2003/09/11 Elektronisches Klassenbuch und Schülerchipkarte
Eine Generation wird an Überwachung gewöhnt - Sicherheitstechnik und Misstrauen ersetzen lebendige pädagogische Auseinandersetzung - Technik soll mit aller Schärfe durchgesetzt werden
Eine Generation wird an Überwachung gewöhnt
Mit Schulbeginn werden in Wiener und Kärntner Schulen neue Überwachungstechnologien eingeführt. In Kärnten soll ein elektronisches Klassenbuch minutengenaue Aufzeichnungen über Kommen und Gehen der Schüler garantieren, inklusive 'diskreter Nachschaumöglichkeit für Eltern', wie die Werbeseite des Systems verspricht.
In Wien/Spengergasse wird mit einer allgegenwärtigen Chipkarte der Schulalltag der Totalkontrolle unterzogen. Zutritt zu Labors- und Schuleinrichtungen, das Entlehnen von Büchern und Essensausgabe werden elektronisch erfasst und überwacht. Siehe Dokumentation http://ftp.freenet.at/bil/DokumentationSchulcard.pdf
Begründet wird das System nicht mit pädagogischen Argumenten, sondern mit Sicherheits- und Überwachungsargumenten, die schon ins Zwangsneurotische abgleiten. Weil angeblich Computerbestandteile gestohlen wurden, müsse der Zugang zu bestimmten Räumen elektronisch kontrolliert werden.
Hans G. Zeger: 'Tatsächlich gibt es wesentlich menschenwürdigere Sicherungsmaßnahmen. Der Schulverwaltung wird empfohlen, Anschauungsunterricht an Wiener Universitäten zu nehmen, die sogar öffentlich zugängliche EDV-Anlagen anbieten und auf Chipkartenregistrierung verzichten können.'
Elektronische Datenerfassung Teil eines umfassenden Überwachungsprojekts
Systematisch nähert sich Frau Bundesminister Gehrer ihrem angestrebten Ziel der Totalkontrolle von Schülern, aber auch Lehrern und - in letzter Konsequenz - Eltern. Die gesammelten Daten werden - früher oder später - Bestandteil der Bildungsevidenz und stehen für lebenslange Auswertungen zur Verfügung. Auch an den Umgang mit dem elektronischen Personalausweis, irrefühenderweise 'Bürgerkarte' genannt, wird die neue Generation frühzeitig gewöhnt.
Hans G. Zeger: 'Auch Eltern werden bald den zusätzlichen Kontrolldruck spüren. Die Schulbehörde wird von ihnen ganz selbstverständlich erwarten, die Protokollaufzeichnungen über ihre Kinder, die 'diskret' mittels e-mail zugestellt werden oder über Websites abrufbar sind, genau zu studieren und einzugreifen.'
Gefahren heute gegeben
Auch wenn Projektkonzeption, Umfang der gesammelten Daten und die parallelen Initiativen zu mehr Überwachung (zentrale Dokumentendatei, zentrales Melderegister, zentrales Personenkennzeichen und zentrale Bildungsevidenz) klar die Absicht erkennen lassen, mehr und mehr Daten der Bürger zu standardisieren und damit in Zukunft automatisch auswertbar zu machen, liegen die besonderen Gefahren der Schulüberwachung im heutigen Bildungsalltag.
Technologien, die bisher Sicherheitseinrichtungen und besonders gefährlichen Umgebungen vorbehalten waren, prägen nunmehr den pädagogischen Alltag. Mussten früher Gefängnisse, Bio-Labors und Atomkraftwerke besonders geschützt werden und der Zugang streng reglementiert werden, geschieht das nunmehr im Alltag.
