2008/08/15 DSK erteilt Videoüberwachungs-Fantasien an österreichischen Schulen Abfuhr Stand: 15.08.2008
Kontrolle statt Pädagogik war das Konzept überforderter Schuldirektoren - Datenschutzkommssion sagt Njet zu stalinistischen Überwachungsmethoden - wird geplante Datenschutz-Novelle schulische Videoüberwachung erlauben?
Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen mehren sich an Österreichs Schulen Klagen über eine angebliche Zunahme von Gewalt, Rowdytum und Vandalismus. Die hilflose Antwort gleicht jener, die aus anderen Bereichen bekannt ist: Populistische Symptombehandlung statt Ursachenanalyse, der Ruf nach intensiver Videoüberwachung erreicht auch Österreichs Schulen. Sie sollen zu Zucht- und Hochsicherheitsanstalten umgewandelt werden.
Nun liegen Entscheidungen der DSK vor (K600.054-001/0002-DVR/2008, K600.055-001/0002-DVR/2008) die derartigen "Big-Brother"-Fantasien - zumindest vorläufig - ein Ende setzen. Die Frage ist, ob diese Entscheidungen auch im Falle des Inkrafttretens der neuen DSG-Regeln zur Videoüberwachung Bestand haben werden.
Anlassfälle
Ein Schulleiter beantragte die Registrierung der Datenanwendung "Videoüberwachung zum Zwecke des Eigentumsschutzes (bzw. zum Zwecke der Vorbeugung strafrechtsrelevanter Tatbestände) der Gänge und der Eingangshalle". Durch schulinterne Vorfälle, so die Begründung, sei eine potentielle Gefährdung von Sicherheit und Leben der Schüler gegeben. Die Gangaufsichten seien überfordert und könnten die Gefährdungen nicht verhindern.
Parallel stellte die Schulleitung einer anderen Schule den Antrag zur Video-Überwachung von Schülergarderoben sowie des Fahrradabstellplatzes. Als Begründung wurde angegeben, dass an den angegebenen Orten immer wieder Vandalismusschäden und Diebstähle verzeichnet worden seien. Videoüberwachung sei ein geeignetes Mittel für Prävention und Aufklärung dieser Vorkommnisse.
Entscheidung K600.054-001/0002-DVR/2008 der DSK
Die Datenschutzkommission geht in ihrer Entscheidung K600.054-001/0002-DVR/2008 davon aus, dass Videoüberwachung öffentlicher Stellen für hoheitliche Zwecke ausschließlich aufgrund einer ausdrücklichen, hinreichend determinierten gesetzlichen Ermächtigung zulässig ist. Schüleraufsicht innerhalb der Schule ist jedoch Teil der Aufsichtspflicht, die den Lehrkräften gemäß §51 Abs. 3 Schulunterrichtsgesetz (SchUG) übertragen wurde und Teil der von den Schulen zu leistenden Erziehungsarbeit ist. Diese pädagogische Aufgabe kann nicht, so die Datenschutzkommission, an technische Installationen abgewälzt werden.
Der Einsatz von Videoüberwachung ist nach Auffassung der DSK daher zur Zeit nicht zulässig, da eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung fehlt. Mangels gesetzlicher Grundlage für die gemeldete Videoüberwachung wurde die Registrierung abgelehnt.
Anders beurteilt die DSK Videoüberwachung in Schulen außerhalb der Unterrichtszeit: Videoüberwachung zum Schutz vor Vandalismus oder Eigentumsdelikten innerhalb des Schulgebäudes während der Nachtstunden sieht die DSK als privatwirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen des Hausrechts, die keine besonderen datenschutzrechtlichen Probleme aufwerfen. Zu diesen Zeiten ist der Zutritt zum Schulgebäude überhaupt untersagt, sodass keine berechtigten Datenschutzinteressen verletzt werden könnten.
Entscheidung K600.055-001/0002-DVR/2008 der DSK
Im zweiten Fall brachte die Schulleitung vor, die Videoüberwachung der Garderobe wäre notwendig, da sie gemeinsam mit einer anderen Schule genutzt werden und es sei ein Versperren der Garderobe, wegen ihrer Verwendung als Fluchtwege, nicht möglich.
Die Kamera im Bereich für den jedermann zugänglichen Fahrradabstellplatz sei bereits installiert. Öffentliches Gut sei ca. 6m entfernt und werde keinesfalls erfasst. Auch werde nicht der gesamte Bereich des Fahrradabstellplatzes erfasst.
Zu Vorfällen befragt, wurde keine Statistik zurück gemeldet, sondern einzelne Vorfälle genannt, die den Schülerinnen und Schülern im Gedächtnis geblieben seien. Es handle sich um Brandstiftungs-, Diebstahls- bzw. Vandalismusvorwürfe.
Die Aufzeichnungsdauer wurde mit 7 Tagen beantragt, danach werde automatisch überschrieben. Dies sei deshalb notwendig, weil sich betroffene Schülerinnen und Schüler nicht sofort melden und auch bei verspäteter Meldung Zeit sein müsse, die Umstände eines Vorfalls genauer zu klären.
Grundsätzlich hält auch hier die DSK fest, dass die Schule gegenüber den Schülern die gesetzliche Aufgabe "Aufsicht" zu erfüllen hat, weshalb der Einsatz von Videoüberwachung eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage benötigt.
