Bildungsdokumentation NEU? - lebenslange Schülerüberwachung soll bleiben
Vorerst gescheitert ist Frau BM Schmied mit Ihrem Versuch die umstrittene Bildungsdokumentation zu sanieren - weiterhin keine datenschutzkonforme Lösung in Sicht - Sozialversicherungsnummer weiterhin Zentralschlüssel zu allen Bildungsdaten - lebenslange Schülerüberwachung bleibt - teilweise sogar Verschlechterungen - Ministerin kann sich offenbar gegen die Bürokratie nicht durchsetzen - moderne Statistik-Alternativen blieben unbeachtet - Entwurf soll Weg zu einem gigantischen Schülerinformationsverbundsystem ebnen
Versprochene Verbesserung lässt auf sich warten
Im Schwung des neuen Amtes versprach Ministerin Schmied im März dieses Jahres eine gründliche Überarbeitung der bedenklichen und teilweise rechtswidrigen Bildungsdokumentation. Das Einlenken erfolgte nicht zuletzt auf Grund massiver Beschwerden von Eltern und Schülern, aber auch von Schulverantwortlichen, die sich mit einem bürokratischen Datendinosaurier herumschlagen müssen.
Herausgekommen ist eine auf Kosmetik bedachte Novelle. Die wichtigsten Kritikpunkte blieben unsaniert, Verschlechterungen sind insbesondere beim Rechtsschutz der Schüler geplant. Wenn der Entwurf nicht gründlich überarbeitet wird, dann muss schon jetzt von einem bildungsplanerischen Scheitern der Ministerin gesprochen werden.
Kritikpunkt 1: Verwendung der Daten für schulfremde Zwecke
Bisher war vorgesehen, dass auch Sozialversicherungen, Gerichte, Organe des Bundes und Schulerhalter (sprich Bürgermeister und Gemeinden) Zugriff auf die Bildungsdokumentationsdaten erhalten sollen.
Ersetzt wird das durch die Allerweltsformulierung, dass in Zukunft die Bildungsdaten für "Verwaltungszwecke" verwendet werden sollen (§1 BilDokNEU), damit wäre der Weg für alle Bundes- und Landesbehörden und sonstige Körperschaften frei. Selbst Unternehmen könnten für "Verwaltungszwecke" im Falle von Bewerbern Anspruch auf diese Daten erheben. Eine geradezu absurde Ausdehnung der Zugriffsmöglichkeit.
Unter anderem sollen dann auch Studienbeihilfebehörden, aber auch weiterhin die Sozialversicherungen direkten Zugriff auf die Daten haben, wie den Erläuterungen des Entwurfes zu entnehmen ist.
Kritikpunkt 2: Überlange Speicherdauer
Bisher war vorgesehen, dass alle Bildungsdaten 60 Jahre nach dem letzten Eintrag aufzubewahren sind. Bei Pflichtschülern also bis zum 75. Lebensjahr, bei Universitätsabsolventen etwa bis zum 85. Lebensjahr, also weit über alle Erfordernisse, inklusive Pensonsberechnung hinaus.
Im BilDokNEU bleibt die 60-jährige Speicherdauer erhalten, es wird bloß festgehalten, dass das Unterrichtsministerium für einzelne Daten kürzere Zeiten festlegen kann. Das Ministerium entscheidet für sich, was es wie lange benötigt. Ein demokratiepolitischer Unfug!
Kritikpunkt 3: Weiterhin Verwendung der Sozialversicherungsnummer
Die Sozialversicherungsnummer bleibt weiterhin der Zentralschlüssel zu allen Bildungsdaten. Die SV-Nummer soll zwar für die Gesamtevidenz von der Statistik Austria verschlüsselt werden, in den Schulen sind jedoch Bildungsevidenzen (Teilevidenz) ohne Verschlüsselung zu führen. Wer die Sozialversicherungsnummer einer Person kennt und sich auf Verwaltungsaufgaben beruft, kann daher weiterhin alle Bildungsdaten zu einer Person anfordern. Die Sozialversicherungsnummer wird mittlerweile nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch von den Finanzbehörden, vom AMS, bei Stellenbewerbungen oder von Banken ermittelt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass man laut Beamten des Unterrichtsministeriums den Schulen die sichere Verwahrung von Schülerdaten über einen so langen Zeitraum von 60 Jahren gar nicht zutraut, also die Daten in Zukunft zentral als Informationsverbundsystem geführt werden, was Zugriffe nochmals erleichtern wird.
