2009/01/23 Sexualdelikt "Masturbation auf öffentlicher Toilettenanlage"?
Polizei verweigert Datenlöschung nach "Masturbation auf öffentlicher Toilettenanlage" - Seit Monaten wird von politischer Seite die Forderung nach Schaffung einer eigenen Sexualstraftäterdatei als "Pranger" erhoben - Eine Entscheidung der DSK bietet einen Vorgeschmack darauf, was Österreich mit Schaffung eines Sexualprangers blühen könnte
In anderen Staaten sind öffentlich einsehbare „Sexualstraftäterdateien“ bereits Realität, mit dem Ergebnis, dass dort Personen aufgrund von Verhaltensweisen, die mit Gefährdung anderer nichts zu tun haben, öffentlich bloßgestellt werden. Siehe http://tinyurl.com/sex-mit-fahrrad
Anlassfall
Der Betroffene war zusammen mit einem anderen Mann unter Verdacht geraten, sexuelle Handlungen durch gegenseitiges Befriedigen mittels Hand in einer öffentlichen Toiletteanlage durchgeführt zu haben. Die Bundespolizeidirektion Wien führte ein Ermittlungsverfahren aufgrund § 218 Abs 2 des Strafgesetzbuches – öffentliche geschlechtliche Handlungen. Nach einer gerichtlichen Hauptverhandlung wurden die Betroffenen von der behaupteten Straftat rechtskräftig freigesprochen.
Trotz erfolgten Freispruchs wurden im Computer-System "PAD" ("Protokollieren-Anzeigen-Daten") der Bundespolizeidirektion Wien Daten zum Fall verarbeitet. Neben den persönlichen Daten des Betroffenen fanden sich unter anderem die Einträge "sexuelle Handlungen durch gegenseitiges Befriedigen mittels Hand" "Tatörtlichkeit: Toiletteanlage WC-Anlage am ***platz" sowie "Beschreibung: Die Angezeigten stehen im Verdacht, sich zur Tatzeit am Tatort (öffentliche WC-Anlage) gegenseitig mit der Hand geschlechtlich befriedigt zu haben."
Der Betroffene richtete ein Löschungsbegehren an die Bundespolizeidirektion Wien. Dem Betroffenen wurde mitgeteilt, dass die Löschung der Daten abgelehnt werde, da diese für Zwecke der Aktenverwaltung und Verfahrensdokumentation benötigt würden. Der Betroffene erhob Beschwerde bei der Datenschutzkommssion.
Entscheidung der DSK
Die DSK verweist in ihrer Entscheidung zunächst auf § 13 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz. Diese Bestimmung enthält die gesetzliche Ermächtigung, die Verfahrensdaten u.a. von kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren für Zwecke der Aktenverwaltung und der Verfahrensdokumentation zu verarbeiten. Fest steht für die DSK, dass eine Verarbeitung sensibler Daten – wie sie in diesem Beschwerdefall erfolgt ist – grundsätzlich erlaubt sein soll.
Die im System PAD gespeicherten Daten sind nach Auffassung der DSK objektiv, weil nachprüfbar, und legen nach Überzeugung der Datenschutzkommission keine der negativen Schlussfolgerungen nahe.
Die Bundespolizeidirektion Wien berief sich zur Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung neben § 13 Abs 2 SPG auch auf den Dokumentationszweck gemäß § 27 Abs 3 DSG 2000. Der zulässige Dokumentationszweck ergibt sich nach Meinung der DSK daraus, das Handeln von Staatsorganen überprüfbar und nachvollziehbar zu machen.
Es sei gemäß § 7 Abs 3 DSG 2000 eine Interessenabwägung anzustellen. Diese Abwägung führt nach Meinung der DSK zu dem Schluss, dass das Löschungsinteresse des Beschwerdeführers in diesem Fall jedoch überwiegt, weshalb dem Löschungsbegehren im aktuellen Fall stattgegeben wurde.
Sexuelle Selbstbestimmung vs. "öffentlicher Anstand"?
Zunächst ist am gegenständlichen Falle schon die Notwendigkeit ein Strafverfahren einzuleiten, zu hinterfragen, selbst wenn dies mit einem Freispruch endete.
Gemäß § 218 Abs 2 StGB (öffentliche geschlechtliche Handlungen) ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, wer öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, eine geschlechtliche Handlung vornimmt.
