2008/07/12 Büchereien Wien: Keine Persönlichkeitsrechte in der Bibliothek?
eigentümliche Geschäftsbedingungen - Wer sich in Bibliothek einschreibt, verzichtet auf Persönlichkeitsrechte - sowohl zivil- als auch strafrechtlich bedenkliche Eingriffe - Zustimmungserklärung entspricht nicht datenschutzrechtlichen Standards
Durch Zuschriften zahlreicher verärgerter Bürger wurde die ARGE DATEN auf einen von der Gemeinde Wien zu verantwortenden Eingriff ind die Privatsphäre aufmerksam gemacht. Anlassfall sind die neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Büchereien Wien, welche sich seit 1.1.2008 in Geltung befinden. Wer sich bei den Büchereien Wien "einschreibt" gibt damit, ohne sich dessen bewusst zu sein, einen weitgehenden Verzicht auf seine Persönlichkeitsrechte in den Räumlichkeiten der Büchereien ab.
Inhalt der neuen AGBs
In den AGBs heißt es unter Punkt 12b zu "Urheberrecht": "Die Büchereien Wien weisen darauf hin, dass in den Büchereiräumlichkeiten Ton-, Film- und Fotoaufnahmen gemacht werden können, die zur Veröffentlichung bestimmt sind. Der Inhaber / die Inhaberin der Büchereikarte erklärt sich damit einverstanden, dass die von ihm / ihr während oder im Zusammenhang mit dem Büchereibesuch gemachten Aufnahmen entschädigungslos ohne zeitliche oder räumliche Einschränkung mittels jedes derzeitigen oder zukünftigen technischen Verfahrens ausgewertet werden dürfen."
Eingriff #1: Das Recht am eigenen Bild!
Diese Bestimmung stellt einen Freibrief zur Herstellung und Verwertung von Ton- und Bilddokumenten jedes Kunden dar und greift in verschiedene Rechte des Betroffenen ein. Da ist zunächst das "Recht am eigenen Bild", welches bestimmt, dass Bildnisse von Personen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt würden. Dieser Bildnisschutz ist ein Persönlichkeitsrecht im Sinn des § 16 ABGB (4Ob127/94; 6Ob287/02b) und ist zivilrechtlich geschützt.
Die Berufung auf den Schutz berechtigter Interessen ist in diesem Zusammenhang zwar demjenigen versagt, der einer Veröffentlichung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, für welchen Zweck und innerhalb welchen Rahmens diese Zustimmung erteilt wurde. (4Ob327/80; 4Ob363/87; 4Ob122/88; 4Ob133/89; 4Ob4/90; 4Ob30/90; 4Ob27/93; 4Ob52/94; 4Ob1072/95; 4Ob2203/96s; 4Ob2226/96y; 4Ob2238/96p; 4Ob2248/96h)
Eingriff #2: Das Recht am eigenen Wort
Verletzungen des Rechts am eigenen Wort sind sowohl zivil- sondern auch strafrechtlich sanktioniert. § 120 Abs 1 Strafgesetzbuch stellt die Verwendung eines Tonaufnahmegerätes oder Abhörgerätes unter Strafe, wenn dies dazu dient, sich von einer nicht öffentlichen und nicht für denjenigen zur Kenntnisnahme bestimmten Äußerung, Kenntnis zu verschaffen. Die Strafdrohung beträgt bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bzw. bis zu 360 Tagessätzen Geldstrafe. Das Aufzeichnen von Äußerungen, die öffentlich gemacht werden oder an denjenigen gerichtet sind, der die Aufzeichnung vornimmt, ist nach § 120 Abs 1 StGB nicht strafbar. Gibt der Aufzeichnende die so erlangten Tonaufnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen an einen Dritten weiter, verstößt er gegen § 120 Abs. 2 StGB.