Die vorgesehene "Verschlüsselung" ist damit bloß als datenschutzrechtliche Mogelpackung zu bezeichnen.
Kritikpunkt 4: Sammlung problematischer und sensibler Daten
Nicht abgegangen wird von der Sammlung äußerst bedenklicher und sensibler Daten. Weiterhin sollen Umgangssprache (=Rückschluss auf ethnische Herkunft), Förderbedarf, Schulausschlüsse, Besuch des Religionsunterrichts, Nutzung der Nachmittagsbetreuung, Jahreserfolg, Teilnahme an Schulveranstaltungen, Geschwisterzahl gespeichert werden.
Auch nach intensivem Befragen konnten die Beamten des Unterrichtsministeriums die Bedeutung dieser Daten für eine 60-jährige Speicherung nicht erklären.
Weiters sollen bei Studenten Bildung, Beruf und Stellung im Beruf(?) der Eltern erhoben werden. Ein schwerer Eingriff in Datenschutzrechte Dritter.
Kritikpunkt 5: Unzulässige Beschränkung der Datenschutzrechte
Fast könnte man sagen im Gegenzug wurden die Datenschutzrechte der Schüler und der Eltern erheblich und rechtswidrig beschränkt. Statt der nach dem DSG bestehenden Auskunfts- und Richtigstellungsrechte bleibt nur ein unverbindliches Beschwerderecht bei der Datenschutzkommission.
Diese Einschränkung ist offensichtlich EU-widrig und verletzt sowohl das DSG 2000, als auch die EG-Richtlinie Datenschutz (95/46/EG).
Was ist an der Novelle neu?
Diktiert wurde der Entwurf offenbar von ein paar Bürokraten des Unterrichtsministeriums und der Statistik Austria. Die Datensammlung soll bleiben wie sie ist, die technische Abwicklung wird jedoch vom Unterrichtsministerium zur Statistik Austria verlegt.
Schon in den Arbeitsgruppengesprächen zum Entwurf wurde von Beamten vorgebracht, egal wie datenschutzrechtlich bedenklich das Gesetz ist, man habe in den letzten Jahren soviel Mühe in die Daten gesteckt und daher müsse man das System der personenbezogenen Schülerdatenerfassung und Verwertung beibehalten.
Ein technisch kompliziertes und für die Öffentlichkeit intransparentes System von "Pseudonymisierungen" mit einer Bildungskennzahl (BEKZ) soll Anonymität der Daten vorgaukeln. Tatsächlich wird in der Novelle ausdrücklich klargestellt, dass "eine Bildungsevidenz-Kennzahl (BEKZ) gewonnen wird und ein- und dieselbe Sozialversicherungsnummer bei der Verschlüsselung jeweils dieselbe BEKZ ergibt."
Tatsächlich gilt diese Vorgangsweise nur für die sogenannte Gesamtevidenz, die (Teil-)Evidenzen, die im Verantwortungsbreich der Schulen verbleiben, sollen überhaupt nicht verschlüsselt werden und zur "Erfüllung von Verwaltungsaufgaben" (§1 BilDokNEU) bereitstehen.
Hans G. Zeger, Mitglied des Datenschutzrates: "Damit werden die schlimmsten Befürchtungen für die Zukunft der Schülerdaten erfüllt. Aus der Bildungsdokumentation wird ein Selbstbedienungsladen für alle Behörden."
Grundsatz der Personenevidenz bleibt unangetastet
Weiterhin nicht hinterfragt wird das Gesamtkonzept der Schülergesamtevidenz. Während es weltweit üblich ist bei sensiblen personenbezogenen Statistiken auf Totalerfassungen zu verzichten und mittels qualifizierter Stichproben Planungsaussagen zu tätigen, beharren die Beamten des Unterrichtsminsiteriums auf die teure und grundrechtlich bedenkliche Spielwiese Gesamtevidenz.
