2006/01/10 Videoüberwachung - der Lauschangriff ufert aus Stand: 10.01.2006
Beispiel Postbus zeigt eklatante Rechtslücken - Datenschutzrat in nächster Sitzung damit befasst - Polizei hat nunmehr Überwachungsmöglichkeit ohne Gerichtsbeschluss - spät aber doch beginnt Politik Vorschlag der ARGE DATEN aus 2002 aufzugreifen - geringe Effizienz der Videoüberwachung
Videoüberwachung ufert immer mehr aus
Sowohl behördliche, als auch private Videoüberwachung ufern immer weiter aus. Neben der geplanten Ausweitung der sicherheitspolizeilichen Überwachung auf Bahnhöfen, erfolgt auch eine massive private Aufrüstung.
So will die ASFINAG die Mautkameras zur Privatfahndung nutzen, auch Sportstätten, Wohnhausanlagen und Freizeiteinrichtungen sind verstärkt von Videoüberwachung betroffen.
Beispiel Postbus zeigt eklatante Rechtslücken
Während einzelne Mitglieder der Datenschutzkommission der Meinung sind, digitale Videoaufzeichnungen seien genehmigungspflichtig, andere Videoaufzeichnungen nicht, wird diese - im übrigen rechtlich unhaltbare - Privatmeinung von der Mehrzahl der privaten Videoüberwacher ignoriert.
Die Wiener Linien haben sich zwar für ihren Lauschangriff eine DSK-Genehmigung geholt, nicht jedoch die ÖBB-Postbuslinien. Rechtfertigung des Postbusmanagements: "Man setze die Überwachung nur gelegentlich und bei Bedarf ein" und verlasse sich im übrigen auf die abschreckende WIrkung des Aufklebers "Dieser Bus wird videoüberwacht."
Worin der Bedarf bestehe ist natürlich nirgends definiert und hängt letztlich vom Gutdünken des Postbusfahrers ab. Auch in Hinblick auf die neu geschaffenen Möglichkeiten der Polizei privates Überwachungsmaterial zu nutzen, muss diese Einstellung als problematisch angesehen werden.
Das Beispiel Postbus zeigt eklatant die Rechtsunsicherheit und die Rechtslücken, die beim Schutz der Privatsphäre bestehen. Notwendig wäre eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der videoüberwachung, welche Registrierungs- und Informationspflicht zu beachten sind, welche Aufbewahrungs- und Löschfristen gelten und was bei der Installation einer Anlage zu beachten ist. Ein Betroffener hat nunmehr die Sache vor den Datenschutzrat gebracht, der sich damit auseinander setzen muss.
Polizeiliche Überwachung jetzt ohne Gerichtsbeschluss möglich
Mit der letzten SPG-Novelle hat die Polizei praktisch unbeschränkten Zugang zu privaten Videoaufzeichnungen. Damit werden die Genehmigungsprozesse und Genehmigungsvoraussetzungen für den Lauschangriff, wie sie in der STPO vorgesehen sind, unterlaufen.
Nicht nur bei tatsächlich begangenen Delikten, sondern auch zur Erforschung potentieller Täter und Delikte (und verdächtig ist jeder) können private Videoaufzeichnungen herangezogen werden.
Die Bestimmungen zielen offenbar auf ein ganz konkretes Szenario. Konnte bis heute bei einer Anzeige nur dann eine Videoüberwachung von der Polizei bei Gericht beantragt werden, wenn ein konkreter, auch durch Indizien untermauerter Tatverdacht in einer bestimmten Deliktgröße vorlag, damit die Polizei Videoaufzeichnungen genehmigt erhielt, kann nun die Polizei Anzeiger an private Überwachungsfirmen verweisen. Diese können - mangels Regelung privater Videoüberwachung - praktisch unlimitiert Aufzeichnungen machen, die dann der Polizei zur Verfügung gestellt werden.
Hans G. Zeger, Mitglied des Datenschutzrates: "Es ist ganz offenkundig, dass sich derartige Überwachungsaktivitäten nur Unternehmen oder wohlhabende Personen leisten können. Sicherheitsaufgaben werden einerseits privatisiert, andererseits bestehende Mechanismen zum Schutz der Privatsphäre unterlaufen."
Datenschutzrat greift ARGE DATEN - Vorschlag aus 2002 auf
Was ist Politik? Reagieren mit mehrjähriger Verspätung. Auf diese Kurzformel könnte das derzeitige Agieren von Datenschutzrat und Datenschutzkommission gebracht werden.
