2007/11/09 "Big Brother" zwischen Heuschober und Kuhstall?
Populistische Prangermethoden sollen Versagen der politischen Kontrolle kaschieren - Die verpflichtende Veröffentlichung von personenbezogenen Daten aus der EU-Agrarförderung stellt einen weiteren Schritt zur Aushöhlung von Grundrechten dar - Politik entzieht sich mehr und mehr der Verantwortung - Blockwartmentalität und Neidreflexe werden geschürt - Veröffentlichung von Einkommensdaten bisher in Österreich unzulässig
Der zuletzt unter österreichischer Mitwirkung ergangene Beschluss der EU- Agrarminister zur verpflichtenden, personenbezogenen Veröffentlichung der Empfänger von EU-Agrarsubventionen verdient aus datenschutzrechtlicher Sicht jedenfalls besondere Beachtung. Die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen ist aus Sicht eines verfassungsbasierenden Rechtssystems mit funktionierender Gewaltenteilung überaus fragwürdig, die Minister haben sich durch ihre Entscheidung jedenfalls für einen Schritt in eine gefährliche Richtung entschlossen.
Der Beschluss
Nach Angaben des österreichischen Landwirtschaftsministeriums haben sich beim letzten Ministertreffen Frankreich gemeinsam mit Deutschland, Österreich und Luxemburg dafür ausgesprochen, dass die Veröffentlichung der Daten von Förderempfängern aus dem EU-Agrartopf ab 2009 europaweit einheitlich durch die EU-Kommission erfolgen soll.
Grundsätzlich ist vorgesehen, dass die Subventionsempfänger und die Höhe der jeweiligen Förderungen ab 2009 durch die Kommission im Internet publiziert werden. Die Details muss die EU-Kommission noch in einer Durchführungsverordnung klären.
Die Reaktionen heimischer Politprominenz auf diesen weitreichenden Grundsatzbeschluss fielen zurückhaltend aus. Bauernvertreter warnten vor einer "Neiddiskussion", die heimische Land- und Forstwirtschaft habe nichts zu verbergen, Leistungen seien messbar und leicht mit Zahlen zu belegen.
Kein Verständnis für die anfangs ablehnende Haltung der Bauern zu einer Offenlegung der EU-Agrarförderungen zeigte man reflexartig in der SPÖ: "Dahinter steckt die Angst und das schlechte Gewissen, dass die kleinen und mittelgroßen landwirtschaftlichen Betriebe dann Schwarz auf Weiß haben, wie wenig sie im Vergleich zu den agrarischen Großbetrieben und Großkonzernen an Fördermitteln erhalten", so die SPÖ-Zentrale und machte dabei, unter Verweis auf die nötige "Transparenz" deutlich , dass eine Offenlegung der Agrarförderungen auf EU-Ebene schon längst überfällig sei.
Hintergrund und Problematik
Die Problematik des getroffenen Beschlusses lässt sich anhand dieser wenig sachlichen innenpolitischen Wortmeldungen und dem Ruf nach "Transparenz" recht gut nachvollziehen. Hintergrund, warum es überhaupt zu einem derartigen Beschluss gekommen ist, ist die nunmehr schon seit Jahren anhaltende Grundsatzkritik an der EU-Subventionspolitik, die es Agrargroßunternehmen und "Großgrundbesitzern" erlaubt, erhebliche Förderungen zu lukrieren. In Großbritannien, wo die Veröffentlichung der Daten von Förderempfängern schon Realität ist, wurde dadurch etwa bekannt, dass die englische Königin eine der größten Profiteurinnen der EU-Agrarförderungen ist.
Datenschutzrechtliche Kritik
An einer derartigen Förderungsausrichtung lässt sich aus politischer Sicht sicherlich legitime Kritik üben. Daraus den Schluss zu ziehen, es sei - warum auch immer - sinnvoll und notwendig, entsprechende Empfängerdaten personenbezogen für die Allgemeinheit zugänglich zu machen, lässt sich allerdings in keiner Weise rechtfertigen.
Im Sinne der "Transparenz" von Förderstrukturen hat sicherlich jeder EU-Bürger ein legitimes Interesse und einen Anspruch darauf zu wissen, nach welchen Kriterien eine Förderung erfolgt. Dagegen ist nichts einzuwenden, und kann datenschutzkonform gelöst werden, indem über die Voraussetzung der Förderung, die verwendeten Mittel bzw. etwa die durchschnittliche Förderung nach Ausmaß des Grundbesitzes Auskunft gegeben wird.
Davon ist aber das geplante, prangerhafte Veröffentlichen von namentlich genannten Personen mit Fördereinkommen via Internet jedenfalls strikt abzugrenzen. Es besteht grundsätzlich in allen Bereichen - egal ob Agrarförderung, Wirtschaftsförderung oder Arbeitslosengeld - ein Bedarf nach transparenten Strukturen. Jeder Bürger hat ein Anrecht darauf, sich informieren zu können, wie seine Mittel eingesetzt werden. Ein Anspruch darauf, zu wissen, wie viel der Nachbar konkret an Agrarförderung, Familienbeihilfe, Arbeitslose oder Kinderbetreuungsgeld erhält, lässt sich daraus aber keinesfalls ableiten.
