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2009/02/23 Ernüchternde Videoüberwachungsbilanz bei Wiener Linien
Stand: 23.02.20119
Wiener Linien misslingt Nachweis, dass Videoüberwachung wirkt - Auswertung der Überwachungs"erfolge" bleibt unter Verschluss - Datenerhebung durch Wiener Linien offenbar verfälscht - DSK verlängert trotzdem das "Millionengrab" Videoüberwachung - "sichere" Videoüberwachung soll Wiener Linien gegen Schadenersatzansprüche von Kunden absichern - lästige Fahrgäste sollen mundtot gemacht werden

2006 wurde mit Bescheid der DSK die Videoüberwachung bei den Wiener Linien befristet genehmigt. Ein nach Ablauf dieser Frist erlassener, neuer Bescheid der DSK (K507.515-021) bestätigt: Es gibt keinen Beleg für die Wirksamkeit der Maßnahmen, verlängert wurde der "Probebetrieb" trotzdem. Da sich die Wiener Linien zwar offenbar teure Videoüberwachungen leisten können, leider aber kein Personal an Sonn- und Feiertagen zur Auswertung der Daten, wurde der zulässige Speicherdauer auf fünf Tage ausgedehnt.


Ernüchternder zweijähriger "Probebetrieb"

Mit Bescheid vom 2.10.2006 hatte die Datenschutzkommission die Videoüberwachung im Rahmen der Wiener Linien mit den Zwecken "Eindämmung von Vandalismusschäden"  sowie "Erhöhung des Schutzes von MitarbeiterInnen und Fahrgästen" für zwei Jahre befristet registriert. Am Ende der Befristung sollten die Wiener Linien statistische Aufzeichnungen vorlegen, die die Wirksamkeit der getroffenen Überwachungsmaßnahmen belegen. Im Frühjahr 2008 hatten die Wiener Linien der Datenschutzkommission einen "Erfahrungsbericht" vorgelegt.

Auf Basis dieses Berichtes wurde die Genehmigung der Videoüberwachung von der DSK verlängert. Die exakten und offenbar ernüchternden Zahlen des Berichts, wurden durch die DSK aus "Datenschutzgründen" sowie "betrieblichen Interessen" nicht offen gelegt. Da der Bericht nur sehr lückenhaft zitiert wurde, hatte sich die ARGE DATEN direkt bei den Wiener Linien um eine Kopie des vollständigen Berichts bemüht. Der Geschäftsführer der Wiener Linien, Doktor Lichtenegger lehnte jedoch die Information der Öffentlichkeit ab. Was die Wiener Linien wohl zu verbergen haben?


Offenbar manipulierte Datenerhebung

Trotz Videoüberwachung kam es zu keiner Verringerung der unerwünschten Vorfälle. Aus dem DSK-Bescheid: "Insgesamt hat der Einsatz von Videoüberwachung somit keine Verringerung der absoluten Vorfallszahlen mit sich gebracht." Bestenfalls könnte eine Verlagerung der Vorfälle von überwachten Zügen auf nicht überwachte erwartet werden. Dass das Wunschdenken ist, wird der aufmerksame U-Bahnbenutzer leicht selbst feststellen können. Laufend ist er mit komplett "versprayten" videoüberwachten U-Bahngarnituren konfrontiert (http://ftp.freenet.at/sic/videoueberwachung-wirkt-bei-wiener-...). Tatsächlich ist es für eine bestimmte Tätergruppe eine besondere Herausforderung quasi unter den Augen der Kamera, aber trotzdem unerkannt, ihrem Aktionismus freien Lauf zu lassen. Videokunst der etwas abseitigen Art.

Alarmierender ist jedoch eine zweite Feststellung des Bescheids. Offenbar werden Schäden nur höchst selektiv erfasst. Viele Schäden werden vom Wartungspersonal gar nicht gemeldet, sondern sofort repariert. Würden alle "Schäden" gemeldet, so die Wiener Linien im DSK-Bescheid, wäre der Fahrbetrieb nicht aufrecht zu halten. Offenbar werden unterschiedslos typische Abnutzungs- und Betriebsgebrechen, die einfach durch die Nutzung der Anlagen anfallen und durch den Fahrpreis bezahlt werden, mit vorsätzlichen Beschädigungen vermischt.

