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2007/11/13 Ausufernde Grundrechtseingriffe ohne angemessene Sicherheitsvorteile
Polizei versagt zusehends in Sicherheitsfragen - Vorratsdatenspeicherung, Trojaner, Massen-DNA-Test und zusätzliche Überwachungswünsche sollen vom Versagen ablenken - immer größere Teil der Grundrechte werden regelrecht "aufgefressen" - wird Willkür zum ultimativen sicherheitspolitischen Ordnungskonzept?

Zusehendes Versagen der Polizei in Sicherheitsfragen

Trotz der in den letzten Jahren enorm gestiegenen Befugnisse, Stichworte: Videoüberwachung, Wegweiserecht, erweiterte Rechte im Sicherheitspolizeigesetz, erweiterte Datenermittlungen ohne konkrete Verdachtsmomente ("erweiterte Gefahrenerforschung"), erweiterte Datensammlung im ZMR gelingt es der Polizei nicht angemessen auf neue gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren.

Ein illustratives Beispiel ist das Versagen der Videoüberwachung bei den Banken. Trotz hundertprozentiger Videoüberwachung steigen sowohl die Überfallzahlen, als auch sinkt die Aufklärungsquote. Für Täter "die etwas zu verbergen haben" ist es offensichtlich immer relativ leicht derartige bloß technischen Maßnahmen zu unterlaufen. Während sich die Täter auf einen etwa 60 Sekunden dauernden Überfall einstellen, arbeitet die Wiener Polizei daran in Zukunft in drei(!) Minuten vor Ort zu sein.


Neue Überwachungswünsche

Die neuen Überwachungswünsche und Befugnisse bedienen offensichtlich populistischen Erwartungshaltungen der Bevölkerung. Sie sollen Aktivität und Handlungsfähigkeit suggerieren, sind aber in der Wirksamkeit höchst fragwürdig.

Hans G. Zeger, Mitglied des Datenschutzrates: "Ein mehr an Daten und Technik wird weder Verbrechenszahl, noch Aufklärungsquote positiv beeinflussen. Ohne sich mit den Grundlagen und Hintergründen der Delikte zu beschäftigen, wird es auch keine nachhaltige Verbrechensbekämpfung geben. Diese Ursachen liegen in einem zunehmenden Armutsgefälle, in verkürzten Bildungs- und Arbeitschancen, in steigenden sozialen und ethnischen Spannungen, hervorgerufen durch eine irreale und geradezu autistische Migrationspolitik. Sicherheitspolitik wird zur absurden Sysiphusarbeit, wenn hinter jedem Täter zehn Personen stehen, die mental bereit sind, die gleichen Delikte zu begehen."


Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Medien

Nicht nur beim Fall des finnischen Attentäters, auch beim sogenannten Al-Kaida-Drohvideo, das im Frühjahr 2007 Österreich bewegte, wurde die Tat schon vorab in öffentlichen Internet-Foren angekündigt. Offenbar war es in beiden Fällen der Polizei nicht möglich, auf derartige Ankündigungen zu reagieren.

Statt neuer Befugnisse wäre eine bessere Schulung im Umgang mit den bisherigen Mitteln und ein rascheres Reagieren bei tatsächlichen Delikten sinnvoller.


Tatort Vorratsdatenspeicherung

Abgesehen von den grundsätzlichen Einwänden die die EU-Richtlinie betreffen und die vom Verfassungsgerichtshofpräsidenten abwärts von allen namhaften Grund- und Verfassungsjuristen ausgesprochen wurden, legt der österreichische Gesetzesentwurf noch einige Schäuferln nach.

Während in Deutschland - unter starken Protesten - eine maximale Speicherdauer von sechs Monaten und ein taxativer Tatkatalog, wann diese Telekomdaten verwendet werden dürfen, verabschiedet wurde, geht Österreich den Weg der Übererfüllung der EU-Richtlinie.

