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2007/04/11 Kein Datenschutz bei Akten und schriftlichen Aufzeichnungen?
Seit der OGH-Entscheidung 6Ob148/00h aus dem Jahr 2000 taucht immer wieder die Frage auf: "Gilt" das Grundrecht auf Datenschutz tatsächlich nicht für personenbezogenen Daten, welche nicht im Rahmen einer Datei verarbeitet werden? - Umdenken begint, bisher jedoch keine Korrektur der höchstgerichtlichen Fehl(?)entscheidung - ein Überblick

Anlassfall des OGH aus 2000

Ausgangspunkt ist die Entscheidung 6Ob148/00h aus 2000. Im Rahmen eines Verfahrens gegen einen Spitalsarzt wegen einer angeblichen Fehloperation war von einer Parteienvertreterin vor Gericht ein Gutachten vorgelegt worden, in welchem die Krankengeschichte einer anderen Patientin desselben Arztes detailliert aufgeführt war. Der beklagte Arzt fühlte sich- da dieses Gutachten personenbezogenen Daten enthielt- in seinem Grundrecht auf Datenschutz verletzt und erhob gegen die Rechtsanwältin Zivilklage sowie Sicherungsantrag, der Fall kam zum OGH.

Erwägungen, ob die Vorlage eines solchen Gutachtens ohne Einwilligung aller Betroffenen  zulässig ist oder nicht, wären mit Sicherheit interessant gewesen. Dagegen setzte ich das Höchstgericht mit der Reichweite des Grundrechts auf Datenschutz nach § 1 DSG auseinander und judizierte es sei "aufgrund systematischer wie auch teleologischer Interpretation von Datenschutzgesetz als auch EU-Datenschutz-Richtlinie nicht zweifelhaft, dass § 1 DSG - das Grundrecht auf Datenschutz - nur in einer "Datei" nach § 4 DSG verwendete Daten betreffe". Da das entsprechende Gutachten nicht dem Dateibegriff im Sinne einer strukturierten Datensammlung, die mittels mindestens einem Suchkriterium zugänglich ist, entspreche, sei generell davon auszugehen, dass dem DSG hier keine Relevanz zukomme.


VwGH entscheidet 2004 zu Auskunftsrecht

In 2004/06/0086 war der VwGH zwar mit einem sachlich völlig anders gelagerten Ausgangsfall konfrontiert, der allerdings rechtlich ähnliche Fragestellungen aufwarf. Dem Betroffenen waren verschiedene strafbare Handlungen vorgeworfen worden, entsprechende gerichtliche Verfahren endeten sämtlich mit Freispruch. Da dem Betroffenen letztendlich nichts vorgeworfen werden konnte, fühlte sich dieser in seinem Auskunftsrecht dadurch verletzt, dass entsprechende Behörden - etwa die damalige Gendarmerie oder die Bezirkshauptmannschaft - über die verarbeiteten, personenbezogenen Daten keine Auskünfte erteilten.

Der VwGH entschied in diesem Fall über das Bestehen eines Auskunftsrechts des Betroffenen und nahm eine Bindung an den Dateibegriff an. Allerdings wurde seitens des VwGH in dieser Entscheidung auch festgehalten, dass im Gegensatz zur eingangs geschilderten OGH-Entscheidung nicht die grundsätzliche Geltung des grundrechtlich abgesicherten Geheimhaltungsanspruches bei nicht in einer Datei verarbeiteten, personenbezogenen Daten Entscheidungsgegenstand sei.


Weitere Fälle

In den Fällen 1Ob109/02i sowie 8Ob4/03a war der OGH wieder mit der identen Fragestellung nach der Reichweite des § 1 DSG konfrontiert. In beiden Fällen ging es um eine verweigerte Akteneinsicht, einerseits in einem Verfahren um das Besuchsrecht bei einer Minderjähtigen andererseits um einen Insolvenzakt. Jeweils war mit dem Argument, das Grundrecht auf Datenschutz erfasse in diesen Akten verarbeitetete Daten nicht, da ein Gerichtsakt keine Datei im Sinne des DSG sei, der Instanzenzug bis zum OGH ausgeschöpft worden. Eine abschließende Antwort auf die Frage, ob das Grundrecht auf Datenschutz nach Auffassung des OGH personenbezogene Daten tatsächlich nur dann erfassen soll, wenn diese im Rahmen einer Datei verarbeitet werden, blieb der OGH in beiden Fällen schuldig.