Dies bedeutet, dass die entsprechende Bestimmung die Vornahme derartiger Handlungen mit Geld- bzw. Haftstrafen bedroht, welche auch im Strafregister einsehbar und gespeichert bleiben. Unabhängig davon, dass es natürlich für Unbeteiligte kein angenehmes Erlebnis sein mag, mit solchen Handlungen konfrontiert zu werden, stellt sich dennoch die Frage, ob sie es rechtfertigen, mit gerichtlichen Strafsanktionen bedroht zu werden. Eine Drohung, die die härteste Maßnahme eines Rechtsstaates ist und gesellschaftlich bedrohlichen Delikten vorbehalten sein sollte.
Das gerichtliche Sexualstrafrecht sollte von seiner Ausrichtung jene Tathandlungen erfassen, in welchen in die sexuelle Bestimmungsfreiheit anderer Personen eingegriffen wird. Für Handlungen, die dem allgemeinem Empfinden bloß als "ungustiös" oder unangebracht betrachtet werden, müsste eine Verwaltungsstrafe ausreichen, wie sie etwa bei "Ausziehen in der Öffentlichkeit" entsprechend der Polizeistrafgesetze der Bundesländer verhängt werden.
"Dokumentationszweck" öffnet Türe für "ewige Datei"
Aus datenschutzrechtlicher Sicht gefährlich ist die Argumentation der Polizei, man sei aus Dokumentationszwecken zur Verarbeitung berechtigt, die unverständlicherweise von der DSK übernommen wurde.
Als Grund für die Bestimmung des § 27 Abs 3 DSG 2000, auf welche sich DSK und Polizei berufen, wird genannt, dass überall dort, wo die jeweilige Datenverarbeitung auf lückenlose Schilderung eines Geschehensablauf abzieht, eine Löschung oder inhaltliche Änderung dem Zweck der Datenverarbeitung zuwiderlaufen würde.
Als Beispiel für solche Dateien wird die Krankengeschichte genannt. Sinn der Regelung des § 27 Abs. 3 ist es dem Dokumentationszweck von Dateien dadurch zu dienen, dass der jeweilige Geschehensablaufs vollständig verfügbar ist und nicht durch nachträgliche Änderungen oder Löschung lückenhaft wird. Der „Dokumentationszweck“ muss demnach wirklich wichtigen und essentiellen Interessen dienen.
Im Falle einer Krankengeschichte ist nachvollziehbar, dass diese nicht durch einzelne Löschungsanträge nachträglich manipuliert werden darf. Es liegt hier im Interesse des Betroffenen und des behandelnden Arztes, lückenlose Aufzeichnungen zu haben.
Von dieser Notwendigkeit kann im gegenständlichen Falle nicht die Rede sein: Der Sachverhalt endete mit einem rechtskräftigen Freispruch, der Betroffene hat sich keiner Straftat schuldig gemacht. Aus welchem Grund der Sachverhalt weiter zu dokumentieren wäre, wird weder durch die Polizei, noch durch die DSK beantwortet.
Schutz des Betroffenen durch DSK nicht gewährleistet
Bedenklich ist vor allem, dass sich die DSK in ihrer Entscheidung nur darauf stützt, dass es sich im Anlassfall um sensible Daten des Betroffenen gehandelt hatte. Zu befürchten ist daher, dass Entscheidungen zu Sachverhalten, welche andere Bereiche des Strafrechts betreffen, anders ausfallen würden.
Im Falle eines rechtskräftigen Freispruchs verlieren personenbezogene Daten zu den vorhergehenden Polizeiermittlungen jedenfalls ihre Bedeutung, einer Löschung sollte hier aus Schutzinteressen des Betroffenen nichts entgegenstehen. Zu verweisen ist dabei jedenfalls auch auf zahlreiche Fälle, die den verantwortungslosen Umgang mit personenbezogenen Daten gerade im Polizeibereich dokumentieren.
Resumee
Der Fall bietet abermals Anlass zu einer kritische Betrachtung der ständigen Spruchpraxis der DSK. Sie gibt aber auch einen interessanten Vorgeschmack, was Österreich bei Installierung einer Sexualstraftäterdatei blüht. Zu bedenken ist, dass Betroffene wegen – an sich läppischen - Vorfällen, wie Masturbation, lebenslang oder jahrzehntelang gebrandmarkt und in ihren beruflichen und privaten Möglichkeiten massiv beeinträchtigt werden könnten.
Dass derartige Maßnahmen nichts als billiger Populismus sind und nicht zu einer effizienten Kriminalitätsbekämpfung beitragen, lässt sich am aktuellen Fall gut nachvollziehen.
Ergänzende Anmerkung
Der Bescheid wurde vom Betroffenen angefochten und wird beim Anfechtung vom VwGH (VwGH-Zl. 2008/17/0248) geprüft.
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