Wer ein Gespräch ohne Zustimmung des Gesprächspartners durch Anwendung eines Tonbandes (Tonträgers) festlegt, verletzt weiters in der Regel das durch § 16 ABGB gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die Person in ihrer persönlichkeitsrechtlichen Eigensphäre schützt. Nur in besonderen Ausnahmefällen (Notwehr, Verfolgung überwiegender berechtigter Interessen) kann die Widerrechtlichkeit eines solchen Eingriffs entfallen (6Ob190/01m). Auch eine Verletzung nach §1328a ABGB ("Privatsphärebestimmung") kann gegeben sein.
Eingriff #3: Datenschutzrechtliche Verletzung
Die Büchereien Wien werden sich darauf berufen, dass durch den eingangs benannten "Freibriefparagraphen" eine Zustimmung erteilt worden sei und daher die genannten Verletzungen nicht vorlägen. Dem ist entgegen zu setzen, dass Zustimmungen zum Verzicht auf Persönlichkeits- und Datenschutzrechte einen gewissen Mindeststandard erfordern.
Das Gebot der Schriftlichkeit bedeutet dabei in der Regel, dass der Kunde das die Zustimmungserklärung enthaltende Schriftstück unterfertigen muss. Die geforderte Ausdrücklichkeit bedingt, dass die Entbindungserklärung klar und deutlich im unterfertigten Schriftstück enthalten ist.
Eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die der Kunde der Übermittlung "alle(r) Daten" zustimmt, ist als intransparent bewertet worden, da sie die Tragweite der Einwilligung nicht erkennen lässt (2005/12/15). Eine wirksame Zustimmung kann nur vorliegen, wenn der Betroffene weiß, welche seiner Daten zu welchem Zweck verwendet werden sollen. Eine in Verträge aufgenommene pauschale „Datenschutzklausel" erfüllt die Voraussetzungen einer Zustimmung im Sinn des §4 Z14 DSG nicht (6Ob275/05t).
Die rechtliche Wertung ist eindeutig: Eine in den AGBs versteckte Zustimmungserklärung, die unbeschränkte Eingriffe in Persönlichkeitsrechte gestattet und eine schrankenlose Datenverwendung erlaubt, ist keine wirksame Rechtsgrundlage.
Wenn eine Datenschutznestimmung der AGBs keine gültige Zustimmung im Sinne des DSG darstellt, erfolgt die Datenerhebung und -verwertung auch aus diesem Grunde rechtswidrig. Dabei können sowohl der Grundsatz der Verarbeitung nach Treu und Glauben, des Fehlens eines bestimmten Zwecks, als auch das Fehlen eines überwiegenden Interesses der Büchereien verletzt sein.
Was kann man machen?
Betroffenen ist für den Fall, dass tatsächlich Veröffentlichung von personenbezogenen Bild- oder Tondokumenten erfolgen, zu raten rechtliche Schritte zu ergreifen. Dies kann sowohl in zivilrechtlicher Form im Sinne von Unterlassungs- bzw. Schadenersatzklagen als auch - bei Tondokumenten - durch entsprechende Strafanzeigen an die zuständigen Behörden erfolgen.
Weiters wird empfohlen, sicherheitshalber einen Widerruf bei der städtischen Bücherei zu deponieren. Ein Entzug der Benutzungsberechtigung ist nicht zu befürchten, da das DSG ausdrücklich den Widerruf von Zustimmungen vorsieht und dieser Widerruf keinen Einfluß auf die Erbringung der Leistungen der Büchereien hat.
Resumee
Spätestens seit dem neuen Wiener Sozialhilfegesetz und dem Fall "Mistkübel-Videoüberwachung im Gemeindebau" ist evident, dass Datenschutz und Persönlichkeitsrechte bei der Gemeinde Wien in keinen guten Händen sind. Die neue Bücherei-AGB-Bestimmung ist ein weiterer Mosaikstein, der zeigt, welche Auffassung die Stadtverantwortlichen von Bürgerrechten haben.
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