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2008/01/14 Keine lebensrettenden Maßnahmen ohne Vermögensverzeichnis?
Eine Entscheidung des VwGH (2004/10/0192) zeigt, mit welcher falschen Prioritätensetzung im Gesundheitswesen in die Privatsphäre von Notfallpatienten eingegriffen wird - unsinnige Bürokratisierung im Gesundheitswesen schreitet voran - mangelhafte Gesetze führen zu pseudorechtlichen Auseinandersetzungen auf Kosten der Steuerzahler

Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs führt anhand eines Verfahrens, im Zuge dessen zwei Bereiche der öffentlichen Hand seit Jahren um die Kostentragung hinsichtlich eines vermögenslosen Notfallpatienten prozessierten, die Perversion österreichischer Gesundheitsbürokratie beklemmend vor Augen. Tenor: Dass jemand keine Krankenversicherung hat, reicht für die Annahme einer „sozialen Bedürftigkeit“ nicht aus.


Ein alltäglicher Fall

Bereits am 14. März 2003 wurde spätnachts eine Patientin mit der Diagnose "extrauterine Gravidität, starke Blutungen und Schmerzen" auf der Geburtshilflich-Gynäkologischen Universitätsklinik Graz stationär aufgenommen. Eine Verständigung mit der Patientin war dem Spitalspersonal nicht möglich, da diese nur rumänisch sprach. Durch die vorgenommene Untersuchung war ein umgehender operativer Eingriff indiziert. Durch das Personal wurde die Heimatadresse der Patientin in Rumänien aufgenommen und festgestellt, dass die Patientin nicht versichert war, die Aufnahme weiterer Daten unterblieb aufgrund des dringend nötigen Eingriffs.

Im Anschluss an die notwendige Operation konnte die Gebührenrechnung der Patientin nicht zugestellt werden. Der Rechtsträger der Steiermärkischen Krankenanstalten beantragte darauf hin beim Magistrat der Stadt Graz, Sozialamt, unter Hinweis auf das Steiermärkische Sozialhilfegesetz den Rückersatz der Behandlungskosten. Die Stadt Graz wäre zur Kostenübernahme verpflichtet gewesen, wies jedoch den Antrag auf Spitalskostenrückersatz ab. Begründung: Da es "seitens der übermittelten Unterlagen vom LKH Graz bzw. auch aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahren keine schlüssigen Hinweise auf die Hilfsbedürftigkeit gegeben" habe, würden die Kosten nicht übernommen.

Das Krankenhauspersonal hatte zwar erhoben, dass die Patientin nicht versichert war, jedoch – Angesichts der Notsituation - auf die Erhebung sonstiger Einkommens- und Vermögensdaten verzichtet.


Die Entscheidung

Aufgrund dieser Verweigerung der Kostenübernahme schlug der steirische Krankenanstaltenträger den Rechtsweg ein und ging bis zum Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Der VwGH argumentiert in seiner Entscheidung folgendermaßen: Nach den Bestimmungen des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes sei im Antrag auf Rückersatz der Behandlungskosten die finanzielle Hilfsbedürftigkeit des Hilfeempfängers durch schlüssiges Vorbringen glaubhaft zu machen.

Voraussetzung der Hilfe ist, dass der Betroffene den Lebensbedarf für sich nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Hilfe ist dabei nur soweit zu gewähren, als das Einkommen oder das verwertbare Vermögen des Hilfeempfängers nicht ausreichen, um den Lebensbedarf zu sichern.

Nach Auffassung des VwGH  würde nun zwar ein Leistungsanspruch des Patienten aus einer Krankenversicherung die Hilfsbedürftigkeit ausschließen. Der Umkehrschluss, wonach die Hilfsbedürftigkeit schon aus dem Fehlen einer Krankenversicherung folge, beruht aber nach Meinung des VwGH  nicht auf einer gesetzlichen Grundlage. Daher: Dass ein Patient keinen Anspruch auf Leistungen einer Krankenversicherung hat, verwirklicht nach Auffassung des VwGH  nicht die Voraussetzungen der Hilfsbedürftigkeit.

Den Argumenten des Krankenhausträgers, dass nicht bei jedem Patienten umfassende Erhebungen durchgeführt werden könnten, ehe er behandelt werden "darf“, folgte der VwGH nicht. Es sei zwar nicht zweifelhaft, dass unbedingt notwendige erste ärztliche Hilfe in öffentlichen Krankenanstalten niemandem verweigert werden dürfe. Personen, bei denen Lebensgefahr oder Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bestünde, müssten ohnedies in Anstaltspflege genommen werden.

Diese Verpflichtungen öffentlicher Krankenanstalten hätten aber mit der Frage der Rückersatzpflicht der Sozialhilfeträger aus dem Titel der Hilfsbedürftigkeit des Empfängers der Spitalsleistungen nichts zu tun. Das Risiko der Uneinbringlichkeit der Kosten von Unterbringung und Behandlung treffe bei derartigen, unabweisbaren und behandlungsbedürftigen Patienten eben die Krankenanstalt.


