2004/05/17 Kann die SV-Karte noch gerettet werden?
Auch SV-Experten betonen die Überflüssigkeit der derzeitig angestrebten e-card-Lösung - Kritik an teurem SV-Kartenprojekt steht in keinem Zusammenhang mit der Diskussion um eine sinnvolle Notfalls-Daten-Lösung
Kein Zusammenhang zwischen Notfallsdaten und Organisation der Sozialversicherungen
Befürworter der Sozialversicherungs-Chipkartenlösung versuchen immer wieder die Bedürfnisse nach Datenschutz und Privatsphäre gegen den Aufbau eines Notfall-Datensystems auszuspielen. Durch eine unzulässige Vermischung von Gesundheitsversorgung und deren verwaltungstechnischer Organisation werden Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung gegen Datenschutzinteressen ausgespielt.
Zum Thema 'Notfallskarte' hat daher die ARGE DATEN immer eine klare Position bezogen. In keiner einzigen Stellungnahme haben wir uns gegen eine Notfallskarte an sich ausgesprochen, sehr wohl jedoch zwei zentrale Aspekte zu bedenken gegeben.
(1) Die bedenkliche Vermischung gesundheitlicher Aufgaben und rein verwaltungstechnischer Daten, die für den Betrieb der Sozialversicherung notwendig sind. Diese Vermischung erlaubt eine Vielzahl von Missbrauchsmöglichkeiten. Man braucht sich bloß ein Bewerbungsgespräch vorstellen, bei dem der Bewerber seine SV-Karte aus versicherungsrechtlichen Dingen vorlegen muss und gleichzeitig gebeten wird, 'freiwillig' Zugang zu den Notfallsdaten auf seiner SV-Karte zu erlauben. Eine Weigerung ist in der derzeitig angespannten Arbeitsmarktsituation praktisch denkunmöglich. Selbst ein Verbot diese Daten zu verlangen würde nichts nützen. Der Stellenbewerber hätte in der Regel erhebliche Beweisprobleme, dass der Zugriff überhaupt verlangt wurde und eine allfällige Verwaltungsstrafe würde ihm trotzdem nicht den angestrebten Job bringen.
(2) Die komplizierte Chiplösung selbst. Aus unserer Sicht sollten die wichtigsten Notfallsdaten, die bei jedem Menschen sehr unterschiedlich sein können, jederzeit, weltweit an jedem Ort, unabhängig von der technischen Ausrüstung von einer ausgebildeten Fachkraft (Arzt) gelesen werden können. Dazu verwendet die Medizien längst ein ausgereiftes System an Diagnosecodes, Krankheitsbezeichnungen und Abkürzungen, die international gut verstanden werden.
Den meisten Menschen ist nicht bewusst wie viele technische Chip-'Standards' es gibt, wie leicht Chipkarten defekt werden können und wie fehleranfällig die Lesesysteme sind, die gerade im Notfall oft nicht greifbar sind. Jeder ist gut beraten für Notfälle ein kleines Dokument bei sich zu haben, das die wichtigsten Gesundheitsinformationen schriftlich enthält. Man sollte niemals seine Gesundheitsdaten einem störanfälligen EDV-System anvertrauen, das weder der griechische Arzt, noch der italienische oder isländische Arzt, von außereuropäischen Ländern ganz zu schweigen, verwenden kann, noch je verwenden wird.
Aus unserer Sicht ist es auch ein wesentlicher Beitrag zum Schutz dre Privatsphäre, wenn Menschen nicht gezwungen werden, an technischen Lösungen teilzunehmen, die nicht praxistauglich sind. Schon 1987 hat der deutsche Verfassungsgerichtshof die Bedeutung der 'informationellen Selbstbestimmung' hervorgehoben. Im Rahmen dieser muss es möglich sein, auch zu bestimmen in welcher Form höchstpersönliche Gesundheitsdaten verwaltet werden.
