematisch sind die Erfassungsfunktionen in Hotels (Überwachungsmöglichkeit der Gäste) oder bei Stellen, bei denen es "auf die Kontakte" ankommt, wie in Zeitungsredaktionen. Auch freiberufliche Mitarbeiter, oder Mitarbeiter die auf Provisionsbasisbeschäftigt sind, lassen sich nicht gern in die Karten ihrer - geschäftlichen - Kontakte blicken.

1983 kommt es zu einer ersten einigungsamtlichen Entscheidung: Sowohl das subjektive Überwachungsgefühl, als auch die Tatsache, daß die Anlage technisch zur Überwachung geeignet ist, berühren die Menschenwürde. Daher ist die gegenständliche Telefonanlage zustimmungspflichtig (Einigungsamt Wien20.6.83 - V Re 507/82)

1984 - Orwell-Jahr - schließt sich die Datenschutzkommission (DSK) für den Bereich öffentliche Verwaltung dieser Position an. Es erschien dabei unerheblich, ob der Arbeitgeber die Überwachung beabsichtigt oder nicht.

Schon 1985 kommt die Trendumkehr. Das Einigungsamt Linz erkennt, daß unter bestimmten Voraussetzungen die automatische Telefondatenerfassung nicht zustimmungspflichtig ist. Erstens muß die Möglichkeit bestehen, bei privaten Gesprächen die Speicherung der angerufenen Nummer zu unterbinden. Und zweitens: Die Nutzung einer Nebenstelle durch mehrere Personen erschwert eine personenbezogene Zuordnung.

In die gleiche Kerbe schlägt letztlich das VwGH-Urteil aus 1987 (11.11.87-Re 16/87). Wesentlicher Unterschied zur früheren Argumentation: Es wird nur das Kontrollpotential der gegenständlichen Anlage in einer bestimmten Konfiguration beurteilt. Jede moderne Anlage hat beliebige zusätzliche Aufzeichnungs-, Auswertungs- und Datenspeichermöglichkeiten, gleichzeitig haben alle Anlagen die Möglichkeit, bestimmte Kontrollfunktionen zu unterdrücken. Werden beispielsweise nur die ersten 4 Stellen der Zielnummer gespeichert, kann trotzdem eine Gebührenabrechnung erfolgen, der konkrete Gesprächspartner bleibt jedoch anonym. Oder es werden nur Ferngespräche aufgezeichnet. Oder alle Telefondaten werden nur kurzfristig (einen Tag) gespeichert und die Abrechnung dann ausgedruckt.

Zusatzfunktionen digitaler Telefonanlagen

Viele Funktionen (zum Beispiel: Freisprechen) sind datenschutzrechtlich unbedenklich.
- Gebührenauswertung: Erfassung, welche Nebenstelle, wann (Uhrzeit), wielang, mit welcher auswärtigen Nummer verbunden war. Und: Welche Kosten dabei angefallen sind.

- Income-Display: Bevor der Telefonhörer abgehoben wird, wird angezeigt, von welcher Telefonnummer angerufen wird. Damit kann man auswählen, ob man ein bestimmtes Gespräch überhaupt entgegennimmt.

- Ablegen von Nachrichten: Im Speicher eines Computers können Nachrichten für nicht erreichbare Personen hinterlegt werden.

- Letztnummernspeicher: Die letzte Nummer bleibt gespeichert und kann durch Tastendruck wiederholt werden. Problematisch dann, wenn viele Personen einen Anschluß benutzen. Im EG-Parlament wurde diese Funktion bei den öffentlich zugänglichen Telefonen unterbunden.

- Fangen: Die Rückverfolgung, wer eigentlich angerufen hat. Vorstufe zum Income-Display.

-Sprachbausteine: In elektronischer Form werden genormte Durchsagen abgespeichert und in bestimmten Fällen (Nebenstelle besetzt, Mitarbeiter außer Haus ...) abgerufen.


Damit wurde die Frage der Zustimmungspflichtigkeit pragmatisch gelöst: Es kommt auf die konkrete Anlage an. Damit wird auch den einzelnen Betriebsräten ein höheres Maß an Verantwortung übertragen. Sie müssen sich mehr mit den Details "ihrer" Anlage auseinandersetzen und selbst sicherstellen, dass unbemerkte nachträgliche "Leistungs"änderungen (sprich: zusätzliche Datenerfassungen und -auswertungen) unterbleiben.

Kommunikation statt Telefon

Unbeachtet blieb jedoch in der Hitze der technologischen Auseinandersetzung ein weiterer, und für die Zukunft bedeutsamerer Aspekt.

Die klassische Telefonanlage (egal ob elektromechanisch oder elektronisch) ist tot. Eine heute installierte Anlage ist durch vier Merkmale gekennzeichnet:

1. Multifunktional: neben der Funktion "Gespräche führen" werden viele Zusatzleistungen angeboten.

2. Prozessorgesteuert: Herz jeder digitalen Telefonanlage ist ein Computer.

3. Programmgesteuert statt "Festverdrahtung": Änderungen der Leistungs- und Dienstmerkmale erfolgen nicht durch Änderungen einzelner Bauteile (Hardware), sondern durch flexible Programmänderungen.

4. Integrativ: Eine neue Anlage verbindet verschieden, bisher, getrennte Kommunikationskanäle (Telefax, Telex, Datenübertragung).