Damit können die Wiener Linien in Zukunft nach Gutdünken die Schadenszahlen bei überwachten und nicht überwachten Zügen steuern. Werden bei den nicht überwachten Zügen alle "Schäden" registriert und bei den überwachten nicht, hat man eine optimale Datengrundlage für die "Wirksamkeit" der Videoüberwachung. Jeder Arbeitgeber weiß, wie er ein derartig selektives Meldeverhalten von seinen Mitarbeitern erreicht, ganz ohne Weisung, ganz ohne Zwang.


Millionengrab Videoüberwachung

Auch hinsichtlich des Tatbestandes "Angriffe auf Mitarbeiter der Wiener Linien" sieht der Bescheid keine klare Verbesserung: Die statistischen Zahlen ergeben keine eindeutige Tendenz bei den überwachten Anlagen.

Zur Rettung der Fehlinvestition Videoüberwachung greifen die Wiener Linien in ein weiteres, "bewährtes" Trickkistchen. Die "Vandalismusbereitschaft", so die Wiener Linen, sei generell gestiegen. Eine Behauptung die nicht belegt wurde und von der DSK  daher bloß als unbewiesene Annahme gewertet wurde.

Offenbar bereiten die Wiener Linien schon jetzt die Argumentationsgrundlagen für eine Ausdehnung der Videoüberwachung vor. Selektive Datenerhebung und herbeifantasierte Vandalismusbereitschaft sollen Grund genug sein, weiterhin Unsummen in die Überwachungstechnik zu investieren. Gelder, die für bessere Zugfolge, bessere personelle Stationskontrolle, bequemere Züge und sauberere Stationen fehlen.


"Probephase" und Speicherdauer verlängert

Trotz der ernüchternden Zahlen profiliert sich die Datenschutzbehörde wieder einmal als Lobby-Organisation für Bürgerüberwachung. Anstatt einen klaren Schlussstrich unter eine Fehlinvestition zu ziehen, werden die Ergebnisse schöngeredet.

Die Zeitspanne sei eben zu kurz gewesen, um klare statistische Daten zu gewinnen, eine abschließende Beurteilung nicht möglich. Ein eindeutiger Schluss lasse sich aufgrund des kurzen Zeitraums wirklich noch nicht ziehen. Die Wiener Linien dürfen daher dank DSK auf Kosten von Fahrgästen und Steuerzahlern ihre teuren Videoexperimente bis 30.9.2011 weiter ausprobieren.

Als besonderes „Zuckerl“ für den „Erfolgsbericht“ der Wiener Linien gibt die DSK zusätzlich die Erlaubnis zu einer Verlängerung der Speicherdauer der Aufzeichnungen.

Statt 48 Stunden darf nun 120 Stunden lang aufbewahrt werden, um auch an Feiertagen "die Feststellbarkeit von Schäden ohne hohe Personalkosten zu garantieren." Wenn haufenweise Geld in Videoüberwachung investiert wird, bleibt nichts für das Personal übrig und muss an anderen Orten gespart werden. Während der Woche werden dann noch mehr Mitarbeiter noch längere Zeit Video"schaun" und noch weniger Zeit für die Fahrgäste haben.


Übermittlung an Sicherheitsbehörden zulässig?

Weiters teilt die DSK mit, die Übermittlung von Videodaten an Gerichte und Sicherheitsbehörden im Interesse der Rechtsverfolgerung von den Wiener Linien und deren Mitarbeitern entspräche dem Zweck der Überwachung Eindämmung von "Vandalismusschäden"  sowie "Erhöhung des Schutzes von MitarbeiterInnen und Fahrgästen".

Bei diesen Erwägungen vergisst die DSK darauf, dass es bereits konkrete Missbrauchsvorwürfe gegen das Unternehmen gegeben hat.

Im Dezember 2007 soll es in der U6-Station Siebenhirten zu einem Vorfall mit einem Verletzten gekommen sein, welcher eine Schadensersatzforderung an die Wiener Linien gestellt habe. Daraufhin sei es zur Auswertung des Videomaterials gekommen.