Es ist aus unserer Sicht von Politikern verantwortungslos und grob fahrlässig, wenn in offensichtlicher Unkenntnis des ärztlichen Geschehens und der technischen Machbarkeit, auf Drängen einer maroden IT-Wirtschaft, enorme Finanzmittel in ein schlechtes und fehleranfälliges Chipkarten-Notfallssystem investiert werden. Hier wird die breite Bevölkerung auf Kosten einiger weniger EDV-Firmen in die Irre geführt.
Derzeit geplante e-card überflüssig
Wir beobachten und analysieren das Projekt seit nunmehr 15 Jahren und ich kenne auch die meisten Vorgaben und Projektpläne. In diesen Jahren hat sich die IT- und Telekommunikationstechnik derartig massiv geändert, dass die Chipkarte mittlerweile völlig überholt und überflüssig ist.
Nach dem letzten Stand soll nicht einmal mehr Name, Anschrift, SV-Nummer und Krankenkassenzugehörigkeit gespeichert werden, sondern nur mehr eine 'digitale Signatur'. Geplant ist die Online-Versicherungsprüfung beim Arztbesuch, was mit dem bloßen Eintippen der SV-Nummer genauso gut erreicht werden könnte. Damit diese Chipkarte überhaupt EU-konform ist, müssen die von der EU verlangten SV-Daten im Klartext auf die Rückseite der Karte aufgedruckt werden! Die EU ist an den im Chip gespeicherten Daten überhaupt nicht interessiert!
Das Festhalten am Chipkartenprojekt ist angesichts der leeren Versicherungskassen geradezu obszön. Wesentlich intelligenter wäre es, dieses Geld in die Schaffung einer zerstörungsresistenten Notfallskarte, in der die wichtigsten medizinischen Daten im Klartext aufgedruckt sind, die daher wirklich für Notfälle tauglich wäre, zu investieren. Eine derartige Karte wäre aber nicht maschinell lesbar und ungeeignet für Überwachungs- und Kontrollzwecke.
Im Rahmen der ProAustria, einem Forum zur Förderung elektronischer Geschäftsprozesse kommen Experten zu demselben Schluß.
Der Autor, Jürgen Gambal, ein langjähriger Kenner des Versicherungswesens fasst zusammen: 'Ein Krankenschein dokumentiert, dass ein aufrechtes Versicherungsverhältnis besteht und die Finanzierung einer, durch einen Gesundheitsdienstleister (Vertragspartner) erbrachten Leistung, gesichert ist.
Für diese Aufgabe reicht es, die Identität eines Leistungsempfängers festzustellen und eine Online-Prüfung über den Status der Versicherung durchzuführen.
Dazu werden weder komplexe Softwareapplikationen noch Karteien benötigt, die auf den Rechnern der Gesundheitsdienstleister (niedergelassene Ärzte, Krankenanstalten, u.a.) abgespeichert sind und laufend betreut werden müssen. Ebensowenig werden spezielle Terminals benötigt.'
Er schlägt als eine Option die ersatzlose Einstellung des Projekts vor 'Es ist weder Aufgabe der SV, noch ist sie in der Lage (siehe 10 Jahre Projektvergangenheit) Signatur-/Bürgerkarten auszugeben. Das Projekt [e-card, Anm.] wird eingestellt.'
Jedenfalls sollte eine Überprüfung stattfinden, derzeit, so der Autor herrsche, zumindest für die Öffentlichkeit, bloß 'folgende Strategie für die Weiterführung des Projekts: Sicherung der getätigten Investitionen!, Verwenden, was verwendbar ist! [und] Retten, was zu retten ist!'.
mehr --> e-card - Teures Prestigeprojekt vor dem endgültigen Aus? andere --> http://www.austriapro.at/arbeitskreise/gesundheitswesen/EcardReengPublic_final(g... andere --> http://www.austriapro.at/arbeitskreise/gesundheitswesen/ak_gesundheitswesen.htm
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