Videoüberwachung gegenüber Schulfremden wäre hingegen als Ausübung des Hausrechts durch die Schule im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung ohne besondere gesetzliche Grundlage zulässig. Da Videoüberwachung in Schulgarderoben jedoch nicht nur gegenüber Schulfremden installiert werden können, sondern auch alle Schüler treffen würde, ist sie nach Auffassung der DSK insgesamt unzulässig. Die Registrierung für den Gardarobenbereich wurde abgelehnt.
Hinsichtlich des Fahrradabstellbereiches überwiegt nach DSK-Auffassung die Rolle der Schule als Hausherr, da dieser Bereich für jedermann zugänglich ist. Die dargestellten Vandalismus-Vorkommnisse berechtigen laut DSK zur Videoüberwachung des Abstellplatzes der Beförderungsmittel. Die Videoüberwachung wurde mit der Auflage der Begrenzung auf den hauseigenen Abstellplatz und eine Aufzeichnungsdauer von 72 Stunden genehmigt.
Bewertung
Die DSK unterscheidet in beiden Entscheidungen zwischen hoheitlichen Aufgaben - in denen Videoüberwachung nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung zulässig ist - und privatwirtschaftlichem Bereich, wo für eine Videoüberwachung bei Vorliegen eines überwiegendes Interesse ausreichend sein soll. Dabei orientiert sich die DSK an der Bestimmung des § 1 Abs 2 DSG 2000, welche die Eingriffe einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen vorsieht. Im hoheitlichen Bereich kommt eine Videoüberwachung, außer bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung, nicht in Frage.
Auch eine gesetzliche Regelung wäre kein Allheilmittel, diese dürfen nur für bestimmte wichtige Zwecke - für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten - erlassen werden und müssen sich am Grundsatz des "gelindesten Eingriffs" orientieren.
Erscheint es dem neutralen Betrachter zunächst unsinnig, wenn die Verletzungsgefahr von Schülern im Schulgebäude keine Videoüberwachung rechtfertigt, der Diebstahl von Fahrrädern aber schon, macht diese Trennung von "hoheitlichen" und "privatwirtschaftlichen" Aufgaben bei genauer Betrachtung durchaus Sinn. Das Verbot der Videoüberwachung in der Schule ist kein Freibrief zur Gefährdung der Schüler, sondern der Auftrag an die Schulleitung, endlich ihren gesetzlichen Verpflichtungen einer funktionierenden persönlichen Aufsicht und pädagogischen Betreuung der Schüler nachzukommen.
Die Datenschutzkommission hat hier - erfreulicherweise - dem billigen Populismus einer überwachungstechnischen Scheinlösung eine Abfuhr erteilt und die Grundrechte auf pädagogische Betreuung und Privatsphäre höher bewertet.
Gefährdet die "neue" Videoüberwachung des DSG-Entwurfs die Grundrechte?
Wie die ARGE DATEN berichtete, sind im Entwurf zur Novelle des Datenschutzgesetzes 2008 erstmals ausdrückliche gesetzliche Regelungen zur Videoüberwachung vorgesehen. Nun stellt sich die Frage, ob ein Inkrafttreten dieser Regelungen zu einer anderen Lösung der besprochenen Anlassfälle geführt hätte. Die optimistische Antwort lautet: NEIN.
Der neue Paragraph §50a DSG erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen die Videoüberwachung. Schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen von Bürgern werden nicht verletzt, wenn das überwachte Objekt das Ziel oder der Ort eines gefährlichen Angriffes sein könnte. Dies würde grundsätzlich auch auf die beiden Schulfälle zutreffen.
Allerdings sieht der vorgeschlagene Abs. 3 von §50a vor, dass für Auftraggeber des öffentlichen Bereichs bei Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben diese Bestimmungen nicht anwendbar sind. Von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung abgesehen, wäre in Ausübung der "hoheitlichen Verwaltung" auch nach Inkrafttreten der vorgesehenen Bestimmungen Videoüberwachung nur zulässig, wenn sie im lebenswichtigen Interesse einer Person erfolgt (das wären Videoüberwachungen in einer Intensivstation eines Krankenhauses).
Videoüberwachung wäre weiters zulässig, wenn Daten eines öffentlich wahrgenommes Verhalten aufgezeichnet werden oder wenn sämtliche Betroffene der Überwachung ausdrücklich zugestimmt haben.
Damit besteht die Gefahr einer Aushöhlung des bisherigen Verarbeitungsverbots. Videogeile Schulverwalter könnten damit argumentieren, dass jedes Verhalten in einem öffentlichen Gebäude auf öffentliche Wahrnehmung gerichtet ist und daher ohne weitere Voraussetzungen und Begründungen Videoüberwachung erlaubt ist.
Damit könnte jeder Überwachungswunsch von Behörden in Richtung einer zulässigen
Videoüberwachung gedreht werden. Die Ermächtigungen zur Videoüberwachungen nach §50a im DSG-Entwurf wurden daher durch in der Stellungnahme der ARGE DATEN als zu unbestimmt, zu weitreichend kritisiert und abgelehnt.
Positive Entscheidung der Datenschutzkommission
In Summe sind beide Entscheidungen der DSK positiv zu sehen. Ob die Fahrradüberwachung tatsächlich unbedingt notwendig ist, sei dahin gestellt. Wichtig ist, dass den Versuchen aus Schulen Zuchtanstalten und Hochsicherheitsanlagen zu machen, eine klare Abfuhr erteilt wurde. Die DSK hat zumindest für den Bereich hoheitlichen Handelns klare Grenzen der Zulässigkeit der Videoüberwachung gesetzt. Ein Wermutstropfen bildet die Frage, ob die genannte Entscheidung auch angesichts der geplanten, neuen Rechtslage Bestand haben werden.
|