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2009/02/16 Österreich übte Schauprozess - Zweite Runde im "Terroristen"-Verfahren
Hans G. Zeger
Prozess entwickelte beängstigende Grundrechtsperspektiven - Meinungsfreiheit hat in Österreich kein Gewicht - Gesinnung und Ansichten wurden beurteilt - angeklagt war eigentlich das Internet - der Prozess blieb ein verbissener Versuch präventive Überwachungsmaßnahmen und die Online-Fahndung zu rechtfertigen - Vorurteile, Ängste und Antipathie dominierten Prozess (http://ftp.freenet.at/int/prozess-runde-2.pdf)

Wenig überraschendes Ende der zweiten Runde

Freitag den 12.2.09 ging die Neuauflage des "Terroristenprozesses" mit der Bestätigung des ersten Urteils zu Ende. Notwendig wurde der neue Prozess wegen der nach Ansicht des OGH unverständlichen Fragestellungen an die Geschworenen. Neue Fragen wurden gestellt, sieben Mal wurden sie einstimmig bejaht, das Strafausmaß des ersten Prozesses wurde bestätigt (4 Jahre für Mohamed M., 22 Monate für Mona S.).


Gesinnungs- und Meinungsverfahren

Die Anklagesuppe ist sensationell dünn. Beim Angeklagten findet sich zwar jede Menge Propaganda für den Djihad, Sympathie mit irakischen Aufständischen, große Sprüche bei einem Fernsehauftritt, den Wunsch nach einem Scharia-Islam, die Ablehnung der Regierungen in islamischen Ländern, die Übersetzung extremistischer Texte, eine private Auslegung des Koran, ebenso eine höchst private Interpretation, was objektive Berichterstattung sein soll und Spekulationen zu Terrorszenarien, bei denen nicht klar wurde, wer sie und wohin verbreitete. Alles zusammen Stammtisch-Gesudere mit einer gehörigen Portion von Omnipotenzphantasien, wie sie sich bei Ego-Shooterspielen entwickeln. Geradezu zwangsläufig finden sich Parallelen zu Ansichten, die auch Terrororganisationen vertreten könnten.

Isolierte Ansichten, political incorrect, sie sind in Österreich weder mehrheits- noch minderheitsfähig. Doch die Verbindung, das zielgerichtete Zusammenwirken mit Personen aus Terrororganisationen wird nicht nachgewiesen, von der Anklage letztlich gar nicht behauptet. Zu Anklage und Verurteilung reichten Annahmen, hypothesen, Theorien, die Wahrscheinlichkeit einer sympatisierenden Förderung durch Propaganda.

Stärker als im ersten Durchgang entpuppte sich der Prozess als Gesinnungsverfahren. So entwickelten sich zwischen Angeklagten, Richterin Mag. Sanda und Staatsanwalt Mag. Walzi eigentümliche Dialoge, etwa wenn über die Politik Mubaraks, den Jihad oder die Legitimität des Widerstandes philosphiert wird (siehe http://ftp.freenet.at/int/hv-protokoll-2009.pdf). Interessante Gesinnungsfragen, die aber sicher nichts in einem Strafverfahren verloren haben.

Auf die problematische rechtlich-technische Seite der Computerüberwachung sei nicht erneut eingegangen, sie wurde nach dem ersten Verfahren ausführlich behandelt (http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGED...). Ergänzend wird auf die Stellungnahme des ermittelnden BVT-Beamten hingewiesen (http://ftp.freenet.at/int/herndler-meinung.pdf).


"Internet gefährlicher als Terroranschläge"

Mindestens genauso irritierend wie die Ansichten des Angeklagten waren die Aussagen des einvernommenen deutschen "Verfassungsschützers" Ali Sadr.

Der Mitarbeiter des deutschen Bundeskriminalamts (BKA) beobachtet seit 2003 die Internet-Plattform GIMF ("Globale Islamische Medienfront"). Er referierte allgemein über die Methoden der GIMF, ihre Medienarbeit und welche Ideologien seiner Meinung nach dahinter stecken.