Damit wird eine neue Telefonanlage zu einem Rechner (unter vielen) in einem Computer-Netzwerk. Welche Information gerade durch die Leitungen geht, ob gesprochen (Telefon), geschrieben (Telefax) oder computergeneriert (Daten und Dokumentenbausteine) wird, ist für den Außenstehenden nicht mehr leichtunterscheidbar.

Kommunikationsdienste in Österreich im Überblick

- Telefonanlagen: 3,102.814 Hauptanschlüsse (1989)

- Telex: 21.000 (1989, minus 3.000 pro Jahr)

- Telefax: 110.000 (Juni 1990)

- Teletex: 1.082 (Juni 1990)

- BTX: 11.500 (1990)

- Daten - Dienste: 10.375 (1989)

- Telefonmodems: 20-25.000 (1990, geschätzt)

Im datenschutzrechtlichen Abseits

Die elektronische Sprachbox, die einen konventionellen Anrufbeantworter ersetzt, speichert Sprachbausteine in digitalisierter Form. Sie werden damit zu "Computerdaten", die natürlich besonderer Sorgfalt zur Verhinderung mißbräuchlicher Verwendung bedürfen. Der Absender einer Mitteilung muss sichersein, dass nur der Empfänger diese Information erhält und niemand (auch nicht der Empfänger) diese Daten verändern kann.

Derartige Telefonanlagen unterliegen nicht nur dem ArbVG und sind daher zustimmungs- bzw. informationspflichtig, sondern auch dem Datenschutzgesetz. Eine Anlage, die personenbezogene Daten (Vermittlungs-, Gebühren- und Gesprächsdaten) erfaßt und elektronisch verarbeitet, ist beim Datenverarbeitungsregister (DVR) registrierungspflichtig und auch gegenüber den Betroffenen auskunftspflichtig.

Tatsachen, die offensichtlich der Mehrheit der Telefonanlagenbesitzer unbekannt sind. In einer Anfrage beim DVR, konnte mir der Sachbearbeiter keine Firma nennen, die nach seiner Erinnerung ihre Telefonanlage (ihre Telefondatenerfassung) registrieren ließ.

Damit eine Telefonanlage registrierungspflichtig wird, müssen zwei Faktoren zusammentreffen: Die Anlage muss personenbezogene Daten verarbeiten und diese Daten müssen in einer computerähnlichen Form verarbeitet (gespeichert, selektiert oder sortiert) werden. Als personenbezogene Daten gelten alle Daten, die einer bestimmten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuordnen sind. Wird eine Nebenstelle nur von einer Person regelmäßig genutzt, dann sind alle Informationen zu dieser Nebenstellennummer Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes. Selbstverständlich ist auch die Zielnummer einpersonenbezogenes Datum. Der Betreiber einer Nebenstellenanlage wäre daher auch allen angerufenen Personen zur Auskunft verpflichtet, welche Daten er im Zusammenhang mit der gespeicherten Zielnummer verarbeitet.

Arbeitsrechtlich ein völliger Graubereich. Kaum ein Betriebsrat, geschweige denn ein Arbeitnehmer oder ein angerufener Kunde kommt auf die Idee, mittels Datenschutzauskunft nachzufragen, was eigentlich mit den mittels der Telefonanlage anfallenden Daten geschieht.

Das Ende des Datenschutzes

Eine zusätzliche Verschärfung der Situation ergibt sich durch den nächsten Schritt in die Telefonzukunft. Die angestrebte Dienst-Normierung, egal ob über ISDN oder über eine andere Norm durchgesetzt, wird getrennte Datenbereiche miteinander vermischen. Damit wird sich - im Falle einer Neuinstallation - der Betriebsrat mit dem gesamten Komplex der Datenverarbeitung im Unternehmen auseinandersetzen müssen.

Datenschutz sollte die Sicherheit für die Betroffenen bedeuten, dass nur die unbedingt notwendigen Daten während unbedingt minimaler Zeiträume verwendet werden. Mit Beginn der offenen Netze wird man sich von dieser Idee des Datenschutzes endgültig verabschieden müssen. Notwendig wird es sein, zumindest für Betriebsrat und Arbeitnehmer jene Datentransparenz zu realisieren, die ein derartiges Netzwerk für die Betreiber sowieso vorsieht.

Daraus ergibt sich folgende Einführungsstrategie bei neuen Telefon-, Kommunikations- und Datenverarbeitungsanlagen:


1) Klare Dienstzusammenstellung der Anlage:

Umfang jener Daten, die tatsächlich gesammelt werden. Was soll tatsächlich kontrolliert werden?

Festlegung der Abrechnungsmodalidäten von Privatgesprächen.

Welche Zusatzdienste werden benötigt und installiert?

2) Frühzeitige Information und Einbindung des Betriebsrates.

3) Besichtigung von Musteranlagen durch den Betriebsrat.

4) Festlegung von Sicherungsmaßnahmen gegen Dienständerungen.

5) Registrierung der erfassten Daten beim DVR.

6) Festlegung der Kontrollrechte für den Betriebsrat (Systemzugang).

7)Festlegung der Informationsrechte der Anlagenbenutzer über sie betreffende Daten.

Die Beachtung (und Einhaltung) dieser Punkte, besonders im Sinne einer frühzeitigen Einbindung des Betriebsrates, wirkt sicher konfliktminimierend und erlaubt die notwendigen technischen Innovationen. Der Standpunkt "wir stehen das durch" könnte sich gerade im sensiblen Bereich der Kommunikationsnetze als innovationshemmend erweisen. Der Betrieb und die Nutzung der integrierten Dienste benötigt motivierte Arbeitnehmer. Diese können nicht "durchgestanden" werden.


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