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2008/07/18 Ebnet der VwGH den Weg zu "Blechtrottelverfahren"?
Computer und Programme übernehmen zunehmend Entscheidungsaufgaben - Weg zum automatisierten Staat wird beschritten - Verbot automatisierter Einzelentscheidungen wird zusehens ausgehöhlt - Fiskus verlässt sich mehr und mehr auf mathematisch-statistische Plausibilitätsprüfungen, statt sachlich zu prüfen

Eine aktuelle Entscheidung des VwGH (2005/15/0161) geht in eine problematische Richtung: Dürfen österreichische Finanzbehörden ausschließlich auf Grund einer automationsunterstützten Bewertung von Daten Finanzbescheide erlassen? Grundsätzlich besteht gemäß § 49 DSG ein Verbot von sogenannten „automatisierten Einzelentscheidungen“, wenn diese nicht ausschließlich im Interesse des Betroffenen sind. Ein Steuerbescheid, der genau den Angaben des Steuerpflichtigen folgt darf rein automatisisert erstellt werden (siehe Finanzonline), ein Nachzahlungsbescheid, der auf Grund von Plausibilitätsprüfungen "Fehler" des steuerpflichtigen aufdeckt, darf nicht rein automatisisert erstellt werden, so die bisherige Rechtsmeinung.


Anlassfall

Bei einer sogenannten Mitunternehmerschaft, die zwei Gasthäuser betreibt, fand eine Umsatzsteuersonderprüfung statt. Im Zuge dieser Prüfung wurden für einen bestimmten Zeitraum Wareneinsatz- und Umsatzverkürzungen angenommen. Das zuständige Finanzamt hatte entsprechend diesem Prüfungsergebnis darauf hin die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und den Umsatz im Umsatzsteuerbescheid nachträglich erhöht.

Die Parteien hatten jeweils gegen diese Bescheide Berufung erhoben. Darin wurde ausgeführt, trotz mehrmaligem Ersuchen seien ihnen keine Unterlagen zur Verfügung gestellt worden, aus denen sich eine Umsatzzuschätzung rechtfertigen ließe. Es könne nicht rechtens sein, dass eine derart schwer wiegende behördliche Entscheidung getroffen werde, ohne dass der Betroffene überhaupt Gelegenheit bekomme, die Ermittlungsergebnisse der Finanzbehörde entkräften zu können.


Ermittlung anhand EDV-Daten

Die Behörde führte aus, dass bei einer Lieferantin der Gastgewerbebetriebe Hausdurchsuchungen vorgenommen worden seien. In diesem Rahmen seien auch EDV-Daten beschlagnahmt worden. Durch die Einvernahme von Bediensteten der Lieferantin und der Auswertung der EDV-Daten habe festgestellt werden können, dass Kunden neben Lieferungen, bei denen auf den Lieferscheinen bzw. Rechnungen ihre Namen aufgeschienen seien, auf Wunsch auch Lieferungen erhalten hätten, bei denen weder auf den Lieferscheinen noch in den sonstigen Aufzeichnungen der Lieferantin der Name des Kunden aufgeschienen sei. Der Finanzverwaltung sei es durch Auswertung der EDV-Daten gelungen, eine Verknüpfung zwischen den offiziellen und den inoffiziellen Lieferungen an die Kunden herzustellen.

Das genaue Vorgehen der Finanz war kompliziert: Bei der Lieferantin waren – laut Finanz - Kundenbestellungen von Gastwirten gesplittet worden, so dass ein vom Gastwirt angegebener Teil auf seine offizielle Kundennummer eingegeben wurde und die 'inoffiziellen Lieferungen' auf einem Letztverbrauchersammelkonto erfasst wurden.

Die Eingabe dieser – laut Finanz - vorgetäuschten Letztverbraucherlieferung sei entweder unmittelbar vor oder nach der offiziellen Bestellung erfolgt.

Als Grundlage für die Auswertung der Zuordnung dieser als „Letztverbraucherlieferungen“ geführten Tranchen zu den Gastwirten dienten die beschlagnahmten EDV-Daten. Dabei wurden folgende Datensätze berücksichtigt: auf- bzw. absteigende Lieferschein-Nummer, gleiche Fuhrschein-Nummer sowie gleiches Datum.