So fordert das Innenministerium eine zwölfmonatige Speicherdauer und die Daten sollen auch bei Allerweltsdelikten und bloßen "Vergehen" verwendet werden. Geht es nach den bisherigen Plänen, könnten auch folgende Delikte Grund für die Offenlegung der persönlichen Kommunikation hundertausender Menschen werden: Mitwirkung am Selbstmord (§78 StGB); Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§81 StGB); Raufhandel (§91 StGB); Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses (§123 StGB); Schwere Sachbeschädigung (§126 StGB) sowie schwere Vermögensdelikte, wie Diebstahl, Unterschlagung, Veruntreuung einschließlich schwere Eingriffe in fremdes Jagd- und Fischereirecht bei Schäden über EUR 50.000; betrügerische Krida (§156 StGB); Geldwucher, Begünstigung eines Gläubigers, Brandstiftung, Störung einer Religionsausübung (§189 StGB); Falsche Beweisaussagen vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden (§§ 288 und 289).

Hans G. Zeger: "Auch bei bestem Willen läßt sich die Vorratsspeicherung von Millionen Telefonkontakten zur Verfolgung von Wilderei nicht mit Terrorismusbekämpfung vereinbaren. Hier besteht ein offensichtliches Grundrechtsdefizit bei den verantwortlichen Politkern."

Statt eine Übererfüllung durchzupeitschen sollte Österreich offensiv die Menschrechte seiner Bürger verteidigen und raschest ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anstrengen. Ein Vertragsverletzungsverfahren von Seiten der EU ist derzeit kaum zu erwarten, da offenbar die EU-Kommission keine große Lust spürt sich mit diesem rechtlichen Schmuddelkind zu beschäftigen.


Tatort Online-Trojaner

Der Ruf nach der Online-Überwachung soll offenbar von der ernüchternden Tatsache ablenken, dass viele Internet- und Online-Prozesse auf Grund der internationalen Organisation und unterschiedlicher nationaler Gesetze längst den Sicherheitsbehörden entglitten sind.

Klassisches Beispiel sind dazu die erfolgreichen Phishing-Attacken, bei denen Polizeibehörden meist bloß Zuschauer waren und selbst identifizierte Mittäter, die sogenannten Finanzmanger ungeschoren wieder laufen lassen mussten. Mittlerweile konnten die österreichischen Banken durch neue Sicherheitsverfahren die Angriffe auf die Konten ihrer Kunden stark reduzieren. Österreich bleibt aber Drehscheibe für den Geldtransfer bei Phishingattacken in anderen Ländern (so kennt etwa Großbritannien kein TAN-System).

Mit der geplanten Online-Untersuchung soll ein neues nicht-praktikables System geschaffen werden, bei dem es zwar gelingt den gutgläubigen Bürger auszuspionieren, aber der, "der was zu verbergen hat" kann sich leicht davor schützen.

Eine zusätzliche Problematik gewinnt der Online-Angriff, dass die Sicherheitskräfte auf Grund der Vernetzung nicht sicher sein können, welche Systeme sie tatsächlich angreifen, wo diese lokalisiert sind und von wem sie betrieben werden. Dabei könnten sogar rasch Hoheitsrechte anderer Staaten verletzt werden. Die österreicheische Polizei könnte damit erstmals in den weltweiten Cyberwar einsteigen, in dem die Grenzen rechtsstaatlichen Handelns völlig verloren gehen.


Tatort Massen-DNA-Test

Praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde 2004 die Strafprozess-Ordnung so geändert, dass ab 2008 Massen-DNA-Test möglich sind. Damit wird ein Grundsatz des österreichischen Rechtssystems ausgehöhlt: Niemand darf verdächtigt werden und staatlichen Eingriffen unterzogen werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte gegen ihn persönlich bestehen.

Künftig reicht es, wenn allgemeine Merkmale auf eine Person zutreffen, damit sie zwangsweise einer "körperlichen Untersuchung", einem DNA-Test unterzogen weden kann. Eine Merkmalskombination, wie "männlich, ca. 1.80 groß, Inhaber eines Mobiltelefons, Wohnort Floridsdorf" kann dann schon eine Rechtfertigung für tausende DNA-Tests bieten.

Ein ganz besonderes Problem stellt die Gesetzesbestimmung durch ihre unklare und unbestimmte Formulierung dar. Es passt daher ins Bild, dass das Innenministerium äußerst glücklich über die gewählten Formulierungen ist, lässt sie doch der freien - willkürlichen - Interpretation breiten Raum.