Hans G. Zeger: "Schon 2002 wurde im Datenschutzrat auf meine Initiative ein Vorschlag zur Regulierung von Videoaufzeichnungen eingebracht (http://ftp.freenet.at/beh/HANDSR06.pdf). Aus parteitaktischen Gründen wurde dieser Vorschlag von ÖVP, FPÖ und SPÖ abgewürgt. Mehr als drei Jahre später ist Videoüberwachung praktisch in jeder Datenschutzratssitzung ein zentrales Thema und ein Mitglied der Datenschutzkommission beklagt regelmäßig, dass man zur Videoüberwachung keine klare Handhabe habe, dass man eigentlich nicht wisse, wie man sie beurteilen soll und man eigentlich rechtliche Regelungen benötige. Statt vorausschauend und beratend zu agieren erweist sich der Datenschutzrat wieder einmal bloß als hilfloser Beobachter bei der Aushöhlung von Grundrechten. In Sachen Videoüberwachung hat der Datenschutzrat bisher versagt."
Nunmehr liegen inhaltsidente Vorschläge zur Videoüberwachung im Parlament und selbst der Datenschutzrat muss eingestehen, ein wichtiges Thema aus parteitaktischen Überlegungen verschlafen zu haben.
Postbus-Überwachung bietet Gelegenheit Kompetenz zu zeigen
Nunmehr liegt das Thema Videoüberwachung im Postbus beim Datenschutzrat. In seiner nächsten Sitzung hat er damit Gelegenheit Kompetenz zu zeigen und einen Vorschlag zur Regulierung der Videoüberwachung auszuarbeiten.
Geringe Effizienz der Überwachung
Die tatsächlichen Erfolge sind erstaunlich gering. Der Haupteffekt besteht im Wesentlichen im Verdrängen von Klein- und Gelegenheitsdelikten in nicht überwachte Bereiche. Hinzu kommt auch ein gewisser Plazeboeffekt, ältere und weniger gebildete Personen fühlen sich durch die Überwachung "beschützt". In der irrigen Annahme, dass jemand die Überwachungskameras laufend kontrolliert und im Falle eines Deliktes rasch eingreift. Dies ist jedoch ein Irrtum, bestenfalls werden "schöne" Bilder von der Straftat gemacht, für die Opfer wohl nur ein schwacher Trost.
Für Täter "die etwas zu verbergen haben" sind die Überwachungsmaßnahmen viel zu leicht zu unterlaufen, wie etwa - trotz Videoüberwachung - das drastische Ansteigen der Banküberfälle im Jahr 2004 zeigte. So sieht auch der Ex-Cobra-Chef Wolfgang Bachler in der Videoüberwachung keine geeignete Maßnahme zur Bekämpfung von Terrorismus und Schwerkriminalität.
Auch der Verdrängungseffekt kann nicht über die Wirkungslosigkeit der Überwachungsmaßnahmen hinwegtäuschen. Betrachtet man nicht nur die überwachten Plätze und das über ein ganzes Jahr, dann zeigen die Statistiken keinerlei Änderungen im Deliktverhalten.
Bleibt noch der Plazeboeffekt, der - nach internationalen Untersuchungen - so lang anhält, als die Überwachung in der öffentlichen Diskussion ist. In Zukunft wird auch in Österreich die Zahl der Betroffenen steigen, die trotz Videoüberwachung Opfer von Straftaten wurden. Die Videoüberwachung wirkt dabei wie eine Droge, von der immer mehr notwendig ist, um im Gespräch zu bleiben und Misserfolge zu kaschieren.
Warum weiterhin Videoüberwachung?
Zum einen fällt es Politikern besonders schwer ihre Konzept- und Kompetenzlosigkeit einzugestehen und neue Ansätze in der Sicherheitspolitik zu wagen. Zum anderen ist Videoüberwachung eine ausgezeichnete populistische Beruhigungspille: "Seht her, wir schauen ja auf euch" ist der banale Sinn der Überwachung. Videoüberwachung passt perfekt in das ideologische Konzept der totalen Kontrolle. Mehr Daten = mehr Information = mehr Wissen über die Bürger. Und "Wissen ist Macht" wusste schon Francis Bacon. Das mehr Daten bloß mehr Daten sind und keinesfalls Wissen oder Information garantieren, darf heute nicht mehr behauptet werden, auch wenn es tausendfach belegbar ist.
Zum letzten ist es ein höchst effizientes Mittel soziale Anpassung zu erreichen und Klein- und Kleinstdelikte zu verfolgen, wie etwa Parksünder (http://futurezone.orf.at/it/stories/79072/), Mautsünder, Bettler, Zeitungsdiebe, Ruhestörer, Parkbanklieger, ...
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