Die Tatsache, dass in einer EDV-Verarbeitung entsprechende „Leztverbraucherlieferungen“ an eine Lieferung an die Betroffenen chronologisch anschlossen oder vorangingen und die idente Fuhrscheinnummer und Datum aufwiesen, diente der Finanz als alleinige Grundlage für ihre Entscheidung. Ermittlungen zu den einzelnen Fällen fanden dazu nicht statt.


Verfahren

Die Parteien erhoben zunächst Rechtsmittel an den Unabhängigen Finanzsenat.

Dieser hob die erstinstanzlichen Bescheide auf. Im Abgabeverfahren sehe § 49 DSG  2000 im Ergebnis ein Beweisverwertungsverbot für Ergebnisse einer automationsunterstützten Datenverarbeitung vor, wenn diese Ergebnisse das einzige Beweismittel seien. Die strittige Umsatzhinzuschätzung beruhe nur auf den Auswertungen der EDV-Daten, andere Gründe, insbesondere formelle oder materielle Buchführungsmängel, seien für die Umsatzhinzuschätzung des Jahres 1998 nicht gegeben. Die Umsatzhinzurechnung sei ausschließlich auf Grund einer automationsunterstützten Verarbeitung von Daten erfolgt.

Dagegen erhoben die belangten Finanzbehörden Amtsbeschwerde an den VwGH. Dieser beurteilt die Sache anders: Dem Verfahren zur Abgabenerhebung sei ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich fremd.

Ein  Verbot greife nach § 49 Abs 2 DSG dann nicht, wenn die Wahrung der berechtigten Interessen des Betroffenen durch geeignete Maßnahmen - beispielsweise die Möglichkeit, seinen Standpunkt geltend zu machen - garantiert werde. Für das Abgabenverfahren ordne § 183 Abs 4 BAO an, dass den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben ist, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Dieser fundamentale Verfahrensgrundsatz stelle den nötigen Rechtsschutz im Sinne des § 49 Abs 2 Z3  DSG 2000 dar und sei nicht verletzt worden.


Bewertung

Grundsätzlich darf schon nach Art. 15 der EU-Datenschutzrichtlinie niemand einer für ihn rechtliche Folgen nach sich ziehenden oder einer ihn erheblich beeinträchtigenden Entscheidung unterworfen werden, die ausschließlich auf Grund einer automationsunterstützten Verarbeitung von Daten zum Zweck der Bewertung einzelner Aspekte seiner Person ergeht. 

Ausnahmen sind möglich, wenn die Wahrung der berechtigten Interessen des Betroffenen durch geeignete Maßnahmen - beispielsweise die Möglichkeit, seinen Standpunkt geltend zu machen - garantiert wird.

Zweck der entsprechenden Bestimmung ist zu verhindern, dass in rechtlich relevanten Fragen behördliche Entscheidungen lediglich per Computer getroffen werden, obgleich die Entscheidungsfindung menschlicher Einschätzung bedürfte.

Im gegenständlichen Falle ist fraglich, ob die Möglichkeit zur Äußerung, welche die BAO gewährt, schon ausreicht um ein ausschließlich auf EDV-Entscheidung basierendes Verfahren zu rechtfertigen. Dies scheint problematisch, da seitens der Partei Gegenargumente aufgeworfen worden waren (Behauptung des Bezugs von Waren, welche diese gar nicht im Sortiment hat; Stellungnahme der Lieferantin, etc…), die jedoch ungehört blieben. Weitgehend mit dem Argument „wir glauben den Auswertungen“.


Resumee

Ob sich die betroffenen Gastwirte Steuerverfehlungen schuldig gemacht haben, soll dahingestellt bleiben. Der Fall zeigt vielmehr eine immanente Gefahr, die durch den immer geringeren Personaleinsatz und vermehrte EDV-Nutzung im öffentlichen Bereich grundsätzlich droht: Der Ersatz eines rechtsstaatlich garantierten Verfahrens, in welchem ein Behördenorgan vorgebrachte Argumente abwägt und eine Entscheidung trifft durch ein reines "EDV-Massenverfahren", bei welchem Argumente unter Verweis auf den „unfehlbaren“ Computer auf der Strecke bleiben.

Aus rechtsstaatlicher Sicht kann die Verbreitung derartiger „Blechtrottelverfahren“  nicht erwünscht sein.

mehr --> VwGH Erkenntnis 2005/15/0161

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