2009/07/31 E-Voting - Schlusspunkt
Gescheitert ist das Wissenschaftsministerium im Versuch E-Voting-Kritiker zu kriminalisieren - BRZ-Bastelwebseite zum E-Voting blieb bis zuletzt unsicher - Dubiose Rolle selbsternannter Technikexperten - E-Voting dürfte für lange Zeit in Österreich "gestorben" sein - Grundrechtliche Bedenken zu allen Distanzwahlsystemen bleiben bestehen
Wissenschaftsministerium scheiterte mit Kriminalisierung
Das ÖH-E-Voting fand vom 18.5. bis 22.5.2009 statt. Gerade 9 Promille der Studenten (2.161) nutzten die elektronische Wahl. Was beim Alkoholkonsum ein ziemlich kräftiger Rausch wäre, sorgte bei den E-Votern für Ernüchterung. Keines ihrer Ziele wurde erreicht, ob die Stimmen korrekt gezählt wurden, kann niemand bestätigen. Trotzdem bleiben die Wahlversuche zumindest zehn Jahre lang personenbezogen gespeichert.
In der Schlussphase der E-Voting-Diskussion, in der sowohl das grundrechtliche, als auch das technische Fiasko erkennbar war, griff das Wissenschaftsministerium in die unterste Schublade, sie versuchte E-Voting-Kritiker durch Strafanzeigen zu kriminalisieren.
In einem Rundumschlag wurde durch Ministerialrat Stangl, offenbar mit Rückendeckung von Minister Hahn und Unterstützung der Anwaltskanzlei CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH eine wahre Strafrechtsbreitseite gegen ein Organ der ARGE DATEN abgeschossen. Behauptet wurde nichts weniger als die "Anstiftung" zu den Delikten §§ 126a, 126b, 126c und 261ff StGB, Strafrahmen immerhin bis fünf Jahre.
Zur Erklärung für Laien, die §§ 126a, 126b und 126c sind Teil des berühmt-berüchtigten Cybercrime-Paketes und enthalten Anschuldigungen wie "Datenbeschädigung", "Störung von Comutersystemen" und "Missbrauch von Computerprogrammen". Bestimmungen, die bisher nie oder praktisch nie zur Anwendung kamen und als totes Recht gelten.
Die §§261ff sind überhaupt starker Tobbak, handelt es sich hier um Vorwürfe wie "Wahlverhinderung", "Wahlbestechung" und "Wahltäuschung".
Offenbar sah das Wissenschaftsministerium jede Form kritischer E-Voting-Berichterstattung als Majestätsbeleidigung an, die mit allen Mitteln zu verfolgen ist. Der VP-Minister Hahn, der sich sonst gern weltoffen gibt, entpuppt sich damit als Obermeister der Antimoderne, als europäischer Plagiator nordkoreanischer Zensurversuche.
Am Rande wurde auch versucht die Informationsplattform http://www.papierwahl.at zu kriminalisieren.
Wüste technische Spekulationen
Untermauert wurde die rund vierzigseitige Anzeige mit wüsten Spekulationen über die Gefährlichkeit der durch die ARGE DATEN losgetretenen Diskussion über die Leistungskapazität des E-Voting-Servers.
Wenn, so die Anzeige, das vorgestellte Java-Script (http://www.argedaten.at/static/servercheck.html) "eine Vielzahl von User gleichzeitig verwenden würden, könnte das die Verfügbarkeit des E-Voting-Systems stören und sogar zum Absturz führen. ... Es ist daher keineswegs undenkbar, dass 100 oder 1000 Studenten gleichzeitig das Test-Tool [das Javaskript, Anm.] öffnen und geöffnet lassen." Dies könne zu bis zu 50 Millionen Zugriffen pro Sekunde führen, so die Spekulationen in der Anzeige.
Staatsanwaltschaft legte Anzeige nach kurzer Prüfung zurück
Schwere Anschuldigungen, die noch mit Forderungen nach einer Hausdurchsuchung in den Redaktionsräumen der ARGE DATEN gekoppelt waren. Anschuldigungen, die auch der Staatsanwalt nach kurzer Prüfung als haltlos erkannte.
Knapp und lapidar wurde die Anzeige zurückgelegt, bei den Cybecrime-Anschuldigungen, weil "kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung besteht" (§190 Z2 StPO), bei den Vorwürfen zur Wahlmanipulation, weil "die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist" (§190 Z1 StPO).