Trotz der scheinbar hohen Strafdrohung, ab der erst diese Massentests erlaubt sind ("mehr als mit fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftat"), fallen nicht nur Delikte gegen Leib und Leben darunter, die in Österreich noch immer relativ selten sind, sondern jede Menge von Vermögensdelikten, wie Diebstahl, Veruntreuung, Betrug oder betrügerische Krida (sofern der vermutete Beutewert mehr als 50.000 Euro beträgt).

Auch aus polizeitaktischer Sicht ist der Weg problematisch. Statt in mühsamer Ermittlungsarbeit möglichst präzise einen Täter zu identifizieren, besteht in Zukunft bei spektakulären Straftaten rasch die Versuchung dem populistischen Druck von der Straße nachzugeben und eine breite und öffentlichkeitswirksame Massenuntersuchung durchzuführen. Findet man den Täter, bestätigt es die Maßnahme, findet man ihn nicht, dann habe man "eh alles getan" und könne den Fall abschließen und beruhigt zur Tagesordnung übergehen.


Was steht noch auf der polizeilichen Wunschliste?

- neue präventive Dateien für Personen, die andere Personen mit sexuellen Absichten ansprechen
- neue Zugriffsmöglichkeiten auf Telekom-Daten ohne konkreten Tatverdacht und ohne richterlichen Befehl
- flächendeckende Aufzeichnung des KFZ-Verkehrs
- allgemein zugängliche Sexualstraftäterdatei
- besondere Täterdatei für Sportveranstaltungen (Hooligan-Datei)
- vorbeugende Vorladung/Anhaltung für Sportfans um ihnen den Besuch von Veranstaltungen zu verwehren
- Ausweitung der Video-Überwachungsbefugnisse
- Aufbau einer europaweiten Täterdatei, trotz unterschiedlichster Strafrechtssysteme
- verstärkter Datenaustausch zwischen Polizeieinrichtungen der EU-Länder
- Offenlegung von Strafregisterdaten von Ausländern


Grundrechte werden Willkür und Populismus geopfert

Gemeinsam ist diesen "Tatorten", dass ein absoluter Sicherheitsbedarf und -gewinn postuliert wird und dem allen anderen Rechte untergeordnet werden. Damit geht aber die notwendige Balance zwischen staatlichen Eingriffen und bürgerlichen Freiheiten völlig verloren.

Tatsächlich sind jedoch diese technischen Generalmaßnahmen bloß geeignet gewöhnliches, bürgerliches Verhalten zu kontrollieren und überwachen, nicht jedoch organisierte Kriminalität, die weiß dass und wie sie etwas zu verbergen hat.

Tatsächlich sollen zu ursprünglich kriminalistischen Zwecken eingeführte Maßnahmen, etwa Schutzzonen und Wegweiserecht, heute für die Beschränkung der Meinungsäußerung verwendet werden und etwa Demonstrationsverbote vor Abtreibungskliniken mittels Schutzzonen gerechtfertigt werden. Es wird wohl nicht lange dauern, dass Pelzhändler und Fleischerbetriebe nach Schutzzonen gegen Tierschützer rufen werden, Chemie- und sonstige Industriebetriebe Schutzzonen gegen Umweltschützer verlangen werden und vielleicht Politiker ganz generell eine Schutzzone gegen Bürger für sich beanspruchen werden.

In Großbritannien ist die Entwicklung schon dort angelangt, hier wird Videoüberwachung inklusive Tonaufnahme für typische Sozial- und Allerweltskonflikte, wie nächtliche Ruhestörung, eingesetzt.

Am Ende dieser Entwicklung steht eine totalitäre Kontrolle der Lebensführung der Bürger und eine Aushebelung des Verfassungsstaates mit seinem System des Ausgleichs unterschiedlicher Interessen. Diese Entwicklung wird besonders durch die Politik und die Gesetzgebung gefördert, die durch unbestimmte und unklare gesetzliche Bestimmungen, deren willkürliche Interpretation und Anwendung erlaubt.

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