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2004/03/19 Videoüberwachung - Populistischer Aktionismus zur Terrorbedrohung
Uraltpläne aus der Schublade des Innenministeriums hervorgekramt - Irreführung der Bevölkerung zu Wirksamkeit, Aufwand und Kosten der Videoüberwachung - Signal zur sozialen Kontrolle - Wunsch nach Einkaufsstrassenüberwachung hart am Rande der NS-Sauberkeitsideologie - Belästigungsinitiative des Innenministers

Uraltpläne aus der Schublade des Innenministeriums hervorgekramt

Auf Grund fehlender rechtlicher Regelungen gibt es bei Privatunternehmen einen Wildwuchs von rund 160.000 Videokameras in Österreich. Davon dienen etwa 140.000 dem privaten Lauschangriff. Rund 80% dieser Systeme sind jedoch Einzelinstallationen (bis 5 Kameras), meist wenig gewartet und vielfach unbeaufsichtigt, bis zu 10% sind funktionslose Dummy-Kameras.

Trotz der großen Zahl ist damit weniger als 1 Promille des öffentlich zugänglichen Raumes in Österreich erfasst. Selbst wenn man nur urbane Bereiche, Strassen und Bauwerke betrachtet, liegt die Erfassungdichte weit unter einem Prozent.

Der Innenminister sollte endlich offenlegen, wie hoch der Prozentsatz von verwertbaren Videoaufzeichnungen im Zusammenhang mit Bankraub, Einbrüchen in videogesicherten Geschäften oder Diebstählen in videogesicherten Verkehrsbereichen ist. Die Zahlen dürften, auch angesichts der Gesamtaufklärungsquoten in diesen Kriminalitätsbereichen ernüchternd sein. Offizielle Zahlen liegen noch nicht vor, doch dürfte der Anteil der videounterstützten Aufklärung bei den mehr als 95.000 Vermögensdelikten im Zehntelpromille-Bereich liegen, wenn man nur jene Straftaten betrachtet, die im Bereich einer Videosicherung verübt wurden, ebenfalls im unteren Prozent- bzw. Zehntelprozent-Bereich.


Beispiel ÖBB - Überwachungsaufwand bei mehr 18.000 Kameras

Würde man ernsthaft eine halbwegs flächendeckende Überwachung des ÖBB-Netzes als potentielles Terrorziel in Erwägung ziehen, müßte man etwa 18.000 Kameras installieren, jeweils rund die Hälfte stationär an den Bahnhöfen, die zweite Hälfte in den Zügen, ganz zu schweigen vom 5.700 km langen Streckennetz, das weiterhin ungesichert bliebe.

Der Betrieb eines derartigen Netzwerks würde im Dreischichtbetrieb rund dreitausend zusätzliche Überwachungspersonen erfordern. Nach allen internationalen Erfahrungen ist es nicht möglich, durch eine Person mehr als 20 Videomonitore parallel zu überwachen. Die Alternative einer autmatischen Auswertung besteht derzeit nicht, da kein System am Markt ist, das geeignet wäre Personen oder auch nur auffälliges Verhalten genügend sicher zu identifizieren. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (Deutschland) hatte zuletzt einen ernüchternden Bericht veröffentlicht. Bis zu 99% Fehlerrate bei professioneller Bilderkennungssoftware. Die bloße Aufzeichnung derartiger Datenmengen ist wenig zielführend, da damit bestenfalls nachträgliche Kriminalitätsdokumentation betrieben werden könnte.

Umgekehrt konzentriert sich das ÖBB-verkehrsaufkommen zu 80% auf bloß 20 Bahnhöfe. Man könnte demnach alternativ auch nur 40 Kameras installieren. An geeigneten Plätzen aufgestellt würden diese immerhin von 60-80% aller ÖBB-Fahrgäste wahrgenommen werden. Sie wären zwar zur Verbrechensbekämpfung ungeeignet, da viel zu leicht zu umgehen, man hätte aber das perfekte Sicherheitsplazebo produziert.