Auch der Staatsanwalt hat offenbar den eigentlichen Sinn der Anzeige, Meinungsfreiheit zu beschränken, rasch durchschaut und diesem ministeriellen Zensurversuch einen Riegel vorgeschoben.
Dubiose Rolle selbsternannter Technikexperten
Übrig bleibt von der Anzeige eine höchst dubiose Rolle einiger Technik-"Experten", allen voran ein IT-Ziviltechniker, der in Spekulationen, was man alles mit Webseiten anstellen könnte, geradezu schwelgte.
Hinzu kommen noch bedenkliche Aussagen von cert.at, eine im Dunstkreis von nic.at tätige Gruppe, die sich selbst zum österreichischen Hilfsteam für Computerzwischenfälle ernannt hat (cert = computer emergency response team) und sich besonderes Wohlwollen in BMI-, BVT-, BKA- und Bundeskanzlerkreisen erfreut.
Alle diese Techniker hatten in ihrem Eifer übersehen, dass Webseiten, die zumindest Mindeststandards, wie ISO 27001 ("Sicherheitsmanagement"), ONR 17700 (eine vom Normungsinstitut herausgegebene Empfehlung zu sicheren Webapplikationen) oder das Grundschutz-Konzept des deutschen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik einhalten, durch Angriffe von außen ausreichend geschützt wären.
Die wüsten Spekulationen in der Anzeige werfen ein bezeichnendes Licht auf die mangelhafte Qualifikation dieser "Techniker" und auch auf den fehlenden Stand der Technik der E-Voting-Seite.
BRZ-Bastelwebseite zum E-Voting blieb bis zuletzt unsicher
Betreiber der fragwürdigen E-Voting-Lösung war das Bundesrechenzentrum (BRZ), dass sich selbst als Rechenzentrum der Republik Österreich versteht. Unabhängige TU-Techniker, die in den E-Voting-Code Einschau halten konnten, bestätigen, dass die E-Voting-Programme ein echter Bastelcode sind, keinesfalls geeignet das Recht auf eine freie, geheime und persönliche Wahl zu garantieren.
Nicht einmal die EU-Richtlinie 2002/58/EG zur sicheren Internet-Kommunikation hat die E-Votingseite eingehalten. Das von den selbsternannten Experten als besonders gefährlich hochstilisierte Java-Script (http://www.argedaten.at/static/servercheck.html) war natürlich bei ordentlich designten Seiten völlig wirkungslos (für interessierte Webbastler: es genügte der Eintrag top.location.href = self.location.href auf der E-Voting-Webseite).
Natürlich wurden der ARGE DATEN - anonym - auch wirklich gefährliche Skripts angeboten, die jedoch nicht in Anspruch genommen wurden. Es war deutlich genug erkennbar, dass das E-Voting-System des Bundesrechenzentrums nicht dem Stand der Technik entsprach.
Grundrechtliche Bedenken aller Distanzwahlsysteme bleiben bestehen
Abseits vom technischen Fiasko und dem gescheiterten Kriminalisierungsversuch bleiben jedoch die grundrechtlichen Bedenken zu jeder Art von Distanzwahl bestehen.
Neben dem E-Voting ist auch die Briefwahl als extrem bedenklich einzustufen. Der einzige "Vorzug" von der Briefwahl ist, dass sie zumindest simpel und leicht durchschaubar ist.
Tatsächlich gab es bei den letzten Landtagswahlen höchst dubiose Briefwahl-Vorgänge. So wurden in Kärnten ganze Altersheime abgeklappert, von den Bewohnern Vollmachten zur Abholung der Briefwahlunterlagen abverlangt und diese dann auch wieder paketweise ausgefüllt zurückgestellt. Wer, wann und unter welchen Umständen die Vollmacht unterschrieben hatte, wie gewählt wurde, bleibt völlig im Dunkeln. Gerade in Heimen herrscht oft ein Gruppendruck, ein unausgesprochenes Übereinkommen in eine bestimmte Richtung zu handeln, Abweichler werden rasch als Querulanten dennunziert.
Praktisch alle Verfassungsrechtler sehen neben E-Voting auch die Briefwahl als höchst problematisch an und mit dem Verfassungsrecht auf "freie, geheime und persönliche" Wahl unvereinbar. Die Politik sollte angesichts der jüngsten Erfahrungen die Briefwahl modifizieren, E-Voting endgültig ad-acta legen oder den Anspruch auf freie, geheime und persönliche Wahlen aufgeben.
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