Laut Zeitungsberichten soll der Mitarbeiter, der das Material gesichtet, gespeichert und vervielfältigt habe, keine Befugnis dazu gehabt haben. Die Sichtung des Materials soll in diesem Fall rund zwei Monate nach dem Vorfall erfolgt sein.

In Österreich gibt es kein Verbote der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel. Daher ist zu befürchten, dass die Wiener Linien künftig in Gerichtsverfahren gezielt den "Videojoker" ausspielen werden. Videoüberwachung wird dann zum Sicherheitsinstrument, aber nur um unachtsame Mitarbeiter der Wiener Linien gegen Schadenersatzansprüche geschädigter Kunden abzusichern.


Soll Videoüberwachung Kunden mundtot machen?

Der Zweck der Überwachung darf nicht sein, das aufgezeichnete Material in Gerichtsverfahren zu verwenden, in welchen Kunden Ersatzforderungen gegen das Unternehmen geltend machen. Das hat nichts mit der "Erhöhung des Schutzes von Fahrgästen und Mitarbeitern" zu tun, sondern beschränkt die Rechte lästiger Kunden.

Kommt es zu einer Verletzung eines Fahrgastes oder Beschädigung von Fahrgasteigentum, dann suchen die Wiener Linien im eigenen Videomaterial, ob vielleicht irgend eine Szene gefunden wird, die für den Fahrgast nachteilig ist, etwa dass er sich nicht vorschriftsmäßig festgehalten hat, dass er ungünstig gestanden/gesessen ist oder sich zu rasch bewegt hat usw. Findet man etwas, legt man es zur Abwehr der Schadenersatzansprüche vor, der Fahrgast muss nun durch ein teures Gutachterverfahren beweisen, dass der Schaden auch trotz seinem Verhalten eingetreten wäre, was praktisch niemals möglich ist.

Findet man im Videomaterial nichts oder sogar die Wiener Linien belastendes, dann legt man es nicht vor, es sei eben schon "aus Datenschutzgründen" gelöscht.

Es passt in dieses Bild des selektiven und gegen die Fahrgastinteressen gerichteten Videoeinsatzes, dass kein Bürger bei kriminellen Angriffen auf ihn, bei Diebstählen, Belästigungen und Zudringlichkeiten, Anrecht auf das Videomaterial der Wiener Linien hat. Auch hier muss "Datenschutz", nämlich der Schutz der anderen unbeteiligten Fahrgäste, als Ausrede herhalten.


Wien darf nicht London werden!

Anstatt nach mehreren Jahren klare Konsequenzen zu ziehen, hat die DSK dem Überwachungsunsinn in den Wiener Linien nochmals für drei weitere Jahre ihren Sanctus erteilt. Auch in drei Jahren wird man wieder das Spiel der selktiv gesammelten, nicht veröffentlichten Daten, des gestiegenen Vandalismusbereitschaft und dem gestiegenen subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung spielen können.

Mike Neville, der Chef der Videoüberwachungsgruppe von Scotland Yard lieferte dazu 2008 ein eindringliches Beispiel. Obwohl die Videoüberwachung in Großbritannien nach seinen eigenen Worten ein "Fiasko" ist, trotz Millionen Kameras konnten nur drei % der Straftaten aufgeklärt werden, Täter haben sich längst auf die Kameras eingestellt, viele Kameras schlicht defekt sind, niemand das Material ansehe, verlangte er eine Intensivierung der Kameraüberwachung - offenbar bis zum wirtschaftlichen Kollaps des ganzen Scotland Yard.

Längst haben sich die Londoner Polizisten in die Wärmestuben der Monitorräume zurückgezogen, sehr zur Freude der zahllosen Straßenbanden, die nun frei und unbehelligt werken können.

Ein Ende des Videounsinns wird erst zu erwarten sein, wenn mehrere Fahrgäste bei Rechtsstreitigkeiten gegen die Wiener Linien durch selektiv verwendetes Videomaterial in ihren Ansprüchen gemindert werden. Sicherheit ist dann endgültig zur Absicehrung des betreibers verkommen.

mehr --> Bescheid: K507.515-021/0003-DVR/2008 (RIS-Version)

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