2009/07/20 Einschränkung der persönlichen Freiheit durch Zwangsmedikation? Mag. jur. Michael Krenn
Bei Zwangsmedikation von Heimbewohnern muss vorher dessen Vertreter/in verständigt werden. Am Papier ist es um die Persönlichkeitsrechte von Menschen, die sich selbst kaum mehr vor Eingriffen schützen können, recht gut bestellt. In der täglichen Praxis ist es jedoch eher eine Frage finanzieller Mittel und engagierter Angehöriger.
Ein juristisch selten thematisierter Aspekt der Privatsphäre betrifft den Umgang mit Personen, welche in Pflegeheimen betreut werden und Demenzbilder aufweisen. Unter welchen Umständen es zulässig ist Arzneimittel ohne Zustimmung des Betroffenen zu verabreichen wird im Heimaufenthaltsgesetz geregelt. Dabei ist der gesetzliche Vertreter des Bewohners berufen, diese Maßnahmen auf ihre Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit zu überwachen. Ein neues Judikat des OGH, welches den Anwendungsraum derartiger Zwangsmaßnahmen einschränkt (1Ob21/09 h, 26.2.2009), basiert auf dem Vorgehen einer engagierten Vertreterin.
Gerichtliche Überprüfung einer medikamentösen "Zwangsruhigstellung"
Bei der Bewohnerin eines Pflegeheimes bestand ein Demenzbild mit immer wieder auftretenden schweren Verhaltensstörungen, Unruhezuständen und lauten Schreiattacken. Darüber hinaus bestand, aufgrund einer halbseitigen Lähmung, Sturzrisiko. Aus diesen Gründen wurde die Betroffene durch Verabreichung von Medikamenten "ruhig gestellt". Die Bewohnervertreterin wurde darüber jedoch erst nachträglich informiert.
Die engagierte Vertreterin beantragte eine gerichtliche Überprüfung, ob die "Einmalmedikationen", welche die Betroffene zur "Ruhigstellung" erhalten hatte, freiheitsbeschränkende Maßnahmen darstellten und ob nicht vielleicht gelindere Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ausgereicht hätten. Das Erstgericht erklärte die Verabreichung der betreffenden Medikamente für zulässig und führte – nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - aus, dass die Präparate in der verabreichten Dosis "aus medizinischer Sicht angemessen" gewesen seien und keine unzulässige Freiheitsbeschränkung bestand. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch wenn das Erstgericht in seiner Entscheidungsbegründung nur das Resümee der Begutachtung wiedergegeben hatte, sei die Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Unberechtigt sei der Vorwurf, das Erstgericht habe von der Sachverständigen zu Unrecht keine Aufklärung darüber verlangt, ob die medikamentöse Therapie gleichzeitig auch eine freiheitsbeschränkende Maßnahme darstelle. Richtig sei zwar, dass die Unterlassung der Verständigung der Bewohnervertreterin über bestimmte freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Sinn des § 7 Abs 2 HeimAufG unzulässig sei. Dies bestehe jedoch nur bis zu jenem Zeitpunkt, an dem die Bewohnervertreterin tatsächlich Kenntnis von der angegebenen Freiheitsbeschränkung erhalten habe. Ein Verstoß gegen § 7 Abs 2 HeimAufG, der die Maßnahmen auf jeden Fall als unzulässig ansah, könne daher nicht festgestellt werden.
OGH gibt Bewohnervertreterin Recht
Dem erhobenen Revisionsrekurs der Bewohnervertreterin wurde durch den OGH stattgegeben. Nach Ansicht des OGH bedarf es bei Beurteilung, ob eine Zwangsmedikation rechtens ist, einer Aussage darüber, welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen Medikaments verfolgt, ob die Medikamente dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden und welche konkrete Wirkung diese auf die Bewohnerin hatten. Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist zu bejahen, wenn die Behandlung die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt. Nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, welche sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können. Bei Unterlassung der Verständigung des Bewohnervertreters im Sinne des HeimAufG sind solche Maßnahmen grundsätzlich unzulässig. Diese Unzulässigkeit dauert bis zu dem Zeitpunkt an, in welchem der Bewohnervertreter tatsächlich Kenntnis von der angegebenen Freiheitsbeschränkung erhalten hat. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn die Folgen für den Bewohner auch im Falle einer unverzüglichen Verständigung des Bewohnervertreters nicht mehr beeinflusst werden könnten. Zweck der unverzüglichen Verständigung des Bewohnervertreters ist, diesem die Möglichkeit zu geben, die Notwendigkeit der Maßnahme umgehend zu überprüfen und gegebenenfalls auf deren Beendigung oder Modifizierung hinzuwirken. Mangels Feststellungen zu der Frage, ob die verabreichte Medikation durch einen ausreichenden Zweck gerechtfertigt war, verwies der OGH die Sache an das Erstgericht zu ergänzenden Tatsachenfeststellungen zurück.
Freiheitsbeschränkungen im Sinne des Heimaufenthaltsgesetzes
Eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des Heimaufenthaltsgesetzes liegt vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln - insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen - oder durch deren Androhung unterbunden wird. Die Frage der Zulässigkeit derartiger Freiheitsbeschränkungen stellt sich grundsätzlich nur dann, wenn entsprechende Maßnahmen ohne Zustimmung des Betroffenen erfolgen. Das kann der Fall sein, wenn dieser entweder seine Zustimmung verweigert oder aufgrund mangelnder Einsichtsfähigkeit nicht in der Lage dazu ist. Die Zulässigkeit ist an recht strenge Voraussetzungen gebunden: Vorliegen einer ernstlichen Gefährdung bei einer kranken oder geistig behinderten Person; Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme; keine Anwendbarkeit gelinderer Mittel, z.B. Pflege- und Betreuungsmaßnahmen.
Klares Gesetz - schwierige Praxis
Der einleitend geschilderte Fall zeigt vor allem eines: Das Gesetz ist hinsichtlich seiner Ausrichtung streng, die Praxis jedoch oft nicht. Problematisch ist wohl vor allem die Frage der Verhältnismäßigkeit: Ist es möglich die Sicherung Betroffener auch durch andere Maßnahmen als durch zwangsreiche Verabreichung von Medikamenten durchzuführen? Dies ist wohl vor allem eine Frage finanzieller und personeller Ressourcen. Keine Frage: Die Verabreichung von Medikamenten ist oft sicherlich die einfachere und kostengünstigere Variante, jedoch nicht immer im Sinne des Betroffenen. Festzuhalten ist auch, dass die Betreuung von Heimbewohnern sicherlich auch vom Einsatz des Vertreters des Betroffenen abhängt. Diese agierte im vorliegenden Fall vorbildlich, was jedoch nicht immer so ist. Vor allem in Fällen, in denen die Vertretung nicht durch nahe Angehörige, sondern durch einen anwaltlichen Sachwalter erfolgt, kann man davon ausgehen, dass nicht immer ein solcher Einsatz erfolgt und oftmals derartige Fragen erst gar nicht juristisch abgehandelt werden.
Fazit
Um die Persönlichkeitsrechte dieser Bevölkerungsgruppe, die sich selbst kaum mehr vor Eingriffen schützen kann, ist es am Papier recht gut bestellt. Der Schutz in der täglichen Praxis ist jedoch eher eine Frage finanzieller Mittel und engagierter Angehöriger.
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