Blockwartmentalität und Flucht vor Verantwortung
Tatsächlich dürfte die bedenkliche Transparenz-"Initiative" der Politiker bloß eine Flucht aus der eigenen Verantwortung zu sein. Statt effiziente Kontrollstrukturen zu schaffen, die Subventionsmissbrauch aufdecken und verhindern, wird Kontrolle quasi "privatisiert" und auf den Bürger zurückgeworfen. Nicht mehr der Politiker, der - nimmt er Kontrolle ernst - auch mal einem seiner Förderer und Pfründebewahrer auf die Finger klopfen müsste, überwacht die korrekte Verwendung von Steuermitteln, sondern der böse nachbar ist "am angezettelten Verfahren schuld".
Mit Hilfe des Neidreflexes der Nachbarn soll Subventionsmissbrauch aufgedeckt werden, eine gefährliche Blockwartmentalität, die zuletzt im deutschen NS-Regime systematisch gefördert wurde.
Ist eine derartige Veröffentlichung überhaupt zulässig?
Grundsätzlich handelt es sich bei der personenbezogen Veröffentlichung über erhaltene Agrarförderungen jedenfalls um eine - teilweise - Veröffentlichung von Einkommensdaten, somit eine Problematik, mit welcher sowohl der Europäische Gerichtshof als auch der österreichische Verfassungsgerichtshof bereits befasst waren.
In der Entscheidung Rs. C-465/00, Rs. C-138/01, Rs. C-139/01 des EUGH wurde die Zulässigkeit einer Regelung im österreichischen Bezügebegrenzungsgesetz, welche die Veröffentlichung der Einkommensdaten von Mitarbeitern des Österreichischen Rundfunks vorsah, auf europarechtlicher Ebene geprüft. Damaliger Tenor: Derartige Bestimmungen sind jedenfalls nur dann zulässig, wenn sie sowohl der EU-Datenschutzrichtlinie als auch dem Recht auf Privatsphäre nach Art. 8 der EMRK genügen. Im Einzelfall muss demnach geprüft werden, ob es sich bei der Veröffentlichung von Einkommensdaten um den gelindest - möglichen Eingriff zur Erreichung des jeweiligen Gesetzeszweckes handelt.
Ergebnis des Verfahrens auf europäischer Ebene war jedenfalls, dass der VfGH die Veröffentlichung für unzulässig erklärte und die betreffende Bestimmung nicht mehr angwandt wird.
Anwendung auf den konkreten Fall
Vom Prinzip her ist nicht einsichtig, warum die gesetzliche Verpflichtung zur personenbezogenen Veröffentlichung erhaltener Förderungen anders zu betrachten ist als die Veröffentlichung der Einkommen von ORF-Mitarbeitern. Auch entsprechende, gesetzliche Regelungen werden sich also eine Überprüfung hinsichtlich ihrer Angemessenheit im Verhältnis zum Zweck gefallen lassen müssen. Der Zweck der Veröffentlichung ist hier- ebenso wie im Fall ORF-Einkommensdaten - die effiziente Mittelverwendung.
Gerade das ist aber - schon nach damaliger Judikatur - eben kein ausreichender Grund, um eine Veröffentlichung personenbezogener Einkommensdaten zu rechtfertigen. Das ist auch nachvollziehbar, da es natürlich genügend andere unbedenklichere und zweckmäßigere Methoden gibt, um eine transparente und gerechte Förderung durchzusetzen, als einzelne Empfänger an den Pranger zu stellen.
Resumee
Die geplante Veröffentlichung von EU-Agrarförderdaten erweist sich somit als rechtlich überaus problematisch und ist eher als fragwürdige populistische Aktion zu verstehen. Die Ausgestaltung von Fördermaßnahmen ist letztendlich eine politische Entscheidung, warum es nötig sein soll, dass jeder Bürger konkret von jedem anderen wissen kann, wie viel dieser an Förderung bezieht, ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Jenen SPÖ-Politikern, die sich offenkundig darüber freuen, dass die "Big-Brother"- Keule diesmal eine Bevölkerungsgruppe erwischt hat, die mehrheitlich zum politischen Gegner tendiert, sei ins Stammbuch geschrieben, dass morgen schon die eigene Klientel betroffen sein kann. Logische Folge derartiger Regelungen wird jedenfalls sein, dass bald danach gefragt werden wird, warum es sich zwar ein Landwirt, der entsprechende Arbeitsleistungen erbringt, gefallen lassen muss, den Empfang von Förderungen persönlich - durch erfolgte Namensnennung - zu rechtfertigen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger aber nicht.
Es gehört jedenfalls wenig politische Phantasie dazu, sich auszumalen, dass bald der Ruf danach ertönen wird, sämtliche öffentliche Förderungen und Sozialleistungen personenbezogen zu veröffentlichen. Somit dienen derartige Regelungen - anders als behauptet - sicherlich nicht der "Transparenz" sondern der Anprangerung von Beziehern öffentlicher Leistungen und können wiederum auch dazu missbraucht werden, unter Hinweis auf einzelne Förderbezieher einem generellen Rückzug des Staates aus der öffentlichen Förderung Vorschub zu leisten.
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