An Stelle einer lebhaften Diskussion über englische Lebensweise, den Aufbau spannender chemischer Experimente und die Planung einer Projektwoche steht die Diskussion, wer wann welche Zutrittskontrollen passiert hat, ob die elektronische Schul-Uhrzeit tatsächlich ident mit der öffentlichen Uhrzeit ist, wie die Anwesenheitszeiten bei einer Projekteinheit außerhalb des Schulgebäudes eingebucht werden und warum das Entlehnsystem in der Bibliothek schon wieder defekt ist.
Hans G. Zeger: 'Es wäre eine Illusion zu glauben, dass in der geegnwärtigen Schule alles idyllisch zugeht, es nur aufmerksame Schüler und nur vollmotivierte und umfassend gebildete Lehrer gibt und die Eltern voll auf den Schulalltag konzentriert sind. Tatsächlich ist die Schule ein erster Ort, in dem Jugendliche lernen können Konflikte auszutragen, erkennen können wo Grenzen bestehen und auch Erwachsene erleben, die nicht immer nur beste Absichten haben. Was jedoch in diesem Lernlabor im Detail geschieht bleibt persönliche Angelegenheit der beteiligten Personen. Aus 'aufmüpfigen' Kindern, können gereifte und umfassend gebildete Persönlichkeiten werden. Missgelaunte Lehrer machen ihren schlechten Tag in der nächsten Woche durch zusätzliches Engagement mehr als wett.'
Diesen Schulalltag durch technische Datenaufzeichnung zu konservieren, zu reglementieren und zu verwalten, führt zu einer Reduktion im persönlichen Verhalten, zu Anpassung und zum vermeiden von Konfliktszenarien. Wichtige Lebenserfahrungen gehen verloren, weil niemand wissen kann, welche Daten zu welchen Zwecken irgendwann einmal ausgewertet und verwertet werden.
Ausschluß vom Unterricht rechtswidrig
Die Wiener Chipkarten-Schule Spengergasse geht noch ein Stück weiter. Um zu demonstrieren wie allgegenwärtig die Macht der Kontrolle ist, müssen alle Schüler ihren Ausweis sichtbar tragen. Schüler, die den Ausweis nicht offen tragen, werden nach Hause geschickt, also vom Unterricht ausgeschlossen.
Hans G. Zeger: 'Das Recht auf Ausbildung ist höher zu bewerten als bürokratische Schikanen. Ein Ausschluss vom Unterricht ist daher rechtswidrig.'
Schüler sollten sich schlicht weigern, die Karten offen zu tragen, allfällige Verwaltungsmaßnahmen sollten beeinsprucht werden. Im Zuge eines derartigen Verwaltungsverfahrens, das am Ende beim Verfassungsgerichtshof oder beim EUGH endet, könnte die Rechtmäßigkeit der permanenten Schulkontrolle geklärt werden.
Hans G. Zeger: 'In Hinblick auf die europäische Menschenrechtskonvention, der EG-Richtlinie Datenschutz, der Europaratsrichtlinie Datenschutz und einzelner Gerichtsentscheidungen scheint es völlig unwahrscheinlich, dass derartig massiv in den Schulalltag eingreifende Überwachungsmaßnahmen halten.'
Die ARGE DATEN kann hier, wie bei einer Fülle anderer Datenschutzverfahren, Rechtshilfe (inkl. Übernahme der Verfahrenskosten) leisten.
Permanente Datenkontrolle stört Bildungsziele
'Bildung geht uns alle an', lautete ein Slogan des Unterrichtsministeriums. In diesem Sinn sollten alle, Schüler, Eltern und Lehrer gegen das Ausufern der Überwachung auftreten. Der Zwang ständig Listen zu führen, Auswertungen zu machen, Daten zu kontrollieren, zu korrigieren und sich für bestimmte Aufzeichnungen rechtfertigen zu müssen, führt zu einer permanenten Einengung pädagogischer Vielfalt und läßt früher oder später keinerlei Raum für Entwicklung und Lernen.
mehr --> http://ftp.freenet.at/bil/DokumentationSchulcard.pdf
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