Hans G. Zeger: "Hier wurde offenbar die Ministerin über den Tisch gezogen. Offenbar aus mangelnder fachlicher Kompetenz wurden keine modernen statistischen Methoden zur Bildungsplanung in Betracht gezogen."
Tatsächlich wären derartige Konzepte nicht nur grundrechtlich wünschenswert, sondern sie würden auch besseres bildungspolitisches Planungsmaterial liefern. Qualifizierte Stichprobenerhebungen könnten rascher und den aktuellen Fragestellungen besser angepasst durchgeführt werden. Erforderlich wäre dann nur eine nicht mehr personenbezogene Jahresstatistik, wieviel Schüler welche Schulen bzw. Klassen besuchten (inkl. statistischer Angaben zu Geschlecht, Geburtsjahr, Muttersprache und Staatsbürgerschaft). Alle dringenden Planungsaufgaben, wie die Bereitstellung von Nachmittagsbetreuung oder zusätzliche Sprachförderung ließen sich ebenfalls durch statistische Informationen über Bedarf und Nachfrage je Schulstandort bzw. je Jahrgang erfüllen.
Moderne Alternativen bleiben unbeachtet
Die bildungspolitisch wirklich heißen Fragen, etwa über die Qualifikation der Schüler, deren Sprachkenntnisse, Fertigkeiten in Chemie, Musik oder Mathematik, erreichen der Bildungsziele durch Lehrer und Schule, lassen sich durch die Bildungsdokumentation sowieso nicht lösen und müssen durch regelmäßige Spezialtests festgestellt werden.
Auch die vom Gesetz festgeschriebenen Bildungsverläufe lassen sich mit den Daten der Bildungsdokumentation nur sehr mangelhaft und letztlich verspätet feststellen. So würde es etwa noch 15 Jahre Dauern, bis die ersten sinnvollen Bildungsverläufe ausgewertet werden könnten, angesichts der aktuellen Bildungsmisere eine geradezu unverantwortliche Verzögerungstaktik. Auch dann werden die Auswertungen keine praktische Aussagekraft haben, da zwischenzeitlich eine Vielzahl von Schul- und Studienformen in der alten Form gar nicht mehr existieren wird. Umgekehrt erlaubt die Bildungsdokumentation bloß die regionale Analyse von Herkunft und Bildungsverlauf der Schüler. Damit ist aber nichts zur sozialen Effizienz und Durchlässigkeit des Bildungssystems gesagt.
Hans G. Zeger: "Das derzeitige Bildungsdokumetationskonzept muss auch jeden modernen Statistiker und Bildungsforscher schmerzen. Mit den vorgesehenen Daten kann man bestenfalls Äpfel mit Birnen vergleichen. So würde sich etwa in Zukunft herausfiltern lassen, wieviel Prozent der Hauptschüler eines oberösterreichischen Agrarbezirks im Vergleich zum Prozentsatz der AHS-Schüler eines Wiener Bezirks die Matura schaffen. Die spannende Frage aber, wieviel Prozent der Kinder agrarischer Arbeitnehmer oder Bauern im Vergleich zu den Kindern der Industrie- und Facharbeiter die Reifeprüfung schaffen, bleibt unbeantwortbar."
Die datenfixierten Beamten haben offenbar einige grundlegende soziopolitische Änderungen der letzten 50 Jahre verschlafen und glauben noch an die in Schulbüchern tradierte heile Welt der agrarischen Landbevölkerung und der städtischen Industrie. Tatssächlich ist aber gerade der ländliche Raum von einer Vielzahl von Bevölkerungsschichten, vom Universitätsabsolventen (Lehrer, Ärzte, Anwälte, IT-Techniker, ...) bis zum ungelernten Gerwebearbeiter geprägt. Regionalverteilungen der Bildungslaufbahnen können somit in allen Fällen Kinder von Universitätsabsolventen betreffen und erlauben somit keinerlei sinnvolle bildungsplanerische Aussage.
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