Letzlich kommt er zum Kern des Prozesses als Internet-Verfahren: "Nach unserer Beobachtung und Einschätzung ist das Internet und überhaupt die Medienarbeit mit militanten Islamisten mindestens so gefährlich, wie die Waffen, die diese Leute benutzen." (siehe http://ftp.freenet.at/int/hv-protokoll-2009.pdf, Pkt4)

Der BKA-Mitarbeiter stilisiert das Internet zur gefährlichen Terrorwaffe hoch, ein Bild, das bei Staatsanwalt, Richtern und Geschworenen auf fruchtbaren Boden fällt. Aus einem Meinungsforum, einem modernen Stammtisch wird eine globale Waffe. Mit der Gleichsetzung von Terror und Bericht darüber, wird der Boden für präventive Maßnahmen gegen Meinungsäußerung im Internet vorbereitet.

Interessante Spekulationen über den Einfluss des Internets auf seine Benutzer, doch wir befinden uns in einem Strafprozess, in dem die individuelle Schuld eines Angeklagten festzustellen ist. Der BKA-Mitarbeiter wird daher auch zum Angeklagten befragt, der ihm jedoch in seiner vieljährigen Beschäftigung mit der GIMF-Plattform niemals untergekommen ist.


Dammbruch in Sachen Meinungsfreiheit und Grundrechte

Der Prozess unterscheidet sich wesentlich von sonstigen Strafverfahren. Nicht konkrete Taten wurden verhandelt, nicht einmal zielgerichtete Vorbereitungshandlungen, sondern Meinungsäußerungen die möglicherweise andere Personen zu strafbaren Taten verführen könnten.

Nicht einmal dieser Punkt wurde ordentlich abgehandelt. Bequemlichkeitshalber wurden gleich alle Äußerungen auf der mythischen GIMF-Internet-Plattform pauschal dem Angeklagten zugeschlagen. Statt einer ordentlichen Indizienkette zwischen veröffentlichter Propaganda und Verursacher, dominiert das Prinzip "mitgegangen ist mitgefangen". Eine neue Erfahrung in einem Staat, der Rechtsstaatlichkeit beansprucht.

Damit wurden Fiktion, Möglichkeiten und Spekulationen über die Gefährlichkeit des Internets erstmalig Grundlage eines Strafprozesses. Im Plädoyer des Staatsanwaltes wird das vom BKA-Zeugen geschaffene Bild der "Waffe Internet" freudig aufgegriffen. Der Angeklagte würde eben durch Verbreitung von Texten und Videos andere Menschen dazu bringen, Terroranschläge zu begehen.

Folgt man dieser Logik müssten Haslingers "Opernball", Zenkers "Kassbach" genauso verboten werden, wie die meisten Shakespearstücke. Von den abertausend Ego-Shooter-Spielen abgesehen, deren einziger Zweck Übung im Massenmord in den verschiedensten Formen ist. Der größte Teil der Unterhaltungsliteratur, die meisten Fernsehsendungen müssten verboten werden. Mord und Totschlag, das Spiel mit den Möglichkeiten Angst und Schrecken zu verbreiten, immer möglichst nahe an realistischen Szenarien und Ereignissen, ist heute Haupttriebfeder "spannender" Unterhaltung. Jedes dieser Szenarien kann Ausgangspunkt oder Auslöser für Nachahmungstäter sein, kann Vorbildwirkung erlangen, kann durch ihre bloße öffentliche Verfügbarkeit auch als Aufruf zur Tat uminterpretiert werden.

Aus einem Sammelsurium von Nic-Names, Accounts und angenommenen Benutzerdaten, wie sie typisch im Internet sind, wird eine "Vereinigung" konstruiert. Warum sich jemand auf einem Internetforum betätigt, aus Leidenschaft oder Lnagweile, als Sympatisant oder Agent Provocateur, lässt sich Online nicht feststellen. Auf Myspace präsentieren sich 256 Barack Obama Profile. Wenn man nur die männlichen zählt, 50 weibliche kommen noch dazu. Glaubt jemand ernsthaft, es gäbe den Klub der Obama-Klons? Oder eine terroristische Vereinigung hätte sich verschworen, die Menschheit mit Obamaprofilen zu verwirren? Oder alles seien nur Betrüger? Begreift man diese Foren als Bühne, als Möglichkeit der Selbstdarstellung, wird man ihnen besser gerecht. Wer die Veröffentlichungen im Internet für bare Münze nimmt, ist entweder abgrundtief naiv, Staatsanwalt oder benötigt einen Vorwand für neue Grundrechtseinschränkungen.