Skandalöser Fall

Der vorliegende Fall kann aus mehreren Gründen nur als skandalös bezeichnet werden. Einerseits ist es schon völlig untragbar, dass zwei der öffentlichen Hand zuzurechnende Rechtsträger insgesamt vier Jahre lang unter unglaublichem bürokratischem Aufwand Gerichte bemüht haben, um die Verantwortung zur Übernahme von letztendlich läppischen Kosten in Höhe von etwa 2.000 Euro zu klären. Dass die letztlich unsinnigen Aufwendungen für die Verfahren auf Kosten des Steuerzahlers gehen, muss nicht extra erwähnt werden. Nicht einzusehen ist vor allem der Sinn des Verfahrens: Dem Bürger wird es wohl egal sein, aus welcher Tasche die öffentliche Hand derartige Kosten berappt. Ob die Stadt Graz oder der steirische Krankenanstaltenverband zahlt, ist somit aus Sicht des Bürgers unerheblich, derartige Verfahren unnötige Geldverschwendung.

Klare gesetzliche Bestimmungen könnten derartige pseudorechtliche Auseinandersetzunge zu Lasten der Steuerzahler vermeiden helfen.


Vor der Operation noch Lohnzettel holen?

Inhaltlich nicht nachvollziehbar und im Resultat gefährlich sind auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs: Dass „alleine aus dem Fehlen einer Krankenversicherung“ nicht auf soziale Hilfsbedürftigkeit geschlossen werden könne, ist letztendlich juristischer Zynismus. Es ist wohl überaus fraglich, ob es Bürger gibt, die alleine zum Spaß auf das Eingehen einer Krankenversicherung verzichten. Das Vorliegen einer Krankenversicherung  gehört letztendlich in einer Wohlstandsgesellschaft zum sozialen Minimalstandard. Insoferne kann heutzutage sehr wohl davon ausgegangen werden, dass jemand, der nicht krankenversichert ist, auch sozial bedürftig ist.

Das Argument des Spitalserhalters, man könne wohl nicht verlangen, dass das Krankenhauspersonal - neben allen anderen Aufgaben - auch noch die Einkommensdaten medizinischer Notfälle erheben, ist dagegen nachvollziehbar. Wie sich die Höchstrichter ein derartiges Vorgehen in der Praxis vorstellen, wäre interessant. Auch das Argument, „die finanzielle Verantwortung trage eben das Krankenhaus“, ist – wenn man es in seiner Konsequenz bedenkt - ignorant.

Aus Sicht des Krankenhauserhalters werden künftig wohl mehrere Vorgehensweisen gewählt werden. Einerseits ist leicht auszurechnen, dass man versuchen wird, medizinische Notfälle, die nicht versichert sind, möglichst schnell wieder los zu werden, da ansonsten Kosten, die nicht regressierbar sind, drohen. Weiters wird man möglicherweise tatsächlich versuchen, aus Gründen der Rechtswahrung, umfangreichere Datenerhebungen bei nicht versicherten, medizinischen Notfällen durchzuführen. Dass dies letztendlich auf Kosten der Behandlungseffizienz, somit zu Lasten der Patienten geht, ist nur ein logisches Ergebnis.

Zu bedenken ist letztendlich, dass derartige Maßnahmen nur Verlierer kennen: Medizinischen Notfällen droht die Abweisung; bürokratische Datenermittlungen gehen zu Lasten aller Patienten und auf Kosten der Steuerzahler; im gesamtem erspart sich niemand etwas, da die – durch die Datenerhebung erhöhten – Kosten ohnehin der Staat trägt - egal aus welcher Tasche. Der Bürger bleibt angesichts derartiger Entwicklungen ratlos zurück.


Resumee

Das Verfahren und das daraus resultierende Ergebnis sind letztlich Mahnmale eines Gesundheitssystems, welches bürokratische Abläufe vor Patienteninteressen stellt. Die Datensammelwut hat nun endgültig den Bereich des Gesundheitswesens erfasst, das bevorstehende ELGA-System sendet hier seine Vorboten. Die Sinnlosigkeit und die Kostenverschwendung des zugrunde liegenden Verfahrens zeigen vor allem folgendes Ergebnis: Im Mittelpunkt des Gesundheitswesens steht schon lange nicht mehr der Patient, sondern vielmehr Organisationen, die ihre eigene Existenzberechtigung durch immer neue bürokratische Maßnahmen - etwa durch das Sammeln möglichst vieler Daten – unter Beweis stellen möchten.

Manche mögen wenig Verständnis für diese Problematik haben, da es sich im diskutierten Fall um eine "Rumänin" handelt, der man auch noch behandlungstourismus unterstellen kann. Übersehen wird, dass etwa fünf Prozent der Österreicher ebenfalls keine Krankenversicherung haben, darunter sind die Wenigsten reiche Privatiers, die eine Operation Cash zahlen, sondern immer mehr Menschen die über die Armutsfalle aus dem Sozialversicherungssystem herausfallen.


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