Problematische Rechtsauffassung

Fälle dieser Art zeigen plakativ die Problematik der höchstgerichtlichen Auffassung aus dem Erkenntnis von 2000. Nimmt man tatsächlich an, das Grundrecht auf Datenschutz würde sich nur auf in einer Datei verarbeitete Daten beziehen, würde dies zu grob unsachlichen Folgen in der Praxis führen, da prinzipiell  das Schutzbedürfnis des Betroffenen in Hinblick auf eine Weitergabe oder Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten nicht an der Verarbeitungsweise in einer Datei festgemacht werden kann.

Darüberhinaus ist auch kein sinnvolles juristisches Argument für die Auffassung des OGH aus 2000 erkennbar. § 1 DSG normiert in Abs. 1 den Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten, in Abs. 3 den Anspruch auf Richtigstellung und Löschung solcher Daten sowie das Auskunftsrecht. Der Begriff "Datei" wird dabei nur in Abs. 3 - also in Hinblick auf Löschungs-, Auskunfts- und Richtigstellungsrecht - verwendet. Eine Legaldefintion zur Datei enthält § 4 Z ... DSG, der diese als strukturierte Datensammlung, die mittels mindestens einem Suchkriterium zugänglich ist, definiert.

Letztlich ergeben sich hier zwei Aspekte: Einerseits ist ohnedies fragwürdig, wie weit dieser Dateibegriff - der im Gegensatz zu § 1 DSG nur einfachgesetzlich normiert ist - und die österreichische Judikatur dazu den europarechtlichen Rahmenbedingungen standhalten können.

Viel offensichtlicher ist aber folgendes: Nachdem der Dateibegriff in § 1 Abs. 1 DSG gar keine Erwähnung findet und die Einschränkung in Bezug auf personenbezogene Daten, die in einer Datei verarbeitet werden, nur in Abs. 3 erfolgt, ist auch vollkommen klar, dass der verfassungsgesetzlich gewährleistete Geheimhaltungsanspruch nach Willen des Gesetzgebers unabhängig von der Verarbeitungsmethode personenbezogener Daten in einer Datei Geltung besitzt.


Auch Höchstrichter irren

Letztendlich ist kein vernünftiges, juristisches Argument ersichtlich, warum der Geheimhaltungsanspruch pesonenbezogener Daten vom Dateibegriff abhängen sollte. Bei genauerer Ansicht erweist sich die eingangs zitierte Entscheidung des OGH somit als grober juristischer Missgriff. Man kann es nicht anders sagen: Auch Höchstrichter irren sich mal.

Problematischer ist allerdings, dass sich der Oberste Gerichtshof seit nunmehr sieben Jahren um eine Korrektur seines damals- auf drei Seiten geäußerten- Erkenntnisses drückt, obgleich jedem Jusstudenten des ersten Abschnitts bei genauerer Betrachtung die fatalen Konsequenzen erkennbar sein müssten, würde man tatsächlich diese Ansicht des OGH dem Datenschutz in Österreich zugrundelegen: Das Grundrecht auf Datenschutz wäre weitgehend zahnlos und ausgehebelt, würde man es nur im Falle der Datenverarbeitung im Rahmen einer Datei anwenden.

Resumee: Fehlentscheidungen gibt es immer wieder, die Chance zur Korrektur sollte aber auch  ein Höchstgericht nutzen. Jedenfalls ist klarzustellen: Der verfassungsgesetzlich gewährleistete Geheimhaltungsanspruch erfasst auch personenbezogene Daten, die nicht in einer Datei  verarbeitet werden. Betroffenen ist der Weg durch die Instanzen anzuraten.


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