Die nächsten Runden zeichnen sich ab

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Nochmals wird sich der OGH mit den verschachtelten Fragestellungen an die Geschworenen beschäftigen müssen. Wieder ist eine Aufhebung möglich, sind doch die komplizierten Fragestellungen notwendig, um überhaupt eine Verbindung zwischen Meinungsäußerung, Internetaktivitäten und den strafrechtlich relevanten Terrorismus-Paragraphen zu konstruieren.

Egal wie der OGH entscheidet, früher oder später wird das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen. Zu offensichtlich ist die Preisgabe der Meinungsfreiheit zugunsten eines nebulosen Terrorismustatbestandes. Eine Konstellation, die geradezu nach einer grundrechtlichen Prüfung ruft.

Sympathieträger ist der Angeklagte gewiss nicht. Doch genügt Antipathie für eine strafrechtliche Verurteilung? Für eine Abwahl bei Starmania oder Dancingstars vielleicht, nicht aber bei einem Instrument, das die Ultima Ratio beim Eingriff des Staates in das Leben der Menschen darstellen sollte.

Wenn Meinungsübereinstimmung zur Konstruktion eines Straftatbestandes reicht, dann stehen die nächsten Fälle schon in der Warteschlange, die mehrere Monate inhaftierten Tierschützer. Aber auch für alle anderen NGOs, Studentengruppen, kritischen Zirkeln ist das Zeichen gesetzt. Gebt acht, mit wem eure Meinungen überein stimmen könnte, wir haben die Mittel daraus eine terroristische oder kriminelle Vereinigung zu konstruieren, Parallelität der Ideen reicht.


Beängstigende Grundrechtsperspektive

Allen, die die widersprüchliche und verworrene Verantwortung des Angeklagten nervten, sein Gehabe, sein Äußeres, sein eigentümliches Welt- und Glaubensbild, seine Ablehnung und sein Unglauben an demokratische Institutionen, allen die nun mit Befriedigung feststellen, dass "so einer" wohl einen Denkzettel verdient hat, könnte ein bitteres Erwachen drohen.

Schau'n wir was herauskommt, war offenbar das Motto des Verfahrens. Der Prozess war ein Versuchsballon. Lässt sich eine Gesellschaft gesetzlich nicht geregelte Überwachungsmaßnahmen gefallen (die Online-Computerfahndung)? Lässt sie sich die Verurteilung von Meinungsäußerung und Propaganda gefallen? Akzeptiert sie die Ausdehnung des Begriffs "Vereinigung", der nach bisherigem Verständnis die Zusammenarbeit von Menschen voraus setzte auf, auf das bloße Vorhanden sein paralleler Anschauungen?


Zur Meinungsfreiheit gehört auch das Recht auf Irrtum

"Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten." (Artikel 19 der UN-Charta der Menschenrechte, 10.12.1948)

Auf die Meinungen des Angeklagten sei nicht im Detail eingegangen, sie sind unklar, fehlerhaft und über lange Strecken schlichter Blödsinn. Doch was wäre das Recht auf Meinungsfreiheit, wenn sie nur rechtlich einwandfreie und nach allen juristischen Regeln geprüfte Äußerungen erlauben würde? Wir hätten eine bloße Deodorantfreiheit, Meinungsäußerungen wären dann frei von jeder Anstößigkeit, geruchsfrei eben.

Jede Meinungsfreiheit stellt auch Belästigung dar, Belästigung der Andersdenkenden, Belästigung der Angesprochenen und Kritisierten. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein Leichtgewicht im politischischen Denken Österreichs. "Ja dürfen's des?" ist schon die wohlwollendste Variante, wird ein Bürger mit abweichenden, anstößigen Meinungen konfrontiert. Allzurasch wird dieses Recht zugunsten vermeintlich geordneter, kontrollierter Verhältnisse aufgegeben. Am Stammtisch schimpfen oder einen Leserbrief schreiben sind das Äußerste, ansonsten verlässt man sich auf berufliche Meinungsmacher.

