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2002/04/22 Wird e-card zum HIV-Ausweis?
Gesundheitsausweis durch die Hintertür - Vorgestelltes Notfalldatenkonzept ist nicht praxistauglich - Zugriff durch Dritte wird nicht zu verhindern sein - Freiwilligkeit der Speicherung der Notfalldaten hat keine Zukunft

Bedenklicher Verordnungsentwurf des Gesundheitsministers

Der nun bekannt gewordene Verordnungsentwurf zur Speicherung medizinischer Daten auf der Sozialversicherungskarte (e-card) ist aus gesundheitlicher Sicht und aus der Sicht des Schutzes der Privatsphäre äußerst bedenklich.

Neben einer Fülle von Gesundheitsangaben, zu Epilepsie, Hämophilie, Hepatitis, Allergien, Asthma, Diabetes, Herzerkrankungen, Prothesen, Schrittmacher, Transplantate und Medikamenten soll auch die Tatsache, daß jemand HIV-positiv ist, vermerkt werden.

Hans G. Zeger, ARGE DATEN: 'Besonders bedenklich ist die Hop-oder-Drop-Mentalität des Gesundheitsministeriums. Der Patient soll entmündigt werden und darf nicht mehr selbst entscheiden, welche Gesundheitsinformationen er ständig bei sich trägt.'

Argumentiert wird mit der Vollständigkeit. Dieses Argument ist jedoch völlig unzutreffend. Ein hilfeleistender Arzt wird sich nie darauf verlassen können, daß die Notfallsdaten auf dem letzten Stand sind. Die Daten können höchstens eine Orientierungshilfe darstellen. Hier kann es ausreichen und aus Aktualitätsgründen sogar besser sein, bloß die Risikogruppen und -faktoren anzugeben und nicht Details der Diagnosen und Therapien, die sich laufend ändern können.

Hans G. Zeger: 'Die Information 'HIV-positiv' wird in vielen Fällen überhaupt keine Notfallsrelevanz haben. Auch für das behandelnde Personal wird diese Information irrelevant sein. Ärzte müssen sowieso bei jeder Behandlung davon ausgehen, daß sie es mit einem HIV-positiven Patienten zu tun haben und sich entsprechend schützen. Auch die Existenz der Notfallskarte und des verpflichtenden 'vollständigen' Eintrags stellt nicht sicher, daß HIV erst nach dem Eintrag bekannt wurde.'


e-card für den Notfall ungeeignet

Das Einsatzmodell der Notfallsdaten ist bei genauerer Analyse völlig praxisuntauglich und führt sogar zu einer Verschlechterung gegenüber der bisherigen Situation.

Derzeit haben Risikopatitienten, etwa Allergiker oder Diabetiker einen Ausweis mit den wichtigsten Informationen. Diesen Ausweis konnte weltweit fachkundiges Personal ohne technische Hilfsmittel lesen und interpretieren.

Die Notfalls-Chipkarte benötigt spezielle Lesegeräte, die zwar in Rettungswägen und Bergehubschraubern verfügbar sein mögen, nicht jedoch bei den tausenden tatsächlichen kleineren und größeren Notfällen, in den Bergen oder auf der Straße, im Betrieb oder in der Freizeit, bei dem Ärzte, medizinisch geschultes Personal oder Erste-Hilfe-kundige rasch Bestand leisten wollen (und können) und eine rasche Orientierung benötigen.

Hans G. Zeger: 'Vom Auslandsaufenthalt, bei dem eine Vielzahl von Zwischenfällen passieren, man denke nur an ungewohnte Speisen, an das ungewohnte Klima und die zusätzlichen Anstrengungen, denen ein Risikopatient besonders schlecht gewachsen ist, einmal abgesehen. In keinem anderen Land der Welt wird diese Notfallskarte benutzbar sein können.'

Die ARGE DATEN rät daher allen Risikopatienten von der Verwendung dieser Notfalls-Lösung ab. Wesentlich intelligenter ist es, gemeinsam mit seinem Vertrauensarzt, die wichtigsten Risikofaktoren individuell zusammen zu stellen und das - möglichst klein gehaltene - Dokument plastikverschweisst zu Führerschein oder Personalausweis dazu zu legen.


Zugriff durch begehrliche Dritte ist nicht zu verhindern

Die Notfallkarte enthält enorm sensible Gesundheitsinformationen. Dies ist auch den Betreibern im Gesundheitsministerium bewußt. Daher wollen sie den Zugang dazu technisch beschränken. Gleichzeitig muß der Zugang aber möglichst offen sein, damit im Notfall die Daten ohne Zutun des Patienten gelesen werden können.

Dieser Widerspruch ist unauflösbar und wird dazu führen, daß eine im wesentlichen unüberschaubar große Zahl von Personen, Ärzten, Pflegeperonal, Sanitätern, Erste-Hilfe-Personal, sonstiges Hilfspersonal aber auch administratives Personal wie Ordinationshilfen, Zugang zu diesen Daten haben werden.

Da die Notfallskarte gleichzeitig die Sozialversicherungsnummer enthält, wird es aber auch notwendig sein, diese Karte bei Behörden, Arbeitegebern oder Banken (für den Abschluß eines Bausparvertrages) vorzulegen. Diesen Stellen wird es in Zukunft ein leichtes sein, auch die Notfallsdaten zu lesen.

Hans G. Zeger: 'Sei es, daß der Bankangestellte ein ausgebildeter Erste-Hilfe-Sanitäter ist, sei es daß die Ordinationshilfe des Betriebsarztes auch 'Assistentin' des Personalbüros ist. In vielen Fällen wird der Abruf sogar rechtmäßig sein, etwa wenn der Stellenbewerber seine Zustimmung zum 'Lesen der Karte' gegeben hat.'

Daten, auf die derartig leicht zugegriffen werden kann, üben eine zu große Verführungskraft aus. Der Mißbrauch ist schon im System angelegt.


Bundesminister will Sozial- und Gesundheitsausweis für alle schaffen

Hans G. Zeger: 'Wesentlich intelligenter wäre eine Standardisierung der verschiedenen bestehenden Notfallsausweise, die Schaffung eines beschädigungsresistenten Datenträgers (Karte) gewesen. Hier hätte sich das Gesundheitsministerium auch der ungeteilten Anerkennung durch Datenschützer sicher sein können. Offenbar geht es aber dem Gesundheitsminister gar nicht um die Verbesserung der medizinischen Betreuung, sondern um einen besseren Zugriff auf Gesundheitsdaten.'

Bei Analyse aller Fakten und bleibt es bei der völligen Freiwilligkeit, wird das Projekt nach 2-3 Jahren als teure Fehlinvestition wieder in der Versenkung verschwinden.

Es ist jedoch eher zu befürchten, daß man in 2-3 Jahren, genau unter Hinweis auf die bisherigen Kosten und 'Investitionen' Mechanismen schaffen wird, um Menschen mit sanften Druck zur Speicherung ihrer Daten zu nötigen.

Hans G. Zeger: 'Bereiche und Möglichkeiten gibt es gerade im Gesundheits- und Sozialbereich ohne Zahl. Etwa durch Erlass der Ambulanzgebühr für alle Notfallsdaten-Kartenbesitzer, einer geringeren Medikamentengebühr, aber auch Erleichterungen beim Bezug der Arbeitslosen und der Sozialhilfe oder der Durchführung der Gesundenuntersuchung, der Mutter-Kind-Untersuchungen sind vorstellbar. Wir sind 'optimistisch', dass der autoritären Fantasie des Sozialministers keine Grenzen gesetzt sind.'


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