2005/05/09 Schengen III - Freier Zugriff auf österreichische Datenbestände
Abkommen zur 'Vertiefung der polizeilichen Zusammenarbeit' soll Direktzugriff auf österreichische Datenbestände erlauben - irreführend als Schengen III bezeichnet - Österreichs Polizei sieht sich als Avantgarde der EU - Zugriff auch bei Kleindelikten möglich - sogar ohne Vorliegen von Strafdaten dürfen Daten abgefragt werden - es bestehen keinerlei EU-rechtliche Verpflichtungen für dieses Abkommen - bisher nur geringer Bedarf an Datenaustausch - Schengen III kann Zugriffszahlen auf ein Vielfaches erhöhen
Abkommen zur 'Vertiefung der polizeilichen Zusammenarbeit'
Derzeit verhandelt das österreichische Außenministerium mit Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlande ein neues Polizeikooperationsübereinkommen. Was im Titel schwülstig mit "Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration" angekündigt wird, ist simpel der automatisierte Zugriff auf eine Reihe von Datenbeständen, insbesondere der KFZ-Evidenz, der Fingerabdruckdatei und der DNA-Datei.
Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass der Zugriff auf die Daten nicht nur bei Verbrechen und schweren Delikten möglich sein soll, sondern auch bei geringfügigen Vergehen inkl. Ladendiebstählen und Verkehrsdelikten. Mit der Formulierung 'insbesondere' im Titel habe man sich alle Möglichkeiten offen gelasen. An mehreren Stellen des geplanten Abkommens wird sogar ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, vorbeugend, auch ohne konkreten Tatverdacht international auf die Datenbestände zugreifen zu können.
Abkommen irreführend als "Schengen III" bezeichnet
Mit der Bezeichnung "Schengen III" soll suggeriert werden, dass es sich um eine Vereinbarung der insgesamt 15 Schengenstaaten handelt. Tatsächlich nimmt die Mehrzahl der Schengenstaaten am Abkommen nicht teil, es ist im Wesentlichen eine Initiative Deutschlands zur erleichterten internationalen Überwachung. Es gibt weder EU-rechtliche Verpflichtungen zu einem derartigen Abkommen, noch einen dringenden Bedarf danach. Selbst führende Schengenstaaten melden zum Vorhaben verfassungsrechtliche Bedenken an.
BMI-Beamte begründen Österreichische Teilnahme mit dem Wunsch bei der "Avangarde" der europäischen Polizei dabei zu sein und eine "Speerspitze der polizeilichen Zusammenarbeit" zu bilden. Österreich soll sozusagen EU-Musterschüler in Sachen Überwachung werden, freilich im Windschatten Deutschlands.
Unklare Abgrenzung der verwendeten Datenbestände
Welche Datenbestände tatsächlich abgefragt werden dürfen, ist nur unzureichend definiert. Unter den schwammigen Zweck "Verhinderung von Straftaten" lassen sich alle Datenbestände subsummieren, die in die Verantwortung der Polizei fallen. Dies könnte auch die Passevidenz sein, die in Zukunft Fingerabdrucke jedes Passbesitzers enthalten soll.
Neben der mehrere Millionen Personen umfassenden KFZ-Evidenz, der mehr als 300.000 Personen umfassenden kriminalpolizeilichen Fingerabdruckevidenz und der 24.000 Personen umfassenden DNA-Evidenz könnten somit weitere Millionen Personen ins Visier übereifriger deutscher, belgischer oder niederländischer Polizisten geraten.
Hochschnellen der Datenabfragen zu erwarten
Während bisher im Rahmen der europäischen Polizeiarbeit monatlich bloß 20-30 Abfragen stattfinden, bei denen österreichische Behörden involviert sind, ist zu erwarten, dass bei der automatisierten Abfragemöglichkeit die Zahl auf mehrere hundert bis tausend hochschnellen wird. Besonders die KFZ-Evidenz dürfte einen hohen Anziehungsgrad haben. In Zukunft können deutsche Behörden jeden in Köln oder einer anderen deutschen Stadt falsch parkenden Österreicher direkt aus der KFZ-Evidenz abfragen. Selbst der bloße Verdacht ein Verkehrsdelikt begangen zu haben, rechtfertigt eine Abfrage.
Hans G. Zeger, Mitglied des Datenschutzrates: "Das Abkommen läßt geradezu alptraumhafte Szenarien zu. So könnten österreichische Jugendliche im deutsch-österreichischen Grenzbereich von deutschen Polizisten wegen des Verdachts des Kaugummidiebstahls daktyloskopisch (Fingerabdrücke) beamtshandelt werden. Ihre Daten könnten dann bei einem Urlaubsaufenthalt in Belgien oder den Niederlanden abgerufen werden und zu umfassenden Untersuchungen und Unannehmlichkeiten führen."
Gerade die internationale Abrufbarkeit führt zu einem Aufblähen der Bedeutung von Informationen. Aus Mutmaßungen werden rasch Verdachtsmomente, aus Verdachtsmomenten Taten. Aus Delikten werden Verbrechen, aus Lausbubenstreichen wird international organisierte Kriminalität.
International sollten Personendaten nur unter genau definierten Kriterien und auschließlich im Rahmen bestimmter schwerer Verbrechenstypen möglich sein.
Keine Zweckbindung der Datenabfragen
Artikel 35 des geplanten Abkommens läßt jedoch noch mehr zu. Es dürfen sogar Abfragen zu anderen Zwecken als der Kriminalitätsbekämpfung gemacht werden.
Hans G. Zeger: "Jeder Wunsch sich in einem Vertragsstaat nieder zu lassen oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, kann somit zu einem internationalen polizeilichen Datenzugriff führen. Ein klarer Eingriff in die Niederlassungs- und Erwerbsfreiheit der EU."
Unzureichender Rechtsschutz der Betroffenen
Der Vertragsentwurf enthält derartig viele unklare Bestimmngen zum Umfang der verwendeten Daten, zur Datenverwendung selbst und welche Datenbestände verwendet werden dürfen, dass Beschwerden wegen Datenschutzverletzungen praktisch aussichtslos sind. Praktisch jede polizeiliche Datenverwendung ist durch dieses Abkommen gedeckt. Auch die Auskunfts- und Protokollierungsrechte sind für Betroffene nur beschränkt durchsetzbar.
Keine Notwendigkeit für ein Vorpreschen
Es besteht kein Bedarf, dass sich Österreich als Polizeimusterschüler der EU profiliert. Österreich sollte vielmehr dahin wirken, mit allen EU-Staaten zu einer geordneten und rechtsstaatlich fundierten polizeilichen Zusammenarbeit zu kommen. Ein Vorpreschen ist weder aus der Sicht der polizeilichen Tätigkeit notwendig, noch aus rechtsstaatlicher Sicht wünschenswert.
andere --> http://de.wikipedia.org/wiki/Schengen
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