Was sind die Foren und Plattformen des Internets anderes als neue Formen der Hydepark'schen Speakerscorner, der unzähligen Stammtische oder der - besonders in Studentenkreisen beliebten - Flugzettel? Dumpfe Drohungen gegen "die da oben", gegen die "Ostküste", blanker Rassismus oder verholener Antisemitismus finden sich dort, inklusive konkreter Ankündigungen einem bestimmten Politiker handfest die Meinung zu sagen, das "Zumpferl" zu abzuschneiden, "kaputt zu machen, was kaputt macht". Zum volksdeutschen Umsturz oder der antiimperialistischen Revolution wird genauso aufgerufen, wie die wildesten Weltverschwörungen "bewiesen" werden, von den zahllosen Sponti- und Nazisprüchen ganz zu schweigen.

Käme jemand auf die Idee, alle diese Äußerungen als Teil terroristischer oder krimineller Vereinigungen zu sanktionieren, hätten wir bald sehr große Gefängnisse. Eine Gesellschaft, die nicht imstande ist eine Bandbreite von Meinungsäußerungen zu ertragen, steht über kurz oder lang vor der Notwendigkeit der totalen Kontrolle. Jede Äußerung, jedes Zeichen kann in diesem Licht zur terroristischen Chiffre werden. Egal ob "18", die Beschäftigung mit dem "Djihad" oder mit veganischer Nahrung.


Erpressbarer Staat

Dieser Kontrolle werden sich auch professionelle Meinungsmacher nicht entziehen können. Zumindest die Schere im Kopf wird wirksam werden. Nicht mehr welche Meinung vertreten wird und wie sie argumentiert werden kann, wird wichtig sein, sondern wer eine Meinung schon vertreten hat und wie man sich wirkungsvoll davon distanzieren kann.

Wer immer die Feinde einer auf Grundrechte aufbauenden Gesellschaft sein mögen, sie haben in diesem Umfeld ein bequemes Leben. Anonym, gefahrlos, von der Ferne aus können sie diese Gesellschaft beeinflussen und manipulieren. Sie übernehmen Themen und Thesen und rücken alle anderen Vertreter dieser Positionen in eine terroristische Ecke, egal ob es sich um Klimawandel, Globalisierung, sozial nachhaltige Produktion, Verstaatlichung, Kontrolle der Finanzwirtschaft oder um den Betrieb palästinensischer Kindergärten handelt.

Strafrechtlich gilt es Taten und konkrete Vorbereitungshandlungen zu sanktionieren und nicht unerwünschte Gesinnungen, potentielle Tatszenarien oder verworrene Meinungen. Wir verlassen ansonsten den Boden der Realität und einer auf Grundrechte aufbauenden Gesellschaft. Jeder und jedes kann mit dem Argument der falschen Gesinnung zur - erfolgreichen - Verurteilung kommen.

Eine wachsame Zivilgesellschaft sollte bei diesen Vorgängen mehr als hellhörig werden. Einmal mehr gilt "Good Night, and Good Luck" (http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_R._Murrow), diesmal für Österreich.

mehr --> Druckversion "Österreich übte Schauprozess"
mehr --> Zitate aus der 2. Hauptverhandlung (12.11.08-12.2.09)
Archiv --> Konstruktion und Dekonstruktion eines Terroristen?
Archiv --> StGB 278ff zu krimineller und terroristischer Vereinigung
Archiv --> Druckversion "Konstruktion und Dekonstruktion eines Terroristen?"
Archiv --> Stellungnahme des ermittelnden BVT-Beamten
andere --> UN-Charte Menschenrechte 10.12.1948
andere --> Buchtipp! Paralleluniversum Web2.0 (erscheint April 2009)
andere --> Blog zum Terror-Prozess
andere --> "Good Night, and Good Luck"

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