Signal zur sozialen Kontrolle und Säuberung

Verschiedenste Studien haben jedoch ergeben, dass Videoüberwachung dann 'wirksam' ist, wenn darüber geredet wird. Das heißt in der Regel sinkt in einem Areal in dem Videoüberwachung geplant ist, die (Klein)Kriminalität VOR Installation. Nach der Installation wächst sie wieder langsam an und kann sogar höher sein als vorher.

Eine - auch vom österreichischen Bundeskriminalamt bestätigte - Studie aus Großbritannien zeigte nur einen sehr geringen Zusammenhang von Videoüberwachung und Kriminalität. Bei Auswertung von 24 Videoübewachungssystemen lag bei vier eine Steigerung vor, bei 7 ein Gleichbleiben und bei 13 ein Sinken der Kriminalität. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass in allen Fällen mit der Installation der Videoüberwachung auch eine Modernisierung der gesamten Stadtinfrastruktur erfolgte und unter anderem schlicht die Straßenbeleuchtung verbessert wurde.

Gut geeignet ist jedoch Videoüberwachung zur sozialen Säuberung. Unerwünschte Personen, etwa offensichtlich Fremde, ärmlich gekleidete Personen, herumliegende Obdachlose, allzu öffentlich tätige Liebespärchen und mehr oder weniger aufdringliche Bettler können in Einkaufsstraßen rascher identifziert werden und leichter in Nebenstraßen und weniger einsehbaren Parkanlagen und Hausdurchgängen abgedrängt werden. Dies ist der tatsächliche Grund, warum österreichische Geschäftsleute so vehement für die Videoüberwachung ihres Geschäftsumfeldes plädieren. Ein Bettler vor der Eingangstür ist eben nicht wirklich verkaufsfördernd (wohl aber ein Teil unserer urbanen Wirklichkeit).

Ein weiteres Ausbreiten der Videoüberwachung würde zu einem Verdrängungswettbewerb sozial abweichenden Verhaltens führen.


Innenministerium wird zum Ober-Stalker

Während in der 'Öffentlichen Sicherheit', dem offiziellen Organ des Innenministeriums, eine Anti-Stalker-Initiative gesetzt wird, will sich Bundesminister Strasser zum Oberstalker der Nation aufschwingen.

Als Stalker werden jene lästigen Zeitgenossen bezeichnet, die durch auffälliges Beobachten, hinter jemanden hergehen oder auch durch die bloße Anwesenheit vor der Wohnungstür oder dem Arbeitsplatz Menschen belästigen. In manchen Staaten steht diese Form der Beschränkung der persönlichen Freiheit und des Eingriffs in die Privatsphäre auch dann unter Strafe, auch wenn keine Besitzstörung, keine Bedrohung oder Beschimpfung vorliegt und auch keine persönlichen Daten mißbraucht werden. In Österreich soll es zum behördlichen Auftrag werden.

Auch im öffentlichen Bereich besteht Anspruch auf ein maximal mögliches Ausmaß an Privatsphäre, Videoüberwachung wird daher in den meisten Fällen als Belästigung zu qualifizieren sein.


Wann könnte Videoüberwachung sinnvoll verwendet werden?

Videoüberwachung wirkt in Standardsituationen und als Objektschutz in begrenzten Umgebungen. Angriffe gegen bestimmte Geräte oder Anlagen, etwa Bankomaten, die von einzelnen Personen benutzt werden, könnten damit dokumentiert werden. Hier könnte auch ein datenschutzrechtlich unbedenklicher Einsatz organisiert werden. Die Überwachungszone müsste auf das unmittelbare Objekt beschränkt sein. Es müsste der erfasste Bereich gekennzeichnet sein (etwa als gelb markierte Überwachungszone). Der Betreiber, die zuständige Beschwerde-, Auskunfts- und Aufsichtsstelle sollte bei jeder Kamera angeführt werden. Gegenüber dieser Auskunftsstelle sollte, unabhängig von einer personenbezogenen Auswertung, Anspruch auf Auskunft bestehen, ob Daten aufgezeichnet werden, automatisiert ausgewertet werden und wie lange eine Aufbewahrung erfolgt.

Zur Überwachung der Videoinstallationen sollte eine geeignete Stelle, etwa die RTR, beauftragt werden. Diese sollte auch Kontroll- und Einsichtsrechte in vorhandene Aufzeichnungen haben.


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